Nach neun Monaten des LKA-Prozesses wurde es am Mittwoch auf der Zielgeraden noch einmal pathetisch: Ein Verteidiger zitierte William Shakespeare (den Hamlet-Monolog), ein zweiter den fränkischen Kabarettisten Urban Priol: „So viel Alkohol kann ich gar nicht trinken, um auf so absurde Gedanken zu kommen“, sagt er mit Blick auf die Anklage der zwei Staatsanwälte.
Freispruch gefordert
Die halten sechs LKA-Beamten für schuldig, Straftaten des Spitzels im Einsatz bei der Rockergruppe „Bandidos“ unterstützt zu haben. Sie forderten Haftstrafen bis zu zweieinhalb Jahren. Das sei „an Haltlosigkeit nicht zu überbieten“, schimpfte ein Verteidiger: „Mein Mandant ist – wie alle Angeklagten – freizusprechen.“
Eine Glaubensfrage
Beim Priol-Zitat muss sich selbst der Vorsitzende Ulrich Flechtner ein Schmunzeln mühsam verkneifen – der während des Prozesses sonst wenig Anlaß zum Lächeln hatte.
Im Kern geht es nach vier Jahren Ermittlung und bald 40 Verhandlungstagen am Freitag im Urteil um eine Glaubensfrage: Entweder die Nürnberger Richter glauben dem Hauptkommissar Norbert K. auf der Anklagebank und seinen fünf Kollegen, dass ihr Spitzel Mario W. sie getäuscht hat. Oder das Gericht glaubt dem Kriminellen, dass K. mit Kollegen und Vorgesetzten die Justiz über einen V-Mann-Einsatz täuschte, der außer Kontrolle geriet.
Menschlich oder kriminell
Das eine wäre menschlich, das andere kriminell. Es könnte sechs Polizisten Karriere, Pension und Freiheit kosten. Am Mittwoch brach auch Norbert K., der Hauptangeklagte, sein Schweigen. Der Spitzel behauptete, er habe K. über den Diebstahl dänischer Bagger 2011 immer genau informiert – bei dem ausgerechnet der V-Mann des bayerischen Landeskriminalamtes eine Hauptrolle als Fahrer gespielt hatte. Der Hauptkommissar betonte jetzt: Kein Wort davon sei wahr.
Hinweise vorenthalten
Angaben des V-Mannes seien häufig ungenau und falsch gewesen. Wichtige Hinweise auf die Verwicklung des Spitzels in den Bagger-Diebstahl seien ihm von der Polizei und dem Staatsanwaltschaft in Amberg vorenthalten worden, als der Spitzel mit den geklauten Baggern dort erwischt wurde. Zuvor habe er den V-Mann wiederholt darauf hingewiesen, dass der keine Straftaten begehen dürfe. „Ich habe mich an keinerlei Straftaten beteiligt“, sagte der Beamte, der aus dem Raum Kitzingen stammt.
Keine frisierten Akten
Akten seien auch nicht hinterher frisiert worden, um illegale Praktiken vor dem Landgericht Würzburg im Prozess gegen den Spitzel zu vertuschen. Völlig legal seien unterschiedlich detaillierte Akten über Geheiminformationen des V-Mannes geführt worden – um den Kreis der Beteiligten zu seinem Schutz klein zu halten. „Ich hoffe, dass ich am Freitag mit dem Urteil einen Schlussstrich ziehen und meine polizeiliche Tätigkeit fortsetzen kann.“
V-Mann fühlt sich betrogen
Spitzel Mario W. fühlt sich vom LKA betrogen, weil es ihn im Winter 2011 – aus seiner Sicht – ins Messer der Justiz laufen ließ, statt ihn weiter vor Strafverfolgung zu schützen. Hier lohnt ein genauerer Blick: W. besorgte Drogen in Tschechien für den Rocker-Präsidenten, was der heute bestreitet. W. besorgte aber auch „Gift“ für seine eigene arbeitslose Tochter. Die vertickte es im Raum Kitzingen für ihren Lebensunterhalt – was keinerlei Zusammenhang mit der Rockerszene hatte.
Schutz erwartet
Schutz vom LKA erwartete sich W. dennoch, als Drogenfahnder gegen beide ermittelten. Er besorgte Rockern Mädchen aus Tschechien, schmuggelte geklaute Münzen, wie er 2012 im Interview mit dieser Redaktion erzählte. Das LKA habe ihn immer wieder rausgehauen – sogar, als sein vom Staat bezahlter Leihwagen zu viele Kilometer drauf hatte. Da habe man auf Behörden-Kosten in einer Hinterhof-Werkstatt einfach den Tacho zurück gedreht.
Mario W. will sogar von einem Rechtsextremen Waffen angeboten bekommen haben, wie er uns 2012 exklusiv im Würzburger Gefängnis erzählte. Aber das LKA habe den Mann mit den zwei Pistolen beim Treffen auf einer Raststätte einfach laufen lassen.
Das LKA schwieg damals auf Fragen dieser Redaktion dazu – und überließ dem zigfach vorbestraften Kriminellen so die Deutungshoheit über die bekannt werdenden Fakten. Erst viel später traute man sich dann doch: „Glauben Sie ernsthaft, wir hätten uns so einen Fang damals entgehen lassen?“, fragte kopfschüttelnd ein Vertreter des LKA. „2011 – kurz nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie – hätten wir das mit Handkuss genommen, wenn wir es gewusst hätten.“
Nicht alles stimmte
Im zweistündigen Interview mit dieser Redaktion hatte W. 2012 auch von einer verschwundenen Prostituierten und einem beseitigten Anwalt im Umfeld der „Bandidos“ erzählt. Peinlich, dass beide 2016 quicklebendig wieder auftauchten – so blieb der Eindruck: Mario W. weiß viel, aber er erzählt noch mehr.
Doch seine Angaben führten zu jahrelangen Ermittlungen und sägten heftig am Ruf des LKA. Am Ende blieb in der Nürnberger Anklage der dilettantische Baggerdiebstahl der „Bandidos“ in Dänemark und der zurückgedrehte Tacho.
Interviews statt Gericht
Bei den Plädoyers blieb der Platz des Nebenklägers Mario W. im Gericht leer. Er gab Interviews über sein Leben als missbrauchter V-Mann. Manchen Journalisten reichte das und zwei Tage Prozessbeobachtung, um sich kurz vorm Urteil eine Bewertung zuzutrauen, die man als Vorverurteilung bezeichnen könnte.
Das Urteil soll am Freitag fallen.