Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

WÜRZBURG: LKA-Prozess: Super-Mario gegen Spitzel-Mario

WÜRZBURG

LKA-Prozess: Super-Mario gegen Spitzel-Mario

    • |
    • |
    Aufsehenerregender Prozess: In Nürnberg stehen sechs LKA-Beamte wegen Strafvereitelung im Amt und uneidlicher Falschaussage vor Gericht.
    Aufsehenerregender Prozess: In Nürnberg stehen sechs LKA-Beamte wegen Strafvereitelung im Amt und uneidlicher Falschaussage vor Gericht. Foto: Foto: Daniel Karmann, dpa

    Es muss Super-Mario furchtbar wurmen, dass ihn Spitzel-Mario überhaupt auf die Anklagebank gebracht hat. Der seit zwei Monaten laufende Prozess am Landgericht Nürnberg um die Rolle von sechs bayerischen Beamten bei kriminellen Geschäften eines Spitzels für das Landeskriminalamt hat viele Facetten. Der Fall lässt sich aber auf eine Formel bringen: Da kämpfen zwei schillernde Persönlichkeiten vor Gericht um ihre persönliche Glaubwürdigkeit – die nicht viel miteinander gemein haben als den gleichen Vornamen.

    Da ist der Kriminaldirektor Mario H., ein hoch gewachsener Mann im feinen Zwirn, der eigentlich mit den Niederungen dubioser Arbeit mit Spitzeln im Rockermilieu nichts zu tun hat. Der nach eigener Einschätzung „Spitzenbeamte“ leitete in Bayern brisante Ermittlungen: Hypo Alpe Adria, Korruptionsvorwürfe gegen Formel-1-Boss Bernie Ecclestone oder die neuen Ermittlungen um das Oktoberfest-Attentat von 1980. Er sagt: Mit dem Spitzel habe er erst intensiver zu tun gehabt, nachdem Mario W. Ende 2011 mit geklauten Baggern in Amberg erwischt worden war und örtlichen Polizeibeamten freimütig auf die Nase band, er arbeite für das LKA.

    Karriere-Aus für "Super-Mario"?

    Mario H. (interner Spitzname „Super-Mario“) würde sicher momentan lieber wichtige Ermittlungen leiten, statt sieben Monate als Angeklagter zu verplempern. Doch inzwischen weiß er auch: Die Geheimnistuerei des LKA im Würzburger Prozess 2012 gegen Mario W., der Fund erklärungsbedürftiger LKA-Akten dazu sowie die Erzählungen des dutzendfach vorbestraften Kriminellen haben (wie überreife Früchte) eine so gärende Kraft entwickelt, dass sie zum jähen Ende seiner steilen Karriere und der seiner fünf mitangeklagten Kollegen führen könnten.

    Ein Mann - viele Namen 

    Mario W. ist das krasse Gegenteil, ein fast gemütlich wirkender kräftiger Glatzkopf mit einer Vorliebe für Holzfällerhemden. Er kam nach sechs Jahren im Knast gerade erst vor dem großen Prozess gegen seine früheren Beschützer frei – und hat wieder den Namen gewechselt. Der einst in Münnerstadt (Lkr. Bad Kissingen) lebende Kriminelle hieß noch Mario F., als er 2011 für das LKA begann, kriminelle Rocker zu bespitzeln. Im Knast wechselte er auf den Nachnamen, der mit W. beginnt. Jetzt beginnt der mit B. – angeblich aus Angst vor der Rache der Rocker, die er dem LKA ans Messer lieferte. Ob die Furcht berechtigt ist, weiß keiner genau.

    Immerhin verfolgt ein führendes Mitglied der Rockergruppe „Bandidos“ (laut W. einst Hintermann eines Waffengeschäfts mit ihm) als Zuschauer den Prozess und erzählt in Pausen jedem, der es wissen will: Da werde noch viel passieren.

    „Die haben mitgemacht!“

    Man kommt sich im Landgericht Nürnberg seit November 2017 an manchen Tagen wie in einer verkehrten Welt vor: Sechs Polizisten sitzen wegen Beihilfe zu Straftaten selbst auf der Anklagebank. Ein Verbrecher mit über einem Dutzend Vorstrafen gefällt sich – wie 2012 und 2016 in Würzburg – in der Rolle des Kronzeugen, der anklagend auf die Mitarbeiter des LKA zeigt: „Die haben mitgemacht!“

    Mario W. sagt von sich: „Ich habe kriminelle Energie in mir, aber diese Scheiße ist nicht gerecht.“ Er hatte irgendwie darauf gehofft, in den Zeugenschutz zu kommen statt vor Gericht für die Straftaten, die er damals beging - seinen Worten zufolge immer im Auftrag des LKA, um seine Tarnung perfekt zu machen.

    Ein bayerischer James Bond 

    Seine Führungsoffiziere - von denen zwei zu den Angeklagten gehören - haben ihn (so gut es geht) geschützt. Sie sagen aber auch, sie hätten ihn immer wieder ermahnt, die Grenze zur Strafbarkeit nicht zu überschreiten. Nun muss das Gericht in Nürnberg prüfen: Haben seine Führungsoffiziere bei seinen kriminellen Tätigkeiten (speziell bei einem Diebstahl von Minibaggern aus Dänemark) eineinhalb Augen zugedrückt – weil ihnen der eigene Erfolg wichtiger war als Recht und Gesetz? Haben Vorgesetzte das geduldet und später vertuscht? Oder rächt sich ein Mann ohne moralische Skrupel, der für Judaslohn schon seine Rocker-Kumpels verpfiffen hat, jetzt dafür, dass ihn das LKA fallenließ?

    Einer, der Mario W. gut kennt, sagt: „Der ist wie ein Chamäleon: Er kann blitzartig sein Auftreten ändern, um sich der Umgebung anzupassen.“ Diese Fähigkeit kam Mario W. zu Gute, als 2011 das Landeskriminalamt Spitzel suchte, die sich in die abgeschottete Welt der Rocker einschleichen konnten.

    Er war – wie selbst das LKA bestätigt – sehr gut auf dem Gebiet von Lüge und Täuschung – und beim LKA fürchten viele, dass er nun die gleiche Meisterschaft an den Tag legt, um Rache dafür zu nehmen, dass ihn seine Brötchengeber und Beschützer Ende 2011 plötzlich fallen ließen wie eine heiße Kartoffel: Ihnen war der Preis für seine Informationen zu hoch geworden.

    Mario W. fühlt sich nicht wie ein bezahlter Spitzel, eher wie eine Art bayerischer James Bond, der im Auftrag des Freistaates Schurken überführte – und seinen Auftraggebern nun peinlich ist. Er kann charmant sein gegenüber Menschen, die ihm nutzen. Auch vor dem Autor zauberte er bei einem zweistündigen Interview im Knast 2012 das Bild von einer faszinierenden Gegenwelt, in der keiner dem anderen traut und Dinge passieren, die kein Drehbuchschreiber so bunt erfinden könnte.

    Minibagger als "Keuschheitsprobe"?

    Wie viel davon ist wahr: 100 Prozent, 50 oder nur fünf? In zwei Prozessen wegen Drogenhandels in Würzburg hatte W. immer wieder betont, dass er für den eigenen Vorteil wenig Skrupel kennt: Die Rocker, die ihn für einen Kumpel hielten, „gehen mir am A… vorbei“ sagte er vor Gericht. Seiner eigenen Tochter verkaufte er 2011 (in Tschechien erworbene) Drogen, damit sie als Dealerin in der Kitzinger Drogenszene ihren Lebensunterhalt verdienen konnte. Glaubt man seine Version, war das ein Nebeneffekt der großen Rauschgift-Geschäfte, die er mit den Rockern (unter den Augen des LKA) abzog. Als ihn die Behörde wegen dieser Geschäfte – wie angedroht – schließlich fallen ließ, erzählte er kuriose Dinge über seinen Einsatz als V-Mann.

    Mehrfach kündigten die Rocker an, ihren neuen Kumpel bei kriminellen Geschäften mitwirken zu lassen, mehrfach erwies sich das als Luftnummer, die in letzter Minute abgeblasen wurde. Die Rocker wissen, dass V-Leute des Staates im Einsatz keine Verbrechen begehen dürfen – und testen sie gezielt an. War der dubiose Diebstahl dänischer Minibagger (um den es jetzt geht), dann eine „Keuschheitsprobe“, um Mario W. zu testen? Die angeklagten LKA-Beamten haben das als mögliche Erklärung ins Feld geführt. Oder haben sie Mario W. schlicht unterschätzt? Zwei schweigen vor Gericht, alle sechs bestreiten, an illegalen Tätigkeiten beteiligt zu sein oder auch nur davon gewusst zu haben. Dass brisante Akten geschwärzt und verändert wurden, mag daran liegen, wer die zu Gesicht bekommen sollte und was man vor wem geheim halten musste. In der Grauzone der Arbeit mit V-Leuten scheint das nicht unüblich zu sein, sagen Experten. Im Zusammenhang mit Vorwürfen der Vertuschung illegaler Tätigkeiten sieht dies heute aber verdächtig aus.

    Wer was über den Baggerdiebstahl tatsächlich wusste, ist nach zwei Monaten Prozess unklarer denn je. Mario W. will seinen Kontaktmann beim LKA vorher informiert und auf dem Laufenden gehalten haben. Der bestreitet das, will erst hinterher erfahren haben, dass sein Spitzel mitgemacht hat.

    Als der V-Mann mit den Baggern bei Amberg erwischt wurde – und sich sofort als V-Mann zu erkennen gab – sagte das LKA den Ermittlern vor Ort und dem Staatsanwalt so wenig wie möglich über den Einsatz. Wie sich inzwischen zeigt, hielten es die Ermittler umgekehrt genauso: Sie erzählten dem LKA offenbar nicht alles, was sie über den Baggerdiebstahl erfahren hatten. Selbst ein hoher Kripo-Mann informierte weder das LKA noch den Staatsanwalt und ermittelte, als hätte er es höchstens mit einem kleinen Vergehen zu tun. Der Staatsanwalt (ebenfalls heute mit Erinnerungslücken) sah auf dieser ungenügenden Beweislage keinen Grund, den V-Mann festzuhalten, der den LKW mit den geklauten Baggern gefahren hatte. Man kann sich über die Erinnerungslücken des Juristen wundern.

    Nur knapp zwei Wochen vor der Bagger-Geschichte hatte er schon einmal einen Haftbefehl gegen Mario W. außer Vollzug gesetzt, damals ging es um Drogen. Er wusste wohl, dass er einen V-Mann vor sich hatte. Selbst Ulrich Flechtner, der Vorsitzende Richter der 13. Strafkammer in Nürnberg, wundert sich jetzt: „Ich frage mich schon, ob ich – wenn ich mit drei gestohlenen Baggern an einer Raststätte erwischt werde – gleich wieder frei komme?!“

    Persönlichkeitsstörungen und Scheinwelt

    Anfang Dezember sollte der Kronzeuge Mario W. seinen großen Auftritt haben. Mit ihm steht und fällt die Anklage gegen seinen LKA-Betreuer Norbert K. und die anderen fünf Beamten. Doch die Verteidigung warf eine Frage auf, die bereits vor sechs Jahren in Würzburg eine Rolle gespielt hatte, aber zwischenzeitlich in Vergessenheit geriet: Schildert Mario W. die wahre, wenn auch abenteuerlich klingende Welt? Oder bildet er sich manches einfach nur ein – kann es aber so beredt schildern, dass er es selbst für die Wahrheit hält?

    In Würzburg hatte ihm der damalige Oberstaatsanwalt Thomas Trapp (der in Nürnberg jetzt als Zeuge gehört wird) am Ende attestiert: Der Spitzel habe Persönlichkeitsstörungen und lebe in einer Scheinwelt. „Wir glauben dem Angeklagten nicht alles, was er gesagt hat“, befand auch der Würzburger Richter Volker Zimmermann (ebenfalls als Zeuge geladen). Er war aber auch befremdet über die Geheimnistuerei des LKA. Dies habe eine Aufklärung des Falles damals verhindert, sagte er, als er Mario W. in erster Instanz zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilte.

    Der hat Juristen und Journalisten abenteuerlich klingende Geschichten aus der (Normalbürgern fremden) Welt der Rocker erzählt. Wie zuvor dem LKA warf er auch dieser Redaktion in einem Interview 2012 im Knast immer wieder verlockende Brocken hin, über Drogengeschäfte, Baggerdiebstahl und anderes. Nicht alles erwies sich später als wahr: Ein laut ihm ermordeter Anwalt tauchte plötzlich ebenso springlebendig wieder auf wie eine (laut Mario W.) verschwundene Prostituierte. Beweise auf einem Laptop und in einer E-Mail wurden lautstark angekündigt, aber nicht präsentiert. Und über das Einschmuggeln geklauter Münzen aus Tunesien sowie ein brisantes Waffengeschäft mit dem Gefolgsmann eines bekannten Neonazis hat man nur sein Wort. Das LKA sagt, kein Wort davon sei wahr.

    „Der setzt auf eine im Kern wahre Begebenheit immer noch etwas Erfundenes drauf“, sagt einer der Angeklagten in einer Prozesspause. Die Verteidigung der sechs LKA-Beamten hat kurz vor der Vernehmung des Zeugen in Nürnberg (nach vier Wochen Prozess) zwei alte Gerichts-Gutachten aus der Würzburger Verhandlung gegen den Spitzel ins Gespräch gebracht. Die wecken Zweifel an seiner Fähigkeit, Wahrheit zu erkennen und glaubhaft wiederzugeben.

    Der Psychologe Max Jäckel diagnostizierte eine Persönlichkeitsstörung mit „paranoiden und depressiven Merkmalen.“ Die Wahrnehmung der Realität des Zeugen erscheine ihm verzerrt, er neige zum Festhalten an „irrigen, möglicherweise wahnhaften Inhalten“. Hinzu käme eine Abhängigkeit von Alkohol und Amphetaminen.

    Wie glaubwürdig ist der V-Mann?

    Ist das jetzt nur ein Versuch, den gefährlichen Zeugen als Irren abzustempeln, wie ein „Unterstützerkreis Mario W.“ im Internet hartnäckig kolportiert? Er selbst zeigt dem Journalisten jetzt verächtlich die kalte Schulter, der nicht bedingungslos alles glaubt, was W. erzählt. Sein Anwalt Alexander Schmidtgall (der ebenfalls in den Zeugenstand soll) knurrt: „Das Spielchen, die Glaubwürdigkeit meines Mandanten in Zweifel zu ziehen, kennen wir ja schon. Damit ist das LKA aber schon einmal auf die Nase gefallen.“

    Das Gericht hat seine Zeugenaussage aber zurückgestellt – auch wenn der Vorsitzende Richter in Nürnberg deutlich machte, dass er von Gutachter Jäckel wenig hält. Im Umfeld des V-Mannes nennt man das ein durchsichtiges Manöver der Verteidigung, den Zeugen als irre zu bezeichnen, um die Brisanz seiner Aussagen zu entschärfen. Zumindest haben die Angeklagten aber Zeit gewonnen. Das Gericht hat zwei eigene Gutachter beauftragt, zu prüfen, wie glaubwürdig der V-Mann als Kronzeuge ist. Die Beauftragung bestätigt auf Anfrage ein Gerichtssprecher.

    Ist Mario W. glaubwürdig, müssen sich die Angeklagten warm anziehen bei seiner Aussage im Februar. Sind die Geschichten nur Hirngespinste eines Märchenerzählers, stellt sich die Frage: Wie konnte das LKA um Mario H. so einen als V-Mann engagieren?

    Wollte man die LKA-Beamten unbedingt belasten?

    Tatsächlich hat man inzwischen den Eindruck, als schmelze der Staatsanwaltschaft Nürnberg ihre Anklage unter den Fingern weg. Wenn ein Kripo-Mann in vorauseilendem Gehorsam belastende Fakten unter den Tisch fallen ließ, um einen V-Mann des LKA zu schützen, ist das eine Sache. Wenn das LKA dafür Druck ausgeübt hätte, wäre es eine andere – was bis jetzt nicht nachgewiesen ist.

    Dass erfahrene LKA-Ermittler mal ein Auge zudrückten, wäre nicht so ungewöhnlich, sagen Experten. Aber dass sie wie billige Drei-Groschen-Gauner geholfen haben sollen, den Tacho am Leihwagen ihres Spitzels zurückzudrehen, um Kosten zu vermeiden, klingt wenig glaubhaft.

    Inzwischen wirkt vieles in der Anklage wie mit heißer Nadel gestrickt, als habe man unbedingt Belastendes gegen die LKA-Beamten finden wollen. Überdies hätten schon 2013 die internen Ermittler der Nürnberger Kripo (die den Erzählungen nachgingen und beim LKA durchsuchten) auch manches Entlastende herausfinden können, was jetzt erst zur Sprache kommt. Einer der Angeklagten spricht von „massiver Vorverurteilung“.

    Es fehlen klare Aussagen 

    Jedenfalls stehen inzwischen die Anklagen gegen Mario H. und drei der fünf weiteren Angeklagten auf wackligen Füssen. Die Kammer soll Rechtsgespräche darüber angekündigt haben, wie der Prozess weiterlaufen soll, heißt es in Verteidigerkreisen – ein vielsagendes Signal in dem Prozess, der bis Mai terminiert ist. „Rechtsgespräche kann man natürlich in jeder Phase prinzipiell immer führen“, sagt Pressesprecher Friedrich Weitner vom Oberlandesgericht Nürnberg auf Anfrage, ohne auf Details näher einzugehen.

    Am Dienstag bat das Gericht die Beteiligten dann tatsächlich zum Gespräch hinter verschlossenen Türen.

    Noch haben sich die zwei am stärksten durch die Anklage belasteten direkten Betreuer des V-Mannes zu den Vorwürfen nicht geäußert. Wenn sie mit klaren Aussagen einige verdächtige Punkte gerade rücken können, bleibt von der Anklage wenig übrig.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden