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Bayern: Schülersprecher: "Die Politik hätte uns viel Ärger ersparen können"

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Schülersprecher: "Die Politik hätte uns viel Ärger ersparen können"

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    Landesschülersprecher Moritz Meusel kritisiert die Politik, die die Schulen kaum auf den Distanzunterricht vorbereitet hat.
    Landesschülersprecher Moritz Meusel kritisiert die Politik, die die Schulen kaum auf den Distanzunterricht vorbereitet hat. Foto: Matthias Hoch

    Die Kritik an der Gestaltung des Schulunterrichts während der Corona-Krise reißt nicht ab. Im Interview berichtet Landesschülersprecher Moritz Meusel aus dem Schulalltag und zeigt auf, wo die Probleme liegen und was in den vergangenen Monaten versäumt wurde.

    Sind  Sie und Ihre Generation  die großen Verlierer der Corona-Krise?

    Moritz Meusel: Nein, das glaube ich nicht. Jede Krise bietet   immer auch eine Chance.

    Ach kommen Sie, dieser Satz ist doch ein einziges Klischee.

    Meusel: Die jetzige Situation zwingt uns zu mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Wir   sind beim Distanzunterricht in hohem Maße selbst dafür verantwortlich, mit welcher Intensität und Ernsthaftigkeit wir lernen. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation kann uns später in Studium und Beruf  sehr nutzen.

    Gar keine Zukunftsängste?

    Meusel: Die haben gerade vor allem    Real- und Mittelschüler. Sie müssen sich jetzt mit einem unter erschwerten Bedingungen gemachten Abschluss auf Lehrstellen bewerben, deren Zahl durch Corona abgenommen hat.

    Der Zwang zur Selbstorganisation dürfte aber auch Gymnasiasten überfordern.

    Meusel: Natürlich. Gerade von jüngeren Schülern lässt sich schlecht verlangen, dass sie ihren Tag selbst strukturieren.  Wenn dann nicht die Eltern dahinter sind, bekommen wir mit diesen Schülern ein großes Problem. Dann drohen wir sie zu verlieren.

    Sind wir  wieder  an  dem  Punkt,  dass  individueller Bildungserfolg maßgeblich vom sozialen Status der  Eltern abhängt?

    Meusel:In Deutschland war der Bildungserfolg schon vor Corona stärker an den sozialen Hintergrund der Eltern gekoppelt als in vielen anderen Ländern. Diese Abhängigkeit verschärft sich derzeit noch. Es macht ja bereits einen großen Unterschied, ob Schüler und Schülerinnen beim Digitalunterricht ein eigenes Zimmer haben oder sich eines mit Geschwistern teilen müssen.

    Ist zumindest die Versorgung mit Laptops sichergestellt?

    Meusel: Das hängt immer davon ab, wie viel der jeweilige Sachaufwandsträger zu investieren bereit ist. Hier in der Region läuft das meinem Empfinden nach  ganz gut. Alle Schüler können sich bei Bedarf einen eigenen Laptop ausleihen. Problematisch wird es beim  Unterhalt der Geräte. Dieser ist nicht in der staatlichen Förderung  berücksichtigt.

    Wie gut ist der  Digitalunterricht der  bayerischen  Lehrer?

    Meusel: Die Schere geht weit auseinander. Die Qualität des Digitalunterrichts hängt entscheidend vom Engagement und der technischen Affinität der Lehrkräfte ab. Manche geben sich große Mühe, manche lehnen sich zurück und stellen ihren Schülern lediglich Arbeitsblätter zur Verfügung.

    Was sollten Lehrer besser machen?

    Meusel: Sie sollten alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ihnen das Digitale gibt. Ich würde mir wünschen, dass sie zwischendrin mehr Gruppenarbeit ermöglichen. Das würde den Unterricht abwechslungsreicher machen. Sie könnten mehr Videos integrieren und grundsätzlich stärker zwischen Frontalunterricht und praktischen Aufgaben trennen. Derzeit ist der Distanzunterricht oft viel zu eintönig.

    Die Klassenzimmer in den Schulen sind derzeit größtenteils verwaist. (Symbolbild)
    Die Klassenzimmer in den Schulen sind derzeit größtenteils verwaist. (Symbolbild) Foto: Caroline Seidel, dpa

    Was ist schlimm daran?

    Meusel: Von der fünften bis zur zwölften Klasse sitzen die Schülerinnen und Schüler von morgens acht bis nachmittags um halb vier vor dem Bildschirm und hören sich dabei an, was ihnen vorgebetet wird. Danach ist man geistig wirklich fertig. Die bayerischen Schüler sind gerade wirklich am Anschlag.

    Bemerkt ein Lehrer, wenn Schüler  gar nicht oder nur sehr  nachlässig am Distanzunterricht teilnehmen?

    Meusel: Nicht zwangsläufig. Die Schüler müssen an ihrem Laptop oder Computer weder ihre Kamera noch ihren Ton aktivieren. Was sie während des Unterrichts genau tun – ob sie schlafen oder sich sonst wie ausklinken – lässt sich im Grunde nicht nachprüfen.

    Wie oft schwänzen Schüler den Unterricht am Bildschirm?

    Meusel: Lassen Sie es mich so sagen: Wer am Montagmorgen keine Lust auf eine Doppelstunde Kunstunterricht hat, wird einen Weg finden.

    Haben die Verantwortlichen  in Schulen und Politik  aus dem ersten Lockdown im Frühjahr die richtigen Konsequenzen  gezogen?

    Meusel: Nein. Es muss doch allen klar gewesen sein, dass im Winter eine zweite Welle zumindest nicht kategorisch ausgeschlossen werden kann. Wenn im Sommer die Grundlagen für einen vernünftigen Distanzunterricht gelegt worden wären, hätte man den Schülern und mit ihnen auch den Lehrern viel Ärger ersparen können.

    Woran denken Sie?

    Meusel: Man hätte deutlich stärker in die digitale Infrastruktur investieren müssen. Das wurde unterlassen und das rächt sich jetzt. Weil die Lernplattform Mebis immer noch nicht zuverlässig funktioniert, muss auf viele andere Programme wie Microsoft Teams zurückgegriffen werden. Ich habe von Schulen gehört, deren Netzwerke den Anforderungen des Digitalunterrichts nicht standgehalten haben. Zudem fehlen Lehrern immer noch digitale Endgeräte. Sie müssen den Digitalunterricht mit ihren eigenen, oft schon veralteten Geräten bestreiten.

    Der Freistaat hat dafür doch Millionen von Euro zur Verfügung gestellt.

    Meusel: Bei den Lehrern, die ich kenne, kam von diesem Geld noch kein Cent an.

    Wäre es im Interesse der bayerischen Schüler gewesen,   Schulen trotz steigender Infektionszahlen geöffnet zu lassen?

    Meusel: Im Gegenteil. Ich hätte mir einen früheren Lockdown gewünscht. Die Schulen sind viel zu lange offen geblieben. Es wurde zu spät gehandelt. Ein guter Distanzunterricht ist die einzige vernünftige Reaktion auf die gegenwärtigen Infektionszahlen.

    Gleichzeitig fahren viele  Erwachsene weiter täglich ins Büro.

    Meusel: Das ist absurd. Wenn Schüler zu Hause lernen, dann sollte man von Erwachsenen verlangen können, im Homeoffice zu arbeiten.

    In dieser Woche tauschten die ersten Schüler den Distanz- gegen den Wechselunterricht. Ist das die erhoffte Rückkehr zur Normalität?

    Meusel: Die Entscheidung ist katastrophal.

    Das überrascht mich.

    Meusel: Zwei Gründe: Zum einen sind die meisten Schulen immer noch nicht für den Wechsel- oder auch Hybridunterricht ausgestattet. Es fehlt an Endgeräten und der digitalen Infrastruktur, um den Unterricht für denjenigen  Teil der Klassen zu streamen, der zu Hause bleibt. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kommen   die  im Unterricht gut mit, die  vor Ort in der Schule sind. Die Schüler daheim haben das Nachsehen.

    Und der zweite Grund?

    Meusel: Bei einer hochinfektiösen Virusmutation, die sich besonders unter Jugendlichen schneller zu verbreiten scheint, wird jetzt ausgerechnet in den Schulen wieder gelockert. Ich halte das aus gesundheitlichen Gründen für unverantwortlich. Die Politik spielt hier mit dem Leben von Schülern, Lehrern und deren Umfeld. Das geht zu weit. Wir sind doch keine Versuchskaninchen.

    Dabei glaubt die Staatsregierung, den Schülern etwas Gutes zu tun.

    Meusel: Das mag schon sein. Aber weder die Eltern noch die Lehrer und Schüler wurden im Vorfeld nach ihrer Meinung gefragt. In meinen Augen war das voreiliger Aktionismus.

    Die ersten Schüler drohen,  den Wechselunterricht  zu bestreiken.

    Meusel: Ich kann  die Schüler verstehen.

    Eines Tages werden  Sie in Ihre Schule zurückkehren. Auf was freuen Sie sich?

    Meusel: Auf meine Klassenkameraden. Zusammen lernen. Witze machen. Schulausflüge. Auch das gehört zur Schule ja dazu.

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