Ein schöner knuspriger Gockel, dazu Pommes oder Kartoffelsalat – dafür nehmen manche weite Wege in Kauf, fahren 50 oder gar 100 Kilometer nach Wallenhausen im Landkreis Neu-Ulm. Diese Begeisterung der Gäste ist für das Team der dortigen Bürgerstuben eine Art Ritterschlag, denn es besteht ausschließlich aus Freiwilligen, die das Gasthaus in dem 564-Einwohner-Ort am Leben halten. Damit trotzen sie schon seit Jahren dem grassierenden Wirtshaussterben. Für ihr vorbildliches Engagement bekommt das Bürgerstubenteam die Silberdistel unserer Zeitung verliehen.
Die Menschen in Wallenhausen wollten die Dorfwirtschaft nicht sterben lassen
Bayern war lange stolz auf seine Wirtshauskultur. Doch seit geraumer Zeit sterben auf dem Land die Kneipen – und Corona hat den Trend noch verschärft. Auch Wallenhausen, das im waldreichen Hinterland des Landkreises Neu-Ulm liegt, hatte seine Dorfwirtschaft eigentlich schon lange verloren. 1991 waren die Bürgerstuben bereits verkauft worden – und plötzlich fehlte den Menschen der gesellschaftliche Treffpunkt. Innerhalb der Dorfgemeinschaft Wallenhausen, einem Zusammenschluss von acht Vereinen, wurden die Rufe nach einem eigenen Vereinsheim immer lauter. Als die Planungen angelaufen waren, kamen die Bürgerstuben wieder auf den Markt – und nach zweijährigem Feilschen um den Preis hatte der Besitzer so weit nachgegeben, dass sich die Vereine gemeinsam das Gebäude leisten konnten.
Friedrich Beck, Vorsitzender der Dorfgemeinschaft, freut sich heute noch, dass der Coup damals gelungen war und der Ort wieder einen Treffpunkt hatte. Nach 1500 freiwilligen Arbeitsstunden war das Haus, das nach wie vor den Charme der 70er Jahre ausstrahlt, so weit hergerichtet, dass am 1. Adventssonntag 1998 die Wirtschaft offiziell eröffnet werden konnte. Drei Tage die Woche konnten nun die Wallenhauser wieder zum Einkehren gehen oder sich an anderen Tagen zu Vereinsversammlungen, Hochzeiten, Familienfeiern, Konzerten oder Theateraufführungen im Saal treffen. Doch das Experiment einer ausschließlich mit Freiwilligen bewirtschafteten Gaststätte ging nur ein paar Jahre gut, 2015 war die Luft raus. "Es ist gerade mal so gelaufen", erinnert sich Friedrich Beck, "viele hatten keine Lust mehr, jedes Wochenende im Einsatz zu sein." Das Haus wurde verpachtet, was sich aber nicht als der Weisheit letzter Schluss herausstellte. Deshalb wagte die Dorfgemeinschaft nach zwei Jahren erneut den Schritt, alles in Eigenregie zu stemmen.
Das Team der Bürgerstuben in Wallenhausen macht alles selber
Diesmal sieht es offenbar besser aus: 26 Frauen und Männer, teilweise noch aus der ursprünglichen Mannschaft, kümmern sich seit sechs Jahren um den Betrieb, der allerdings gegenüber früher deutlich reduziert wurde. Lediglich an einem Wochenende im Monat stehen die Bürgerstuben für alle offen. Darüber hinaus werden dort aber wieder Feste gefeiert, und im Saal zeigt die Theatergruppe "Lampenfieber" alle Jahre eine neue Komödie. Jede Woche kommen die Rentner zum Stammtisch, bei Wahlen stehen die Urnen in der Gaststube. Mit einem harten Kern von Engagierten "kriegen wir das gerade so über die Runden, auch wenn es schwierig ist", sagt Beck, und seine Frau Petra ergänzt: "Aber wenn mal zwei ausfallen, dann wissen wir nicht, wie wir das auffangen sollen." Schließlich müsse ja alles selber gemacht werden, auch die Lebensmittel kauft das Team selber ein. "Wir lassen uns nichts anliefern."
In Wallenhausen geht niemand hungrig heim
Vor allem die Küchentruppe legt Wert auf die gute alte Hausmannskost, die auf künstliche Hilfsmittel verzichtet: "Bei uns wird alles frisch gekocht, und zwar ohne Päcklesoß", heißt es. Die Speisekarte, die zwischen zwei Holzbrettchen steckt, bietet die Klassiker Schnitzel, Wurstsalat und eben den allseits beliebten Gockel zu sensationell günstigen Preisen. Doch die müssen nächstes Jahr angepasst werden, bedauert Beck, denn die allgemeine Kostensteigerung geht auch an den Bürgerstuben nicht spurlos vorüber. Dafür bekommen die Gäste ordentliche Portionen aufgetischt. "Bei uns geht keiner hungrig weg", verspricht Petra Beck. Und Edith Maier, zuständig für die Reservierungen versichert: "Wem die Portion zu klein ist, der bekommt einen Nachschlag."
Just in diesem Monat hat die Dorfgemeinschaft die Wirtschaft abbezahlt und kann nun wieder mehr ans Investieren denken, um die Gaststube moderner einzurichten. Ohnehin wurde ordentlich Geld in das Gebäude gesteckt, um es nachhaltig betreiben zu können: Schon lange liefert eine große PV-Anlage auf dem Dach Sonnenstrom, und geheizt wird per Fernwärme aus einer Biogasanlage. "Wir gucken, dass wir mit der Zeit gehen", versichert Friedrich Beck. Viel wichtiger ist jedoch, dass die Menschen im Dorf dem Wirtshaussterben etwas entgegengesetzt haben, nämlich Eigeninitiative.
Das ist die Silberdistel unserer Zeitung:
Auszeichnung: Mit der Silberdistel ehrt unsere Redaktion seit vielen Jahren Menschen aus der Region für ihr besonderes, bürgerschaftliches Engagement.
Handwerk: Der Preis besteht aus einer Urkunde und einer kunstvoll in Silber gearbeiteten Distelblüte, die eigens in der Alten Silberschmiede in Augsburg angefertigt wurde.
Vorschläge: Jede Leserin, jeder Leser kann Vorschläge für unsere Auszeichnung machen. Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner finden sich in unseren Lokalredaktionen.