Der Verfassungsschutz sieht bei der AfD Anzeichen für extremistische Bestrebungen und erklärt die Partei als Ganzes zum sogenannten Prüffall für eine mögliche Beobachtung. Noch genauer will der Verfassungsschutz bei zwei Gruppierungen innerhalb der AfD hinsehen: Der rechtsnationale "Flügel" um den Thüringer Hardliner Björn Höcke und die Nachwuchsorganisation JA werden sogar als "Verdachtsfälle" eingestuft, wie der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, am Dienstag erläuterte. Grundlage der Entscheidung ist ein mehrere hundert Seiten langes Gutachten, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit Hilfe der Landesämter erstellt hat.
Seehofer: "Keine politische Entscheidung"
Es gebe gewichtige Anhaltspunkte, dass "Flügel" und JA als "extremistische Bestrebungen" einzustufen seien, so Haldenwang. Die AfD will sich juristisch wehren und wittert eine Verschwörung: Fraktionschefin Alice Weidel sprach von einer "Vorverurteilung" ihrer Partei vor den im Herbst anstehenden Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern. Außerdem stellte sie einen Zusammenhang mit dem Abgang des früheren BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen her. Maaßen wurde im November von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Hintergrund waren mehrdeutige Äußerungen Maaßens zu Protesten in Chemnitz. "Er musste aus dem Weg, um einen 'Prüffall AfD' konstruieren zu können", so Weidel.
Seehofer stellte sich am Dienstag hinter die Verfassungsschützer. In seinem Ministerium halte man deren Studie "für plausibel". Zugleich betonte er, es handle sich nicht um eine politische, sondern um eine fachliche Entscheidung des Verfassungsschutzes.

"Wir haben mit dem Schritt gerechnet", erklärte der Chef der Bayern-AfD, Martin Sichert. "Nicht, weil es Verdachtsgründe gibt, sondern weil die Beobachtung ein politisches Instrument der Regierung gegen die AfD ist." So sieht es auch der unterfränkische AfD-Vorsitzende Richard Graupner. Schon während des Landtagswahlkampfs sei der dem CSU-geführten Innenministerium unterstellte bayerische Verfassungsschutz "politisch missbraucht" worden. Das zeigten die "an den Haaren herbeigezogenen Begründungen für die Beobachtung unserer Kandidaten", so der Landtagsabgeordnete aus Schweinfurt.
Landtagsabgeordnete werden beobachtet
Wie das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz auf Nachfrage mitteilte, werde im Freistaat derzeit "eine untere zweistellige Zahl von Einzelpersonen" innerhalb der AfD beobachtet. Sie wiesen "Verbindungen in die rechtsextremistische, die verfassungsschutzrelevante islamfeindliche und die Reichsbürger-Szene auf". Bei drei Personen handelt es sich demnach um Landtagsabgeordnete.
"Natürlich gibt es immer wieder Einzelne, die über die Strenge schlagen."
Richard Graupner, AfD-Bezirksvoritzender in Unterfranken
Graupner räumte gegenüber dieser Redaktion ein: "Natürlich gibt es immer wieder Einzelne, die über die Strenge schlagen." Das gelte aber auch für andere Parteien. Trotzdem "rümpft man als Funktionär die Nase und fragt sich, ob diese oder jene Äußerung sein musste". Doch wenn man die AfD als Gesamtheit betrachte, müsse man "zu dem Schluss kommen, dass diese Einzeläußerungen nicht ins Gewicht fallen".
Zentralrats der Juden begrüßt Entscheidung

"Es ist schon lange keine Ausnahme mehr, dass Politiker der AfD mit demokratiefeindlichen Äußerungen von sich reden machen", meint dagegen Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen im Bundestag. "So harmlos-bürgerlich, wie die AfD sich immer wieder zu geben versucht, ist sie nicht." Teile der AfD seien mit gewaltbereiten, rechtsextremen Gruppen vernetzt, "von denen einige sogar terroristische Bestrebungen haben". Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sieht in der Entscheidung des Verfassungsschutzes einen "Schritt in die richtige Richtung". "Jetzt ist Schluss mit der Unschuldsnummer der AfD", so Josef Schuster.
Während Vertreter von Union und SPD die Entscheidung des Verfassungsschutzes ebenfalls begrüßten, warnte FDP-Chef Christian Lindner die Parteien davor, sich über die mögliche Beobachtung der AfD zu freuen. "Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Parteien sich einer lästigen Konkurrenz über den Umweg über die Sicherheitsbehörden entledigen", sagte er.
Vom Prüffall zum Beobachtungsobjekt Eine Partei oder Organisation kann für den Verfassungsschutz zum Prüffall werden, wenn die Behörden erste Anzeichen für extremistische Bestrebungen erkennen. Bei einem Prüffall ist eine Beobachtung mit sogenannten V-Leuten oder anderen nachrichtendienstlichen Mitteln aber grundsätzlich nicht erlaubt. Derzeit stützt das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Einschätzungen zur AfD vor allem auf öffentlich zugängliches Material. Wird eine Organisation dagegen zum Verdachtsfall erklärt, so ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel möglich, wenngleich auch nur sehr eingeschränkt. Beispielsweise ist dann eine Observation gestattet, ebenso das Einholen bestimmter Informationen von Behörden. Während bei Verdachtsfällen personenbezogene Daten gespeichert werden können, werden bei Prüffällen keine sogenannten Personenakten angelegt. Für die Frage, ob etwa eine Partei vom Verfassungsschutz beobachtet und damit zum Beobachtungsobjekt wird, ist entscheidend, ob extremistische Mitglieder oder Strömungen prägend sind für das Gesamtbild der Partei. Dann können auch V-Leute und die Überwachung von Telekommunikation (auch bei Verdachtsfällen) zum Einsatz kommen.