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München: Vom Team Vorsicht zum Team Hoch-Inzidenz: Was ist beim bayerischen Corona-Management falsch gelaufen?

München

Vom Team Vorsicht zum Team Hoch-Inzidenz: Was ist beim bayerischen Corona-Management falsch gelaufen?

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    Vom Spielführer im "Team Vorsicht" zum Regierungschef  im Hoch-Inzidenz-Land Bayern: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kämpft im zweiten Corona-Winter mit Problemen. 
    Vom Spielführer im "Team Vorsicht" zum Regierungschef  im Hoch-Inzidenz-Land Bayern: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kämpft im zweiten Corona-Winter mit Problemen.  Foto: Sven Hoppe, dpa

    Im ersten Jahr der Corona-Pandemie schien Markus Söder (CSU)  die Rolle des nationalen Covid-Krisenmanagers wie auf den Leib geschnitten: Wenn der selbsternannte Spielführer vom "Team Vorsicht" das Wort ergriff, hörte nicht nur Bayern zu, sondern meist ganz Deutschland. Doch mit dem Beginn des zweiten bayerischen Pandemie-Winters schien dem Ministerpräsidenten plötzlich die Kontrolle zu entgleiten: Niedrige Impfquoten im Freistaat, sehr viele Covid-Neuinfektionen und überlaufende Krankenhäuser trafen auf eine Söder-Regierung, die noch im November erschreckend planlos und unvorbereitet wirkte.

    Wie kann es sein, dass aus Söders "Team Vorsicht" das "Team Hoch-Inzidenz" wurde? Was ist falsch gelaufen beim bayerischen Corona-Management im Sommer 2021? Welche Kritik an Söder ist berechtigt? Und vor allem: Zieht der Regierungschef die richtigen Konsequenzen für die Zukunft?

    Auch viele Experten hätten die neue Corona-Dynamik unterschätzt, findet Söder

    Söder selbst erklärt die neue bayerische Corona-Krise mit äußeren Einflüssen: Hohe Infektionszahlen in direkten Nachbarländern wie Österreich und Tschechien führten durch viele Pendler und Grenzgänger zwangsläufig auch in Bayern zu steigenden Inzidenzen. Dazu habe vor allem im Süden Bayerns "Impfskepsis eine lange Tradition". Auch hätten die Menschen zwar mehr Eigenverantwortung eingefordert. Bei der Umsetzung von Corona-Regeln habe die Verantwortung aber allzu oft gefehlt, kritisiert der Regierungschef.

    Alles Erkenntnisse, die nicht wirklich überraschend sind. Hätte Söder also bereits im Sommer politisch vorsichtiger sein müssen? "Dass eine vierte Welle droht, haben viele befürchtet, auch ich", entgegnete er kürzlich im Landtag: "Aber die Dynamik und die Geschwindigkeit haben viele nicht gesehen – auch ich nicht." Im Spätsommer habe zudem niemand in Bayern strengere Corona-Regeln gefordert. In der Tat musste Söder damals harte Kritik einstecken, weil Bayern als letztes Bundesland die Diskotheken wieder öffnete.

    Richtig ist auch, dass Söder im Sommer nicht müde wurde, weiter vor Corona zu warnen und die Menschen zum Impfen aufzurufen: "Impfen ist keine Privatsache und die einzige Chance, sich vom Damoklesschwert Corona zu befreien", warb er schon Mitte Juli. Der lahmenden Impfbereitschaft setzte Söder jedoch vor allem griffige Slogans entgegen: "Impfen To-Go" versprach er etwa. Oder einen "Impf-Turbo" für Bayern.

    Grüne: Warum stand im Sommer nicht an jeder Ecke in Bayern ein Impf-Bus?

    Doch der Turbo wollte nicht zünden: Bayerns Impfquote verharrte im Bundesländer-Vergleich im Keller. Kampagnen wie das Impfen an den Schulen liefen bestenfalls schleppend. Wenn aber klar gewesen sei, dass sich viele Menschen in Bayern schwer tun mit dem Impfen, "da frage ich mich, warum nicht an jeder Ecke in Bayern ein Impf-Bus stand", kritisierte etwa Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze kürzlich im Landtag.

    Beim Impfen der besonders gefährdeten Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen beteuerte Söders Regierung im Spätsommer immer wieder, man komme dort mit dem "Boostern" gut voran – bis Anfang November herauskam, dass noch gut ein Drittel der Heimbewohnerinnen und -bewohner ohne Drittimpfung war. Viele Einrichtungen "haben das Angebot wahrgenommen, leider nicht alle", erklärte Söder dazu lapidar im Landtag. Die Frage, warum seine Regierung dann nicht mehr Druck gemacht hatte, blieb unbeantwortet.

    Viele Impfzentren waren nicht auf die erneut steigende Impfbereitschaft vorbereitet

    Überhaupt das Boostern: Im Oktober forderte Söder, die Drittimpfung für alle freizugeben, möglichst schon nach fünf Monaten. Doch die Ständige Impfkommission (Stiko) habe dies zu lange verhindert, kritisiert er nun. Allerdings lief das Boostern auch nach der Stiko-Freigabe im November nur schleppend: Zwar hatte Bayern im Gegensatz zu anderen Bundesländern die meisten Impfzentren im Spätsommer nur "runtergefahren" statt komplett geschlossen. Doch die Wiederinbetriebnahme stockte – trotz der eigentlich langen Anlaufzeit. Die Folge: Als die Impfbereitschaft in Bayern endlich wieder stieg, konnte die Nachfrage vielerorts nicht wirklich erfüllt werden.

    Insgesamt fehlte der Söder-Regierung offenbar ein konkreter Plan für den zweiten Corona-Winter: Ende August war zwar eine "Corona-Ampel" eingeführt worden, jedoch ohne konkrete Regeln für die einzelnen Warnstufen. Als die Ampel zwei Monate später dann tatsächlich umsprang, wirkte die Regierung überrascht. Die spät beschlossenen Maßnahmen schienen mit heißer Nadel gestrickt, sorgten für viel Verwirrung und mussten teilweise sogar mehrfach korrigiert werden.

    Markus Söder zögerte im Herbst lange, die Corona-Zügel wieder anzuziehen

    Und Söder? Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl zog er sich zunächst zurück. Bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten wirkte er müde und angeschlagen. Noch Ende Oktober zögerte er trotz bereits steigender Neuinfektionen erstaunlich lange, die Corona-Zügel wieder anzuziehen. Auch die Kontrollen der geltenden Zugangsbeschränkungen etwa in der Gastronomie blieben in Bayern lange lasch. Zudem hatte Söder schon im Bundestagswahlkampf Druck auf die vielen Ungimpften unter den Wählern vermieden: "Wir reichen den Skeptischen, den Unsicheren bewusst die Hand", warb er etwa Anfang September. Einen Lockdown nur für Ungeimpfte schloss Söder sogar noch Ende Oktober aus, ebenso eine Impfpflicht.

    Ein Kurs, den er nun - nur wenige Wochen später - um 180 Grad gedreht hat: Man habe zu lange nur "über die Sorgen und Gefühle der Ungeimpften" gesprochen, findet der bayerische Ministerpräsident jetzt. Eine Spaltung der Gesellschaft lasse sich eher heilen, wenn man durch eine Impfpflicht die "Endlosschleife Corona" möglichst schnell überwinde, so Söders neue Überzeugung.

    Söder spürt schon wieder politisches Oberwasser – doch was ist mit der Selbstkritik?

    Politisch spürt er sogar schon wieder Oberwasser: Seine Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht von Mitte November sei inzwischen "nationale Zielsetzung". Die meisten der in der vergangenen Woche in Berlin beschlossenen Regelverschärfungen habe Bayern zudem längst umgesetzt: "Und es wirkt, was wir getan haben", lobte Söder sich selbst mit Blick auf die Corona-Entwicklung in Bayern – trotz immer noch sehr hoher Corona-Zahlen und voller Intensivstationen.

    Doch hat Bayerns Regierungschef wirklich etwas aus den vergangenen Monaten gelernt? Was Söder vor allem fehle, sei "auch nur ein Funken Selbstkritik", warnt Grünen-Chefin Schulze: Immer seien für ihn andere schuld – die neue Regierung in Berlin, die Nachbarländer, die sorglosen Bürgerinnen und Bürger, die Esoteriker und Querdenker im Voralpenland. "Wir müssen endlich schneller werden, als dieses Virus", verlangt Schulze von Söder. Dafür seien Führungsstärke und Mut nötig: "Aber auch Reflexion und eine echte Fehleranalyse."

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