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MÜNCHEN: Warum "Irgendwie und Sowieso" Kult ist

MÜNCHEN

Warum "Irgendwie und Sowieso" Kult ist

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    Irgendwie Kult: von links Robert Giggenbach (Effendi), Olivia Pascal (Christl Burger), Toni Berger (Martin Binser) und Elmar Wepper (Sepp Gruber).
    Irgendwie Kult: von links Robert Giggenbach (Effendi), Olivia Pascal (Christl Burger), Toni Berger (Martin Binser) und Elmar Wepper (Sepp Gruber). Foto: Foto: BR, Tellux-film

    Es gibt a Zeit, da gehts miteinand. Und es gibt a Zeit, da gehts auseinand. Und die fangt jetzt o!“ Es sind Sätze wie diese, die in ihrer Schlichtheit Lehrstunden in Sachen bayerischer Lebensart sind. Irgendwie einzigartig. In kaum einer Fernsehserie ist die Dichte an Alltagsphilosophie, liebenswerten Typen mit Ecken und Kanten größer als in „Irgendwie und Sowieso“. Wer sie gesehen hat, versteht, wie Provinz funktioniert. Und noch viel mehr. Denn wahr ist: Der Bayer beschaut gerne mal die eigene Seele. Muss es einen also wundern, dass diese zwölfmal 50 Minuten, erstmals ausgestrahlt 1986, zu einem großen Stück Fernsehkult wurden?

    Der Münchner Regisseur Franz Xaver Bogner holt die Jahre der langen Haare und kurzen Röcke aufs Land – heiter, besinnlich und gewürzt mit skurrilen Anekdoten. Die Jüngeren können sich das vermutlich nicht mehr vorstellen: 1968, Kreis Ebersberg, Münchner Speckgürtel. Revolutionäres und erzkonservatives Gedankengut prallen aufeinander. Das war im wahren Leben oft gar nicht lustig. Im Fernsehen aber wurde es legendär.

    Die Dialoge wurden daheim quer durch die Generationen nachgespielt, man fühlte sich sauwohl dabei. Das Frage-Antwort-Duell beispielsweise, als der Postbote Tango und der Automechaniker Sepp sich gegenseitig bestätigen, was ihnen wichtig ist im Leben: Beste Zeit? Unsere! Beste Gegend? Unsere! Bestes Auto? Caddy 59. Beste Musik? Unsere! Bester Song? Jambalaya!

    Beatles-Lieder für die Ochsen

    Spätestens jetzt ist es Zeit, all diejenigen, die die Serie nicht kennen, kurz in die Geschichte einzuführen: Die Auswirkungen der 68er-Bewegung sind auch in einem kleinen Dorf in Bayern zu spüren. Dort testet der Bauernsohn Alfons – wegen seines Mopeds „Sir Quickly“ genannt – moderne Methoden in der Tierhaltung. So spielt er seinem Ochsen „Ringo“ Lieder der Beatles vor, um ihn zu besseren Leistungen zu motivieren. Sein verhärmter und oft betrunkener Stiefvater ist damit nicht einverstanden. Es gibt Krach. Der Sir, verkörpert von Ottfried Fischer, der hinter jeden Satz ein „sowieso“ setzt, verlässt den Hof, um „auf Wanderschaft“ zu gehen.

    Zu seinen Freunden gehört der Schulabbrecher „Effendi“, ein gesellschaftspolitischer Schwätzer vorm Herrn, gespielt von Robert Giggenbach. Er ist der „Irgendwie“, der sich auf nichts festnageln lassen will und das Gedankengut der 68er-Generation auf dem Land vergeblich zu verbreiten versucht.

    Es prägen noch andere Figuren diese Serie. Großartig: Elmar Wepper als wortkarger Kfz-Mechaniker Sepp. Er ist der uneheliche Sohn des Holzhändlers Martin Binser, dargestellt vom 2005 gestorbenen Toni Berger. Sirs weitere große Leidenschaften neben Moped und Musik sind Himbeerjoghurt und sein Schwarm Christl, gespielt von der heute fast vergessenen Olivia Pascal. Michaela May als verführerische Großstadtbraut Marlene oder Bruno Jonas als Postbote Tango runden die grandiose Besetzung ab.

    Am Ende zerbrechen die Freundschaften und jeder geht seinen eigenen Weg. Dem Zuschauer kommen vor Rührung die Tränen. Die Titelmusik stammt übrigens von Haindling und ist fast so etwas wie eine heimliche Bayernhymne geworden.

    Noch heute, 30 Jahre nach der Erstausstrahlung, pilgern Fans zu den Drehorten: zum Bauernhof von Sir bei Grüntegernbach im Kreis Erding, zum Kirchturm in Vilsbiburg, von dem herunter der Bauernbub nachts die Stadt mit Rockklassikern beschallt, zum alten Südfriedhof in München, wo Tango beerdigt wird. Es soll sogar Anhänger geben, denen die Serie so unter die Haut ging, dass sie sich die besten Sprüche tätowieren ließen. Schließlich besitzen viele Zitate eine zeitlose Gültigkeit. Dieses etwa: „Jetzt is hoid irgendwie ois ganz anders. Gestern wars no irgendwie wie früher und jetzt, jetzt is so wia nachher. Und i glaub, dass früher scheena war.“ Wie sie so im Dialekt traurig resümiert, trifft die Fuhrunternehmer-Tochter Christl Burger einen direkt ins Herz.

    Wo fallen einem solche Geschichten ein?

    Franz Xaver Bogner kann den Kult um die Serie bis heute nicht fassen: „Ein Wahnsinn, hätte ich nie gedacht.“ Der 67-Jährige nimmt die Komplimente, die er nach wie vor bekommt, mit der Gelassenheit eines gereiften Filmemachers auf. Wie kommt man auf so ausgefallene Ideen, so subtile Charaktere? Der Schöpfer auch anderer erfolgreicher Serien wie „Zur Freiheit“ oder „München 7“ gehört zur Gattung der am Boden gebliebenen Größen der Branche.

    Natürlich weiß er noch, wer ihn damals inspiriert hat: „In meinem Heimatort Pliening gab es einen Typen, einen jungen, etwas verrückten Bauernburschen, der tigerte immer mit Telefunken-Gerät und Hut auf einem NSU-Moped im Dorf herum. Der fuhr direkt auf die Leute zu, so dass sie Angst bekamen. Wenige Meter vor ihnen bremste er plötzlich und raunzte sie an: Gell, du mogst mi ned! Das ist eigentlich der Ursprung von Sir Quickly.“ Der korpulente Ottfried Fischer passte zu dieser Rolle wie die Faust aufs Auge.

    Wann, so fragt man sich, fallen einem eigentlich Geschichten wie die Mutprobe beim „amerikanischen Roulette“ ein, wo der Sepp und seine Freunde, ohne zu schauen, über eine Kreuzung rasen? Abends, nach drei Glas Wein? „Nein, oft beim Duschen.“

    Und sein Erfolgsrezept? „Ich suche immer das Große im Kleinen und fördere es – gerade, was Charaktere angeht“, sagt er. Das liege ihm näher als große Kracher. Handlung sei nicht so wichtig. Bogner gewann mit dieser Strategie den Bayerischen Fernseh- und zweimal den Adolf-Grimme-Preis.

    Letzteren hätte er allein für einen Satz verdient, den er Ottfried Fischer in den Mund legt: „Dahoam is do, wos Gfui is.“ Das Gefühl für so dichte Sprüche entwickelt Bogner überraschenderweise nicht bei Sonnenuntergang, sondern bei Sonnenaufgang. „Ich stehe morgens um vier auf. Da ist die Welt noch ruhig“, verrät er. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Branche ist der Sprachtüftler einer, der Partys aus dem Weg und stattdessen früh ins Bett geht. Da bleibe man nüchtern – und selbstkritischer.

    Der Vater vierer Kinder, der in der Nähe von München lebt, hatte schon immer eine ausgeschlafene, klare Vorstellung von seiner Zukunft: „Ich wollte sofort nach dem Abitur zum Film. Regisseur, das war mit 21 mein Traumberuf und ist es auch heute noch.“ Als er sich an der Münchner Filmhochschule bewarb, musste sich Bogner unter 2000 Bewerbern einreihen: „16 wurden genommen, darunter glücklicherweise auch ich.“

    Der Bayerische Rundfunk, der das ehrgeizige Projekt „Irgendwie und Sowieso“ mit produzierte, profitierte schon bald vom Jung-Regisseur. Doch ganz so einfach war das anfangs nicht. „Eigentlich war es katastrophal, weil wir mit der Serie sämtliche Rahmen sprengten.“ Auch mit den Finanzen soll es nicht zum Besten gestanden haben.

    So ein Projekt, sagt Bogner heute, wäre im Zeitalter der Controller nicht mehr möglich. Für derart ambitionierte Ideen stünde nicht mehr genug Geld zur Verfügung. Zudem müsse heute alles immer noch schneller geschnitten werden, damit die jungen Zuschauer am Fernsehgerät dranbleiben.

    Applaus für die Figur des Binser

    Ein Erlebnis widerspricht allerdings letzterer These. Vor nicht allzu langer Zeit wurde „Irgendwie und Sowieso“ in der Muffathalle in München mal wieder vorgeführt, jeden Abend drei Folgen. „Ich habe mit mir gehadert, ob ich da überhaupt hingehen soll, damit ich nicht in das Heer der Alt-68er einfalle.“ Seine Kinder haben ihn schließlich überzeugt, mit ihnen vorbeizuschauen. Der Regisseur war ziemlich erstaunt über das, was er dort sah. Da waren kaum in die Jahre gekommene Alt-68er, wie er erwartet hatte. „Das Durchschnittsalter der Zuschauer lag um die 20. Ich dachte, ich spinne. Die konnten ganze Passagen auswendig und haben das mitskandiert“, erzählt er.

    Am meisten Applaus bekam bei diesen öffentlichen Veranstaltungen die Figur des alten Binser. „Die haben den goutiert wie Dagobert Duck“, freut sich Bogner noch immer. Ob er eine Ahnung habe, warum? Der Filmmann vermutet, weil der Fuhrunternehmer so archaische Menschenkenntnis geprägt habe: „Freiheit, dass i ned lach! Freiheit gibts nicht. Es gibt nur Wahrheit, und die ist grausam genug. Die wenigsten kennans, und die meisten geben nur an damit.“  

    Politisch völlig unkorrekt sei der Binser, sagt Bogner. Und schon ist man mit ihm in einer gesellschaftskritischen Diskussion. „Darum scheint der Binser für junge Leute ein Vorbild zu sein“, mutmaßt der politisch Interessierte. Er hofft, dass solche Reaktionen wie in der Muffathalle eine Sehnsucht der Jugend nach eigenem Charakter und Mut widerspiegeln: „Das wäre gut. Ansonsten ersaufen wir ja in Gleichförmigkeit.“ In „Irgendwie und Sowieso“ gebe es ein paar Leute, die sich nicht an die Regeln hielten. Bogner hält das für ein Grundgefühl, von dem man in jungen Jahren getragen werden sollte, „damit man die Ruhe später besser genießen kann“.

    Fortsetzung? Vielleicht.

    Bogner kann sich vorstellen, noch einmal eine Art „Irgendwie und Sowieso“ zu schreiben. Gefühlte 5000 Mal sei er schon gefragt worden, ob er sich das vorstellen könne. Eine Fortsetzung soll es aber nicht sein: „Das mache ich garantiert nicht. Ich lasse die Darsteller doch nicht im Alter herumrumpeln.“ Wie genau die Handlung aussehen könnte, dazu hat Bogner noch keine konkrete Idee. Zumindest verrät er sie nicht. Stoff, der ihn bewegt, hätte er durchaus: „Ich glaube, vielen jungen Leuten täte es gut, wenn sie sich wieder mehr trauen und aufbegehren würden“, wiederholt er und vertritt die These: Nur durch Widerstand oder – um im Bild der Erfolgsserie zu bleiben – „durch Rebellion gegen sich und andere formt sich der Mensch“.

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    Was aus den Serien-Stars von einst und dem Regisseur geworden ist Ottfried Fischer: Die Rolle als „Sir Quickly“ war sein Durchbruch. Großartig, wie er gegen den Stiefvater und für die Liebe kämpft, Ochsen reitet und rebelliert, Joghurt in sich hineinschaufelnd, am Kirchturm. Auch als „Bulle von Tölz“ und „Pfarrer Braun“ spielte er sich in die Herzen der Fernsehzuschauer. Als Kabarettist füllt Fischer, 62, nach wie vor die Säle. Als die Ärzte 2008 bei ihm Parkinson diagnostizierten, stellte er sich der Krankheit: „Seien Sie beruhigt, ich werde Ihnen keine Schüttelreime liefern.“ Seine Memoiren hat Fischer schon verfasst. In „Das Leben – ein Skandal“ erzählt er von seiner bäuerlich-katholischen Sozialisation, dem Prozess um ein Sexvideo und von seiner Krankheit. Elmar Wepper: Nie war der Mann so lässig wie in dieser Rolle. Als „Sepp“ mit seinen coolen Koteletten und dem breitbeinigen Gang verkörperte er den James Dean aus Oberbayern mit unnachahmlicher Würde. Elmar Wepper war allerdings schon vor der Serie eine Nummer im Schauspielgeschäft. Mit 13 Jahren stand der 1944 in Augsburg geborene Wepper mit seinem älteren Bruder Fritz zum ersten Mal vor der Kamera. Auch in zahlreichen Fernseh- und Kinofilmen zeigte Wepper später seine Vielseitigkeit. Für seine Rolle in Doris Dörries Film „Kirschblüten – Hanami“ bekam er den Bayerischen Filmpreis und den Deutschen Filmpreis. Olivia Pascal: Ihre ersten Rollen spielte die inzwischen 59-Jährige in den 1970er Jahren in Soft-Pornos und Erotik-Komödien. Doch als „Christl“ bewies sie in „Irgendwie und Sowieso“, dass sie auch mit Kleidung einen unnachahmlichen Sex-Appeal und dazu einen melancholischen Hang zum Philosophischen hat. Bis in die 90er Jahre erhielt die Münchnerin feste Rollen in populären Serien wie „Die Schwarzwaldklinik“ oder „SOKO 5113“. Toni Berger: Als „Binser“, als reicher und mit allen Wassern gewaschener Holzhändler, war Berger der Senior unter den Hauptdarstellern. Obwohl er in dieser knorrigen Rolle sehr stark ist, verbindet man ihn noch stärker mit seinem Part im Brandner Kaspar. „Der Tod ist tot“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“, als der Volksschauspieler 2005 mit 83 Jahren starb. Franz Xaver Bogner: Er ist der Regisseur und der Vater der Serie. Als „Fellini aus Pliening“ beschreibt ihn das Münchner Boulevard-Blatt „tz“ einmal. Tatsache ist: Wenn Franz Xaver Bogner eine Fernsehserie entwickelt, wird sie meistens Kult. Das Erfolgsrezept des Regie-Routiniers lautet: Man kann das meiste, was man im Leben erfährt, als Anekdote pointiert verarbeiten. Mit „Moni's Grill“ hat er gerade ein neues Format entwickelt, das Serie und Talk miteinander verbinden soll. Die Premiere-Folge mit Monika Gruber und Christine Neubauer läuft am Donnerstag, 22. September, im Ersten. Die neue Comedyserie wird ab dann jeweils donnerstags um 23.30 Uhr in der ARD zu sehen sein. Geplant sind zunächst sieben Folgen, die einen Tag später noch einmal um 19.30 Uhr im BR Fernsehen gezeigt werden. JKG/ FOTO: DPA

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