Wer demnächst an Bahnhöfen oder Flughäfen unterwegs ist, der könnte ihr bald begegnen. Botticellis "Venus" als Influencerin, mit Pizza, Minirock, Fahrrad und Smartphone. Ein Skandal? "Die Geburt der Venus" ist eines der berühmtesten Gemälde der Welt, gefertigt Ende des 15. Jahrhunderts von Sandro Botticelli. Man kann es in den Uffizien in Florenz bewundern. Die italienische Tourismusbehörde zusammen mit der zuständigen Ministerin Daniela Santanché haben die Venus nun für ihre Zwecke missbraucht, wie einige Kulturschaffende und Politiker in Italien finden. Banalisierte Hochkultur, so lautet knapp zusammengefasst der Vorwurf.
In ihrer neuen Werbekampagne für den Tourismus in Italien mit dem Titel „Open to meraviglia“ (Offen fürs Wunderbare) kommt die göttliche Venus nun eher plump daher. Auf dem Markusplatz in Venedig schießt sie, in Designermantel und mit Designertäschchen, ein Selfie. Vor einem Panorama des Comer Sees schiebt sich die manipulierte Göttin ein Stück Pizza in den Mund. Im Sommerkleid posiert die modernisierte Venus vor der Kulisse des apulischen Küstenstädtchens Polignano a Mare. Schließlich ist sie noch mit einem Fahrrad vor dem Kolosseum in Rom zu sehen. "Sie wird den ganzen Stiefel bereisen, um der Welt die Wunder Italiens zu zeigen", hieß es bei der Vorstellung. Ein moderner Mythos sollte da geschaffen werden, eine Zeitgenossin mit atemberaubender Geschichte.
Kritik am Venus-Werbefilm: "Banalität" und "Mittelmäßigkeit"
In der italienischen Öffentlichkeit wurde diese Absicht bislang eher nicht goutiert. Der Corriere della Sera schrieb von einem "Kunstmythos, der nur allzu oft manipuliert und trivialisiert wird". Starfotograf Oliviero Toscani, weltberühmt für seine Benetton-Kampagnen, sprach von einer "Kampagne, die allen gefallen soll und niemand gefällt". Er stellte außerdem "Banalität" und "Mittelmäßigkeit" fest. Herhalten muss im allgemeinen Unmut auch Italiens bekannteste Influencerin Chiara Ferragni, die 30 Millionen Follower an ihrem Familienleben teilhaben lässt und unzweifelhaft das lebendige Vorbild für die Venus-Kampagne ist. Sogar aus der Regierung selbst kam Kritik. Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi echauffierte sich über die Banalisierung der Hochkultur. Da die echte Venus nackt sei, wäre es "besser gewesen, sie so zu sehen, ohne sie zu verkleiden alla Ferragni", sagte er.
Die Kritik an der Kampagne reichte gleichwohl weit über die angebliche Misshandlung der Florentiner Göttin hinaus. Wie herauskam, wurden Szenen aus einem entsprechenden Werbefilm auf einem Weingut in Slowenien gedreht, von einem holländischen Regisseur, und das gefördert von einer Rechts-Regierung, die sich die Förderung alles Italienischen auf die Fahnen geschrieben hat. Neun Millionen Euro sollen für die Kampagne bereitgestellt worden sein. In dem Filmchen werden auch Luxusresorts beworben, die sich Normalsterbliche nicht leisten können. In einem jener Etablissements sollen Kinder keinen Zutritt haben, und das bei einer Regierung, die angeblich den Geburtenrückgang in Italien bekämpfen will.
Auch der Bürgermeister von Florenz meckerte über die Kampagne
Schließlich meckerte auch Dario Nardella, der Bürgermeister von Florenz, wo sich Botticellis Gemälde befindet. "Heute die Venus mit Pizza, morgen Donatellos David mit Mandoline? Macht bitte aus unserer Kunst keine Folklore!", sagte Nardella. Die ausführende Werbeagentur Armando Testa reibt sich derweil die Hände. "Armando Testa dankt, und die Venus mit uns", schrieben die Werber in einer Anzeige im Corriere della Sera. "Seit 500 Jahren hat man nicht mehr so viel über sie gesprochen. Wenn das kein Wunder ist!"