Experten lassen kaum einen Zweifel: Ein zumindest vorübergehender Weiterbetrieb der deutschen AKWs hätte einen positiven Einfluss auf das Niveau der hiesigen Energiepreise, die nun über jenen anderer großer Industrienationen liegen. Dass dies einen Nachteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeutet, dafür bedarf es keiner allzu großen Phantasie.
Das Erstaunliche an der Entscheidung des Bundes: Während im April 2023 hierzulande die letzten verbliebenen Atomkraftwerke (Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2) abgeschaltet wurden, setzen europäische Nachbarländer munter weiter auf diese Form der Energiegewinnung. Gleich elf EU-Staaten (darunter Frankreich, Niederlande und Polen) vereinbarten eine "Nuklear-Allianz", erklärte tagesschau.de.
Wie wirkt sich die Energiewende auf die Preise in Deutschland aus?
Was bedeutet die Energiepreisentwicklung für Deutschland? Wie die Bundesregierung mit Bezug auf die Bundesnetzagentur schilderte, hatten die verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland ohnehin nur mehr einen Anteil von rund fünf Prozent an der gesamten Stromproduktion. Steffi Lemke, Bundesumweltministerin von den Grünen, bezeichnete das Abschalten als "wichtigen Schritt" im Hinblick auf die Energiewende. "Die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar", ließ die 55-Jährige wissen.
"Strom wird bereits jetzt für die kommenden Wochen und Monate gehandelt, es sind keine Preisanstiege an den Märkten erkennbar", schilderte Energiemarkt-Expertin Christina Wallraf von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegenüber der Frankfurter Rundschau. Laut Verivox könne sich das Abschalten der Atommeiler letztlich aber doch bemerkbar machen. "Es wird darauf ankommen, wie schnell der Ausbau der Erneuerbaren voranschreitet und wie gut die fehlenden Kapazitäten ausgeglichen werden können", urteilten die Experten des Vergleichsportals. Das war Mitte April 2023. Wie gestaltet sich die Lage Anfang Mai?
Energiepreise in Deutschland seit Oktober ein Drittel gesunken
Ebenfalls laut Verivox seien nun die Energiepreise in Deutschland seit ihrem Hoch im Oktober um fast ein Drittel gesunken. Verglichen mit dem Zeitpunkt vor der Energiekrise müssten Haushalte allerdings immer noch etwa 50 Prozent mehr für Strom und Heizung zahlen, führt die Berliner Morgenpost mit Verweis auf das Portal aus.
Die zwei wesentlichen Gründe für das jüngste Sinken der Kosten seien die staatlichen Energiepreisbremsen sowie Rückgänge auf den Rohstoffmärkten. Versorger würden die niedrigeren Kosten demnach an die Verbraucher und Verbraucherinnen weitergeben. Das wirke sich über das Jahr gesehen über mehrere Hundert Euro aus, bei Familien sogar Tausende. Wie die Berliner Morgenpost auf Basis von Verivox-Daten ausführt, seien im Vergleich zu Oktober 2022 noch mehr als bei Strom die Kosten für das Heizen heruntergegangen:
- Gaskosten: 41 Prozent
- Ölkosten: 36 Prozent
- Stromkosten: 28 Prozent
Davon profitieren auch Autofahrer, die in Deutschland nun fünf Prozent weniger für Benzin zahlen müssen. Bei Diesel seien die Kosten sogar im Schnitt um etwa 20 Prozent gesunken.
Hohe Energiekosten in Deutschland Nachteil für Industrie und Wirtschaft
Was im Privatsektor zu einem vorläufigen Durchatmen beiträgt, scheint für Industrie und Wirtschaft jedoch zu spät zu sein: Ein Bericht schlägt diesbezüglich Alarm und bestätigt die Befürchtungen mancher Experten: Für zahlreiche Unternehmen wird der Standort Deutschland unattraktiv, weil zu teuer. Denn aufgrund der hierzulande höheren Energiepreise entscheiden sich weite Teile für Investitionen im Ausland statt in der Heimat, so die Bild.
Darauf lässt zumindest eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) schließen, in der sich 5100 Unternehmen diesbezüglich äußerten. Gerade mal jedes dritte davon plane angeblich höhere Investitionen in der Eurozone, stattdessen seien besonders Nordamerika, aber auch Afrika und Asien die attraktivere Wahl. Neben den Kosten für Energie seien steigende Zinsen, der Fachkräftemangel sowie geopolitische Unsicherheiten der ausschlaggebende Faktor, heißt es im Bericht.
Wie extrem der Unterschied derzeit beispielsweise zwischen Deutschland und den USA ist, erklärte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier der Frankfurter Allgemeinen: "Bei den Gaspreisen werden wir immer noch beim Vier- bis Fünffachen dessen liegen, was Unternehmen in den USA für Prozesswärme zahlen müssen."
Die Abkehr von günstigem, russischen Erdgas in Verbindung mit teureren Ersatzquellen sowie die Mega-Subventionen der US-Regierung ("Inflation Reduction Act") bilden demnach die Gemengelage für die veränderte Lage auf dem Energiesektor.
Weitere Energie-Subventionen für die Industrie? Lindner zweifelt
Finanzminister Christian Lindner hat derweil Vorbehalte gegen einen staatlich subventionierten, günstigeren Strompreis für die Industrie. Als "ökonomisch unklug" bezeichnet das der FDP-Politiker in einem Beitrag für das Handelsblatt, es widerspreche den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Zudem wäre eine derartige Maßnahme wohl nur auf Kosten anderer Stromverbraucher und der Steuerzahler umsetzbar.
Und wie ist die aktuelle Entwicklung der Energiepreise? Im April haben sie amtlichen Zahlen zufolge wieder angezogen. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) schildert, verteuerten sich die Kosten nach Berechnungen des Bundesamtes gegenüber dem Vorjahresmonat um 6,8 Prozent.
An anderer Stelle machen neue Gesetze Druck zum Austausch von Heizungen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.