Die Großmutter hat es damals immer gesagt: „So lernt das Mädchen das Schreiben nicht.“ Von der „Lesen durch Schreiben“-Methode, die lange in Bayerns Schulen angesagt war, hielt die Großmutter nämlich nichts. Texte ihrer Enkelin im Stil von „Wia schpiln im Paak“ bestätigten sie in ihrer Ablehnung. Durchs wilde Drauflosschreiben nach Gehör und ohne zeitnahe Lehrerkorrektur präge sich das Kind doch nur Rechtschreibfehler ein, meint die Großmutter. Das damals von Lehrern ins Feld geführte Gegenargument, wonach die neue Methode die Lust am Schreiben fördere, vermochte sie nicht zu überzeugen. „Wenn man oft genug die gleichen Fehler machen darf, dann bleibt das in der Hand“, unkte sie.
Warum man sich im Nachhinein über methodische Irrwege aufregen sollte
Was soll man sagen? Die Großmutter hatte, obwohl sie von Deutsch-Didaktik nichts verstand, vollkommen Recht. Vielleicht hatte sie gerade deswegen Recht, weil sie sich auf Deutsch-Didaktik nicht einließ, sondern nur ihrem gesunden Menschenverstand vertraute. Nachträglich kann sie sich, können sich auch viele andere (Groß-)Eltern in ihrer Kritik an der „Lesen durch Schreiben“ -Methode bestätigt fühlen. Eine neue Studie der Uni Bonn weist zweifelsfrei nach, dass der althergebrachte Fibelunterricht die beste Methode ist, Kindern das Schreiben beizubringen. Kinder, die anhand der Fibel erst einfache, dann schwierigere Wörter lernten, machten in der vierten Klasse halb so viele Rechtschreibfehler wie „Lesen durch Schreiben“-Kinder. Bayern ist vor einigen Jahren, mit der Einführung des „Lehrplan Plus“, von der „Lesen durch Schreiben“ -Methode abgerückt und dringt im neuen Lehrplan auf Richtigschreibung von Beginn an. Alles gut?
Nein. Man sollte sich über das, was in der Vergangenheit war, aufregen – weil man aus Fehlern der Vergangenheit lernen kann. Man darf lästern über die damalige CSU-Kultusministerin Monika Hohlmeier, die in ihrer Amtszeit von 1998 bis 2005 nicht nur das G8 durchboxte, sondern eben auch diese irrwitzige Rechtschreibmethode des Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen den Grundschulen aufdrückte. Man darf fragen, warum damals einer gelernten Hotelfachfrau ohne Ahnung von Pädagogik das Kulturressort anvertraut wurde. Mit Blick auf die Zukunft muss man verlangen, dass Fach- und Sachkenntnis für Minister zur Conditio sine qua non gemacht wird – allein deshalb, weil Minister, die sich fachlich nicht auskennen, von ihren jeweiligen Ministerpräsidenten besser manipuliert werden können.
In Kinderseelen wirken die Politiker-Irrwege noch nach; beim Steuerzahler auch
Beide Systeme, die Hohlmeier den Bayern aufgezwungen hat, sind mittlerweile abgeschafft, wirken in Kinderseelen aber noch nach. Unerfreulich nur, dass Hohlmeier selbst – so wie die meisten Verantwortlichen in der großen Politik – für Irrtümer ja nicht zur Verantwortung gezogen wird. Denn sowohl für die materiellen wie auch die immateriellen Folgekosten von Politiker-Irrwegen zieht man die Bürger heran. Sei es als Steuerzahler, die je nach favorisiertem System Schulumbauten bezahlen, sei es als Eltern, die auffangen müssen, was Schulsysteme versaubeuteln – und noch mit Teenagern Rechtschreibung üben müssen. Im Nachhinein sei hier auch Kritik an Hohlmeiers Nachfolgern geäußert. Gerade bei der Rechtschreibdidaktik haben sie sich jahrelang blind aufs Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung verlassen, das die „Lesen durch Schreiben“-Methode favorisierte und Bayerns Lehrer in Schulungen diese Methode regelrecht eintrichterte.
Um auf die Bonner Wissenschaftler zurückzukommen: Schön, dass es deren Studie gibt, nachdem hunderttausende Schüler in Deutschland mit dieser Methode zu unsicheren Rechtschreibern herangewachsen sind. Schöner wäre es allerdings, wenn Minister wissenschaftlich fundierte Studien in Auftrag gäben und unbestechlich auswerteten, bevor sie in Schulen neue Methoden einführen. Klingt einfach, wird aber nicht nur in Bayern versäumt.