Wer kennt es nicht: Da hat man zum zehnten Mal den Schlüssel oder das Handy verlegt und es ist spurlos verschwunden. Oder beim Griff in den Kühlschrank fällt auf: "Mist, schon wieder keine Milch gekauft." All das ist alltäglich und nicht dramatisch. Es muss aber nicht sein, sagt Neurowissenschaftler und Gedächtnissportler Boris Konrad. Dafür verrät er einige seiner Tipps.
Die grauen Zellen zu trainieren, geht nicht von heute auf morgen, sondern braucht etwas Ausdauer. "Am Anfang baut man einen Gedächtnispalast. Dafür fängt man klein an, zum Beispiel mit der eigenen Küche. Ich weiß, wenn ich reinkomme, ist rechts der Kühlschrank, dann der Herd und so weiter", erklärt Konrad, der beispielsweise bei den Fernsehsendungen "Wetten, dass ...?" oder "Klein gegen Groß" mit seinem Gedächtnis beeindrucken konnte. Bilder und Emotionen helfen, Dinge längerfristig abzuspeichern. Um beim Einkaufszettel zu bleiben, kann es also helfen, ihn damit zu verknüpfen.
Ein Gedächtnispalast hilft, Dinge mental abzulegen und wiederzufinden
"Wenn ich in meine Küche gehe und den Kühlschrank öffne, dann stelle ich mir vor, da ist der geplatzte Milchkarton und eine große Sauerei. Und auf dem Herd, da liegen zermatschte Bananen oder ein Bananenbrei, den mein Sohn mir gekocht hat. Und dann brauche ich auch noch Taschentücher. Dafür stelle ich mir vor, ich öffne die Besteckschublade und da liegen viele schmutzige Taschentücher", erklärt Konrad. Und so stehen auf der gedanklichen Einkaufsliste nun Milch, Bananen und Taschentücher.
Natürlich könnte man einfach eine Liste aufschreiben, statt sich alles zu merken. Das aber fordere das Gehirn weniger heraus. Es ist also ein wenig wie beim Sport: Durch Bequemlichkeit werden die Muskeln fauler. Am leistungsfähigsten ist das Gehirn, laut dem Hirnforscher, wenn es immer herausgefordert wird. "Dabei geht es auch um Prävention vor Gedächtnisverlust im Alter", sagt er. Das muss nicht immer mit Gedächtnistechniken sein, aber es soll herausfordern. Auch in jüngeren Jahren sollte man schon mit dem Training beginnen. "Die Synapsen müssen immer wieder benutzt werden, damit sie am besten funktionieren", sagt Konrad.
Einschränkungen für Gedächtnistraining gibt es kaum. Nach unten gibt es allerdings Grenzen. Kinder sollten Sprache und Bild miteinander verknüpfen können und Schriftsprache beherrschen. Spätestens in weiterführenden Schule empfiehlt Konrad, mit Trainingstechniken zu beginnen. "Sachen merken kann ich halt nicht so gut", dachte sich der Gedächtnissportler selbst in der Schule. "Später habe ich gelernt, das ist Quatsch. Mit weniger Aufwand wäre da schulisch deutlich mehr möglich gewesen."
Bei Demenz können Übungen präventiv helfen
Für die Prävention ist das Training ab 50 oder 60 Jahren sinnvoll. "Es ist durch Studien belegt, dass pathologisch krankhafte Veränderungen bei Menschen, die spät eine Alzheimer- oder Demenzdiagnose bekommen, 20 Jahre vorher mit ersten Veränderungen beginnen. Darum ist es wichtig, eine kognitive Reserve, wie man es in der Forschung nennt, aufzubauen." Bei einer bereits fortgeschrittenen Erkrankung gibt es ebenfalls verschiedene Hilfen. Das von Boris Konrad empfohlene Training sei dann aber oft zu kompliziert, "einfach, weil schon zu viele Verbindungen verloren gegangen sind". Wenn man es aber noch kann, bringe es viele Jahre Lebensqualität.
Das Gedächtnistraining unterscheidet sich aber zum Training im Fitnessstudio. "Es geht mehr um die Technik, wie beim Fahrradfahren oder Schwimmen. Da reicht einmal schwimmen nicht aus, sondern man muss vielleicht einen Kurs machen, um die Technik zu beherrschen. Wenn man es dann kann, muss man nicht jede Woche Schwimmen gehen, da kann man auch den ganzen Winter Pause machen und kann es im Frühling trotzdem noch", sagt Konrad. Wenn die Technik also sitzt und immer wieder eingesetzt wird, muss kein tägliches Training sein.

Aber wie ist das mit dem Schlüssel oder dem Handy, das man ständig verlegt? Den Schlüssel oder das Handy zu verlegen sei kein Gedächtnisproblem, sondern ein Aufmerksamkeitsproblem. "Das Gedächtnis ist so aufgebaut - wir nehmen etwas durch die Sinne wahr, dann geht es in den Kurzzeitspeicher, der hat so vier bis sieben Plätze. Das ist ein extremer Flaschenhals", sagt er. Man müsse sich den Weg bewusst machen. "Ich sage mir dafür ganz bewusst "ich lege das Handy jetzt auf die Mikrowelle", dann war der Fokus einmal da und die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass ich es später wieder weiß." Bei Themen oder Aufgaben im Arbeitsalltag nutze er wieder den Gedankenpalast und weist einen Platz zu. "Wenn ich diese Verbindung baue, kann ich den Flaschenhals umgehen und es direkt ins Langzeitgedächtnis bringen", erklärt Konrad.
Für langfristiges Lernen sind Wiederholungen unverzichtbar
Einkaufslisten oder die Aufgaben des Arbeitstages kann man aber schnell wieder vergessen, wenn alles abgehakt ist. Wenn man eine Sprache lernt, sieht das schon ganz anders aus. Aus der Schule kennt man es vielleicht noch, dass die Französischvokabeln einfach nicht sitzen wollen, der neueste Popsong aber schnell im Kopf bleibt. "Das Lied hat vermutlich schon Emotionen ausgelöst, man hat es öfter angehört und im Idealfall sogar mitgesungen. Das kann man auch fürs Lernen nutzen", sagt Konrad. Dafür könne man sich ein Lied oder eine Geschichte ausdenken. Melodien seien besonders effizient, aber viel schwieriger, sofern es sie noch nicht gibt.
Da kann die Schlüsselmethode helfen: Das neue Wort, etwa lait für Milch, verknüpfe er mit einem deutschen Wort und einem Bild: "Die lä - sst sich nicht ausschütteln." Zusätzlich sind sinnvolle Wiederholungen wichtig. "Sich die Wörter fünfmal durchzulesen bringt nichts. Effizienter ist es, sich schon beim Lernen abzufragen." Studien zeigten, dass man sich dadurch nachhaltiger neue Wörter und Fakten merken kann. Das Gelernte sollte man heute, morgen, in einer Woche, in einem Monat und in einem halben Jahr wiederholen. Dann sitzt es.