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Interview: So bringen Sie mehr Bewegung in Ihren Alltag

Interview

So bringen Sie mehr Bewegung in Ihren Alltag

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    Ein Spaziergang kann helfen, sich auch im Berufsalltag ausreichend zu bewegen.
    Ein Spaziergang kann helfen, sich auch im Berufsalltag ausreichend zu bewegen. Foto: Paul Zinken/dpa (Symbolbild)

    Herr Professor Woll, die Deutschen sind bewegungsfaul. Das belegen Studien immer wieder. Gibt es dafür konkrete Gründe?
    PROFESSOR ALEXANDER WOLL: Ein wichtiger Grund ist sicherlich der gesellschaftliche Fortschritt. Erst vergangene Woche kam eine Studie heraus, die weltweit die Entwicklung von Übergewicht untersucht hat. Auffällig ist, dass je höher der Entwicklungsgrad einer Gesellschaft ist, desto größer ist das Problem der körperlichen Inaktivität und Übergewicht. Wir brauchen weniger Bewegung, um unseren Alltag zu bewältigen. Noch vor 100 Jahren haben 95 Prozent der Bevölkerung in Berufen gearbeitet, die körperlich anstrengend waren. Heute sind es unter fünf Prozent, und diese werden zunehmend durch Robotik entlastet, was auch gut ist, weil es oft einseitige Belastungen oder Fehlbelastungen sind. Aber letztlich führt der technische Fortschritt auch zu einer zunehmenden körperlichen Inaktivität im Alltag.

    Mehr als neun Stunden verbringen wir an Werktagen im Sitzen, die meiste Zeit davon am Arbeitsplatz. In vielen Unternehmen kommen deshalb Stehschreibtische zum Einsatz. Was bringen sie wirklich?
    WOLL: Ich finde wichtig, dass man das Problem in Firmen erkennt. Es gibt eine Reihe von Studien, die zeigen, dass nicht nur die Gesamtzeit, die man sitzt, relevant ist, sondern auch wie lange am Stück man sitzt. Deswegen machen diese, ich nenne sie jetzt mal Bewegungsunterbrechungen, auf jeden Fall Sinn. Sie ersetzen aber kein systematisches Ausdauer- oder Krafttraining, sondern sind ein sinnvoller Präventionsbaustein.

    Gibt es einen Richtwert, wie viel man sich täglich bewegen sollte? Ab wann hat man sich "genug" bewegt?
    WOLL: Kinder und Jugendliche sollten sich eine Stunde pro Tag mit mindestens moderater Intensität bewegen. Moderate Aktivität bedeutet, dass man dabei ins Schwitzen und etwas außer Atem kommt. Je jünger die Kinder, desto mehr Bewegung wird übrigens auch empfohlen. Die Empfehlungen für Erwachsene liegen nur bei einer halben Stunde pro Tag. Das erreichen nur zwischen 40 und 50 Prozent der Bevölkerung, je nachdem welche Studie man betrachtet. Bei den Kindern und Jugendlichen sind es nach unserer MoMo-Studie unter 20 Prozent, die die Empfehlungen schaffen. 

    Beim Gedanken an Alltagsaktivität haben viele im Kopf, dass man mindestens 10.000 Schritte am Tag gehen müsse. In sozialen Medien gibt es entsprechende "Challenges". Was halten Sie von solchen starren Zahlen?
    WOLL: Von starren Zahlen halte ich nichts. Ich würde sagen: Jeder Schritt zählt. Nichtsdestotrotz merke ich, wenn ich mich selbst als Beispiel nehme, dass es hilft, eine konkrete Zielstellung zu haben. Es müssen keine 10.000 Schritte sein, es können auch 6000 oder 8000 sein, aber wenn man ein Ziel hat, wird man auch ein wenig mehr dafür tun, um es zu erreichen. Sich Ziele zu setzen und dadurch Selbstwirksamkeit zu erfahren, ist immer gut für die Motivation. 

    Dass zu wenig Bewegung krank machen kann, ist generell bekannt. Welche Folgen des Bewegungsmangels sieht man bereits in unserer Gesellschaft?
    WOLL: Zum einen nehmen die klassischen Risikofaktoren zu, vor allem für Kreislauferkrankungen. Wir wissen, dass Bewegung in der Prävention eine wichtige Rolle spielt, etwa von kognitiven Erkrankungen. Beispielsweise bei Demenz, vor allem bei vaskulärer Demenz. Außerdem zeigen Studien, dass der Bewegungsmangel auch manche Formen von Krebs günstig beeinflusst und etwa ein Zusammenhang von Bewegungsmangel und Darmkrebs besteht.

    Viele nutzen Sport, um den Kopf freizubekommen. Was passiert mit unserer psychischen Gesundheit, wenn wir uns zu wenig bewegen?
    WOLL: Es ist schon lange bekannt, dass sich Bewegung günstig auf die psychische Gesundheit auswirkt. Die Bewegungstherapie kann bei depressiven Patienten genauso wirksam sein wie medikamentöse Therapie, aber natürlich mit viel weniger Nebenwirkungen. Aber: Sie wirkt eben nicht so schnell, weil es eine Verhaltensänderung ist, die erst mittel- und langfristig Ergebnisse zeigt. Wir wissen inzwischen aus verschiedenen Studien, dass auch bei Kindern und Jugendlichen die Bildungsleistungen beeinflusst werden können, genauso wie das soziale Wohlbefinden.

    Kann man bei Bewegung im Alltag eigentlich auch etwas falsch machen? 
    WOLL: Alltagsbewegung ist immer gut. Es gibt auch kein 'zu viel', höchstens, man macht viel einseitige Bewegungen. Wenn Sie beispielsweise im Garten arbeiten und umgraben und das stundenlang machen, dankt Ihnen der Rücken das nicht. Ansonsten ist die Intensität der körperlichen Alltagsaktivität zumeist nicht so hoch, dass man in Belastungsbereiche kommt, die sich negativ auswirken würden. 

    Können Sie zum Abschluss noch einige Tipps geben, wie man mehr Bewegung in den Alltag integrieren kann? 
    WOLL: Man sollte jede Minute nutzen. Das geht morgens beim Zähneputzen los, da kann ich schon auf einem Bein die Zähne putzen, für meine Gleichgewichtsfähigkeit. Die ist zentral, auch für die Vermeidung von Stürzen oder auch für die Steigerung der Aufmerksamkeit. Wenn möglich, sollte man mit dem Fahrrad oder zu Fuß zur Arbeit gehen. Wenn das nicht möglich ist, kann man aus den öffentlichen Verkehrsmitteln einfach eine Station früher aussteigen und den Rest zu Fuß gehen. Das ist das Schöne an Alltagsaktivitäten: Wenn einem gelingt, dass man sie zu einer Routine macht und in den Alltag einbaut, muss man sich hierfür nicht immer wieder neu motivieren.

    Der Sportwissenschaftler Professor Alexander Woll gibt Tipps, wie man mehr Bewegung in den Alltag integrieren kann.
    Der Sportwissenschaftler Professor Alexander Woll gibt Tipps, wie man mehr Bewegung in den Alltag integrieren kann. Foto: Anne Behrendt

    Zur Person

    Professor Alexander Woll ist ein deutscher Sportwissenschaftler und Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie. In seiner Forschung beschäftigt sich Woll mit dem menschlichen Verhalten und Erleben im Sport und dem Versuch, zukünftiges Verhalten von Personen im Sport zu erklären und Empfehlungen für die Praxis zu entwickeln.

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