Einen wie Sebastian Deisler müsste es öfter geben, sagt Professor Armin Schmidtke von der Psychiatrischen Uniklinik Würzburg. Der Fußballstar, der sich öffentlich zu seiner schweren Depression bekannte, bewies Mut. Seinem Status als Sympathieträger schadete das nicht. Deislers Mut fehlt den meisten seiner Leidensgenossen. Gerade Männer verkriechen sich lieber mit ihrem Leiden statt sich in ärztliche Behandlung zu begeben, weiß der stellvertretende Vorsitzende der deutschen Gesellschaft zur Suizidprävention.
Obwohl vier Millionen Deutsche an behandlungsbedürftigen Depressionen erkrankt sind, ist die Angst vor Stigmatisierung noch immer immens. Die Folge: Diagnose und Therapie kommen oft zu spät. Jährlich begehen in Deutschland 11 000 Menschen Suizid, bei Verkehrsunfällen kommen rund halb so viele um. Gleichzeitig kostet die Volkskrankheit Unsummen. Die meisten Krankschreibungen und Frühverrentungen gehen mittelbar oder unmittelbar auf das Konto von Depressionen.
"Je länger eine Depression dauert, umso schwerer werden die Symptome", erklärt Professor Schmidtke. Psychische und körperliche Symptome treten dabei in eine gefährliche Interaktion, wie er an einem Beispiel erläutert. Depressive leiden oft an Appetitmangel. Wenn sie kaum essen und in wenigen Wochen mehrere Kilo Gewicht verlieren, wirkt sich das auf die Botenstoffe im Gehirn aus, die depressive Stimmung intensiviert sich weiter. "Das schaukelt sich hoch", warnt Schmidtke, der dringend dazu rät, lieber gleich einen Fachmann zu konsultieren statt darauf zu vertrauen, dass "ein bisschen Johanniskraut" genügt, um der Tristesse zu entkommen.
Wenn depressive Stimmung und Antriebslosigkeit länger als zwei Wochen andauern, ohne dass es dafür einen nachvollziehbaren äußeren Anlass gibt (wie den Tod eines Angehörigen zum Beispiel), spricht das für eine Depression, erläutert der Experte. Starke Tagesschwankungen (das charakteristische Morgentief) können ebenfalls ein Hinweis sein, dass es sich um mehr als ein vorübergehendes Stimmungstief handelt. Besonders häufig sind depressive Krisen gerade jetzt, im Frühjahr, wenn die schönen Tage kommen. "Nichts ist schlimmer für die eigene empfindliche Seele, als wenn alle um einen herum glücklich sind", erläutert Schmidtke.
Medikamente und Psychotherapie
Oft wird die Diagnose dadurch erschwert, dass Arzt und Patient zunächst an eine körperliche Erkrankung denken. "Körperliche Symptome sorgen oft dafür, dass der Hausarzt das wahre Problem nicht erkennt", so Schmidtke. Oftmals entpuppten sich Rückenprobleme oder eine vermeintliche Herzerkrankung erst viel zu spät als Depression. "Außerdem dauert die Heilung körperlicher Erkrankungen länger, wenn gleichzeitig eine Depression vorliegt", weiß der Psychotherapeut.
Zwar können Depressionen heute mit einer Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie sehr erfolgreich behandelt werden, doch das setze eine korrekte Diagnose voraus - und die ist speziell bei Männern schwierig, weil sie Probleme haben, einer Depression offen ins Auge zu sehen. Frauen werden zwar zweimal häufiger als depressiv diagnostiziert als Männer, gleichzeitig begehen Männer aber dreimal so viele Suizide.
Schmidtke vermutet, dass Männer genauso häufig erkranken wie Frauen, ihre Depressionen schlicht mit falschen Bewältigungsstrategien (Alkohol!) heilen wollen und sich scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein spezieller Fragebogen, der helfen soll, männliche Depressionen zu entdecken, wird gerade von der Weltgesundheitsorganisation WHO entwickelt. Bis dahin hofft Professor Schmidtke auf ein paar mehr Männer mit dem Mut eines Sebastian Deisler.
Im Blickpunkt
Hilfe bei Depression
Adressen und Telefonnummern hat
das Würzburger Bündnis gegen
Depression zusammengestellt:
www.buendnis-depression.de
Rat und Hilfe geben auch die
Ambulanz der Psychiatrischen
Klinik der Universität Würzburg,
Tel. (09 31) 7 60 00, sowie nieder-
gelassene Psychiater, Nervenärzte,
Psychotherapeuten.
Die gesamte Serie im Internet:
www.mainpost.de/gesundheit