Als Prototyp des akuten Schmerzes gilt der Zahnschmerz. Auch Kopfschmerzen tauchen oft plötzlich auf. Sie sind meist Zeichen von Anspannung, schlechter Stressverarbeitung, Überforderung. Der plötzliche, akute Schmerz ist zwar unangenehm, aber zunächst nichts Schlimmes. Dr. Claus Derra, Oberarzt, Psychologe und Schmerztherapeut an der Taubertal-Klinik in Bad Mergentheim, bezeichnet ihn als Warnsignal: Er macht spürbar deutlich, dass irgendetwas nicht stimmt. "Dafür ist der Schmerz ja da." Darüber hinaus lokalisiert er die Stelle, wo es weh tut. "Der akute Schmerz ist etwas sehr Unmittelbares und Schnelles und ohne tiefere Verarbeitung", erläutert Dr. Derra, "aber nur, wenn er das erste Mal auftritt. Dann hat der Schmerz immer die Qualität, dass er uns etwas sagen will. Wir sollen reagieren, irgendetwas verändern, damit es wieder besser geht."
Im Gegensatz zum chronischen ist der akute Schmerz zeitlich begrenzt. Vom chronischen Schmerz spricht man, wenn er länger als sechs Monate besteht, also seine Warnfunktion verloren und einen selbstständigen Krankheitswert erlangt hat. Tritt ein Schmerz immer wieder auf, entsteht ein Schmerzgedächtnis. Dabei wirken verschiedene Strukturen im Gehirn zusammen. Das Ergebnis: Man erwartet, dass der Schmerz immer wieder kommt. Es spielt hier nach Angaben von Dr. Derra nicht nur der Schmerz eine Rolle, "es gibt auch eine ganze Reihe von Faktoren in der Persönlichkeit eines Menschen, die diesen Schmerz zur Chronifizierung bringen".
Die von verschiedenen Institutionen geschätzte Anzahl der Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, schwankt von einer halben bis hin zu 15 Millionen Deutschen. Für Dr. Derra sind das "schwierige Zahlen", auch wenn er von einem ernst zu nehmenden Problem spricht. Zu bedenken sei, wie viele wirklich behandlungsbedürftig seien und was man alles zum chronischen Schmerz zähle: "Das Schmerzempfinden ist doch sehr unterschiedlich. Und Schmerz kann man nicht messen", sich ihm höchstens auf einer Erträglichkeits-Skala nähern, indem Patienten die Intensität zwischen null und zehn einordnen, wobei null kein Schmerz, zehn schlimmsten Schmerz bedeutet.
Nicht ganz einfach ist auch die Diagnostik bei chronischen Schmerzen. Schmerztherapeuten versuchen zu klären, wie viel an körperlichen und wie viel an psychischen Schmerzen Ursache sind. Denn "Schmerz ist ein typisches psychosomatisches Phänomen", sagt Derra. "Es gibt keinen Schmerz, der nur in der Seele ist. Und es gibt keinen Schmerz, der nur im Körper ist. Es ist immer beides."
Diese Erkenntnis habe erst relativ spät in Deutschland zu einer speziellen Schmerztherapie geführt. Anfang der 1950er Jahre gab es die ersten Schmerzambulanzen in den USA. Seit den 1970er Jahren war die Schmerztherapie dann immer mehr auch in Deutschland ein Thema. Anlass waren damals rund drei Millionen Schmerzpatienten, die nicht gut versorgt waren. "Das hat den Stein sehr ins Rollen gebracht", erinnert sich Dr. Derra. Die Schmerzbehandlung hatte sich sehr auf die Akut-Medizin hin orientiert. "Erst in den vergangenen Jahren wurde deutlich, dass man auch Psychotherapeuten braucht."