Charlie erinnert sich noch, wie sie ihre Freundin zum Abbruch begleitete. Schwindel, Krämpfe, Blutungen. Jetzt liegt sie selbst auf dem Stuhl. In zehn Minuten ist alles vorbei, versichert die Anästhesistin, und Charlie döst ein. Ein dumpfer Aufprall von etwas Nassem in einer metallenen Schale. „Glückwunsch, sie sind nicht mehr schwanger“, ruft die Anästhesistin.
Der Satz mag verstören, aber er drückt aus, was viele Frauen fühlen: Erleichterung darüber, kein Kind zu bekommen. Damit ist er titelgebend für einen Erzählband, der sich schonungslos dem Thema Abtreibung widmet. Denn abseits politischer Debatten wird darüber kaum gesprochen – und noch weniger geschrieben. Daran hat sich auch 50 Jahre nach Alice Schwarzers Aktion „Wir haben abgetrieben“ nichts geändert.
Geschichten offenbaren vielfältige Perspektiven auf das Thema Abtreibung
Zwar hat die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux mit „Das Ereignis“ ein wichtiges Werk vorgelegt. Auch Bertolt Brecht dichtete Ende der Zwanzigerjahre schon eine „Ballade vom Paragraphen 218“. Doch die Erfahrung eines Schwangerschaftsabbruchs in seiner Komplexität blieb weitgehend unerzählt.

Mit „Glückwunsch“ schaffen die Herausgeberinnen Charlotte Gneuß und Laura Weber nun Raum für das Unausgesprochene und doch so Alltägliche. 15 Autorinnen und Autoren haben sie versammelt, um fiktiven Frauen eine Stimme zu verleihen, die ungewollt schwanger sind. Teils drastisch erzählt, mal im Interviewstil, mal in Form eines Briefs an die Mutter oder über die Worte einer allwissenden Erzählerin, offenbaren die Texte ganz unterschiedliche Perspektiven.
Affäre, Missbrauch, Angst: Die Gründe sind vielfältig
Sie bilden die Lebensrealitäten von Frauen verschiedener Herkunft und Generationen ab und beschreiben, anstatt zu bewerten. Das ist nicht immer aufwühlend, aber manchmal eben doch. „Geburtenkontrolle hieß, sich im Schlafzimmer einzuschließen, wenn ihr Mann betrunken nach Hause kam“, schreibt Annett Gröschner in ihrer Erzählung über eine Frau, die zwischen zwei Kriegen sechs Geburten, vier Abtreibungen und zwei Fehlgeburten durchlebt. Brutal auch Emilia Roigs Geschichte über eine junge Frau, die als Sklavin gehalten und vom Plantagenbesitzer vergewaltigt wird. Ihre einzige Wahl: Kind oder Flucht.
Die Gründe für eine Abtreibung, auch das macht der Erzählband deutlich, sind vielfältig: Lebensumstände, Affäre, Missbrauch, Karriere, Kinder, Alleingelassensein oder schlicht das Gefühl, der Verantwortung nicht gewachsen zu sein. „Ich wollte lieber keine Mutter sein als eine schlechte“, resümiert eine Protagonistin nüchtern. Was alle Frauen verbindet: der Wunsch nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Damit gleicht der Erzählband einem stillen Manifest, das aufrüttelt, ohne plakativ zu sein.
95.000 Abtreibungen werden jedes Jahr in Deutschland durchgeführt
In Deutschland sind Abtreibungen verboten, aber straffrei. Ein seltsam uneindeutiges juristisches Konstrukt angesichts der 95.000 Abtreibungen, die jedes Jahr durchgeführt werden. Was aber passiert, wenn das Konstrukt bröckelt? Theresia Enzensberger entwirft eine düstere Zukunftsversion über eine junge Frau, die die Pille danach vertickt und später mithilfe von Youtube-Videos Abtreibungspillen zusammenpanscht, um Schwangeren zu helfen. Die Beratungsregel in Deutschland ist abgeschafft und ein Schwangerschaftsabbruch nicht mehr straffrei möglich. Einziger Ausweg für Betroffene: selbst gemixte Pillen schlucken mit dem Risiko, im fremden Wohnzimmer zu verbluten.

Wie fragil das Recht auf Abtreibung ist, hat sich 2022 in den USA gezeigt, als es nach fast 50 Jahren abgeschafft wurde. Ein drastischer Rückschlag für Millionen von Frauen. Den literarischen Gegenentwurf dazu liefert die Schweizer Autorin Yael Inokai. In ihrer Welt bestellen sich Frauen das Sauggerät für die Abtreibung direkt nach Hause. Drei Tabletten, einmal saugen, im Notfall hilft die Schmerzhotline.
Das wirkt nicht dystopisch, sondern erfrischend unkompliziert. Das Tabu scheint gebrochen, der Eingriff relativ harmlos, doch die Entscheidung bleibt existenziell. Manche schicken das Gerät zurück, weil sie es sich anders überlegt haben.