Als Rudolf Diesel vor 125 Jahren, am 27. Februar 1892, eine Ideen-Skizze seines neuen Verbrennungsmotors beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin einreichte, hatte er bereits eine Vorstellung für die Verwendung seiner Erfindung – obwohl sie nur in seinem Kopf existierte. Während viele der damaligen sogenannten „Kraftmaschinen“ so groß und so schwer waren, dass sie nur in Fabriken zum Einsatz kommen konnten, dachte Diesel (1858-1913) an eine Beschleunigung des Verkehrs. Fuhrwerke sollten künftig ohne Pferde und nur mit seinem Motor rollen.
Zwar hatten in Mannheim Carl Benz (1844-1929) und in Stuttgart Gottlieb Daimler (1834-1900) Antriebe in ihre Fahrzeuge eingebaut und die Ära der Motorisierung des Straßenverkehrs begründet. Doch diese Maschinen mussten durch Glühkerzen kompliziert fremdgezündet werden und waren – gemessen an der Energie, die man in Form von Kraftstoff hineinsteckte – wenig effizient. Es war also noch keineswegs entschieden, wie die automobile Zukunft aussehen und welcher Antrieb – der Benzinmotor oder Rudolf Diesels Idee – sich durchsetzen würde.
Was sich damals – außer vielleicht Diesel selbst – keiner vorstellen konnte: Dass der nach seinem Erfinder benannte Antrieb zu einem Welterfolg werden würde. Zunächst waren Schiffe und Lokomotiven die großen Nutznießer des Prinzips der Selbstzündung von Kraftstoff, aber schnell folgten Lastwagen und schließlich der Pkw. 45 Jahre nach Diesels Patentanmeldung ging der Mercedes 260 D in Serie – mit 45 PS und 97 km/h Spitze, sparsamer als ein Benziner und fortan trotz Stinkens Liebling der Taxifahrer. Ein Jahr später stellte Hanomag seine Limousine „Rekord“ auch mit Diesel auf die Straße.
Während Nutzfahrzeuge gar nicht mehr anders als mit dem Diesel vorstellbar waren, galten die Selbstzünder bis in die 70er Jahre hinein nur als Taxi-Lastesel und als Autos der Landwirte, die neben dem Traktor auch den Pkw mit subventioniertem Kraftstoff füttern konnten. Doch der Diesel wurde mit den Jahren quasi zu einem neuen Volkswagen. Der Rußfilter hatte die Qualmwolken beseitigt, hochgezüchtete Einspritztechnik eine Leistung ermöglicht, die den Vergleich mit dem Benziner nicht mehr scheuen musste.
Das satte Drehmoment bescherte dem Diesel unter den Deutschen immer mehr Liebhaber. Wegen des deutlich günstigeren Kraftstoffpreises fiel bei Vielfahrern nicht ins Gewicht, dass der Fiskus beim Selbstzünder deutlich höhere Steuern kassierte. Es schien mit dem Diesel ungebremst bergauf zu gehen. Experten rechneten damit, dass bald in Deutschland jährlich mehr Diesel-Pkw als Benziner neu angemeldet würden.
Der VW-Abgasskandal hat die Erfolgskurve nach unten gebogen. Der Anteil bei den Neuzulassungen spricht eine klare Sprache. Im Oktober 2016 kamen 262 724 Dieselautos neu auf die Straße. 5,6 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Nicht nur VW, sondern alle deutschen Marken verzeichneten Rückgänge. Im Januar dieses Jahres, so die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes (KBA), stieg der Absatz leicht um 2,4 Prozentpunkte auf einen Marktanteil von 45,1 Prozent. Doch sind es vor allem Geschäftskunden, die Diesel ordern. Sie bestücken ihre viel bewegten Dienstwagenflotten wegen des günstigeren Kraftstoffpreises mit Dieselautos.
Daran macht Ferdinand Dudenhöffer, Auto-Professor an der Universität Duisburg-Essen, seine Kritik fest: „Das billige Diesel war ein falsches Signal an die Autokäufer“, sagt der Experte. Er will ein Umdenken: Weg vom Diesel mit seinem hohen Ausstoß an gesundheitsgefährlichen Stickoxiden und hin zu Wagen mit Erdgas-Antrieb und Hybrid-Antrieben mit Elektromotor. Zwar sei die Abgas-Nachbehandlung beim Diesel technisch möglich. „Doch mit einer ehrlichen Reinigung, die alle Grenzwerte einhält, ist der Diesel nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagt Dudenhöffer. Tatsächlich ist ein Diesel, der die neue Euro-6-Norm dank Nachbehandlung der Abgase durch Harnstoff-Zusatz einhält, im Schnitt 2000 bis 3000 Euro teurer als ein vergleichbarer Benziner. Doch wie die aktuellen Verkaufszahlen zeigen, können die Kunden mit diesem Aufpreis leben, zumal für den Diesel schon immer etwas mehr als für seinen Benzin-Bruder bezahlt werden musste.
Also nur ein Stottern im Diesel-Geschäft? Oder geht dem Diesel doch die Luft aus? Zwischen den Argumenten der Befürworter und Gegner des Diesels wird es für die Kunden schwierig, sich zurechtzufinden. Von einem „sehr polarisiert vertretenem Thema“ spricht daher Christian Beidl, Professor am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Fahrzeugantriebe der Technischen Universität Darmstadt. Beidl bricht gegen den Trend eine Lanze für den Diesel. „Ein absolutes Erfolgsmodell in Europa“, sagt der Wissenschaftler. Der Diesel trage wesentlich dazu bei, durch seinen geringeren Kohlendioxid-Ausstoß die Klimaschutzziele zu erfüllen. Gerade in Deutschland, wo der Diesel erfunden worden sei, habe es „etwas Selbstzerstörerisches“, diese Antriebsart schlechtzureden, so Beidl. Sicher sei vor dem Hintergrund des Abgas-Skandals „vieles nicht gut gelaufen“, setzt er hinzu. „Aber das ist Geschichte.“
Beidl will den Blick nach vorn richten. „Dieselmotoren werden sauber sein“, ist der Professor überzeugt. Schon jetzt sei das Stickoxid-Problem durch Abgasnachbehandlung gelöst, sei der Rußausstoß durch Partikelfilter im Griff. Die Hersteller in Japan setzten, so Beidl, wieder auf den Selbstzünder. So verkauft Mazda zu 40 Prozent Diesel – bei einem bescheidenen Marktanteil von 5,5 Prozent. Dennoch: Sowohl Mazda als auch Mitsubishi betonen, trotz aller Forschungen an alternativen Antrieben am Diesel festhalten zu wollen. Von Diesel-Krise also keine Spur?
Eine Anfrage bei BMW bestätigt Diesel-Treue. „Er wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle im Antriebsmix unserer Produktpalette spielen“, sagt Sprecher Michael Rebstock. „Der Diesel ist eine der effizientesten und saubersten Antriebsformen – wenn man die richtige Technologie einsetzt.“ Allerdings ist auch bei BMW der Trend zum Diesel-Minus da: „In Deutschland ist der Diesel-Anteil von 70 Prozent auf 65 Prozent gesunken, in ganz Europa von 78 Prozent auf 73 Prozent.“ Das ist zwar noch ein hohes Niveau, doch macht sich ein Trend bemerkbar: Weg von größeren Wagen, hin zu kleineren Fahrzeugen, die auch mit modernen Benzinern effizient fahren. Wird der Diesel also künftig der Mittel- und Oberklasse vorbehalten sein? Damit würde er zu seinen Ursprüngen zurückkehren.
Ein Hinweis darauf zeigt sich in Stuttgart-Untertürkheim. Dort will man die Lösung aller Diesel-Probleme gefunden haben. Sie trägt die Bezeichnung OM 654 und ist ein neues 195-PS-Dieselaggregat für die Mercedes-E-Klasse. Dank Katalysator-System und der Harnstoff-Lösung Ad-blue werden nur 41 Milligramm Stickoxid pro Kilometer frei. Beim Vorgänger waren es noch 215 Milligramm. Mit dem leichteren und dennoch stärkeren OM 654 will Mercedes die Ära der neuen Sauberkeit eröffnen. „Daher ist der Diesel für uns definitiv eine Zukunftsoption“, sagt Christoph Sedlmayr, bei Mercedes Sprecher für das Thema Antriebe der Zukunft. 2,6 Milliarden Euro habe man in die Entwicklung der neuen Maschine gesteckt, die für eine Motorenfamilie Pate stehen soll. „Aus unserer Sicht sind Dieselmotoren in Lkw und Pkw unverzichtbar, wenn der verkehrsbedingte CO2-Ausstoß weiter sinken soll“, intoniert Daimler-Entwicklungschef Thomas Weber das große schwäbische Diesel-Orchester.
Nicht ohne Stolz weist Technik-Sprecher Sedlmayr auf ein besonderes Öko-Gütesiegel des Aggregats hin: „Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat ihn unter realistischen Straßenbedingungen getestet.“ Das bestätigt Jürgen Resch, an der Spitze der DUH in Radolfzell Vorkämpfer für eine feinstaub- und stickoxidfreie Stadtluft, auf Nachfrage. Doch ihm geht die Umstellung auf eine saubere Technik nicht schnell genug.
Resch kritisiert, dass die Hersteller zwar neue umweltfreundliche Errungenschaften feiern, sich aber Zeit damit lassen, sie auch in alle noch derzeit produzierten Modelle einzubauen. Das sei ärgerlich, „denn es ist prinzipiell kein Problem, den Diesel sauber zu machen“. Die Umweltverbände müssten daher den Druck auf die Autobranche hochhalten. „Die schnelle Einführung des Drei-Wege-Katalysators kam auch nur durch Druck zustande“, so Resch.
Rudolf Diesels Erfindung trumpft also nicht nur mit hoher Kompression im Innern auf, sondern sie zieht auch Druck von außen auf sich.