Mit zunehmendem Alter häufen sich oft die Probleme von Seniorinnen und Senioren beim Autofahren. Wenn Seh- und Hörvermögen nachlassen und ältere Menschen langsamer reagieren, dann nehmen in vielen Fällen die Unfälle zu. Wer dann weiter Auto fährt, kann eine Gefahr im Straßenverkehr sein.
Doch für Angehörige ist es schwer, ältere Familienmitglieder damit zu konfrontieren. Solche Gespräche enden nicht selten im Familienstreit.
Wie also die eigenen Eltern oder Großeltern davon überzeugen, dass sie besser kein Auto mehr fahren und den Führerschein abgeben sollten? Wie kann ich mich auf ein solches Gespräch vorbereiten, was sollte ich währenddessen und im Anschluss beachten? Welche Gesprächsstrategien sind sinnvoll?

Die Redaktion hat mit Psychologinnen und Verkehrsexperten gesprochen und sie nach ihren Tipps gefragt.
Was sind erste Anzeichen, dass jemand kein Auto mehr fahren sollte und wieso sorgt das Thema für Streit?
Probleme beim Autofahren zeigen sich laut Edgar Kast von der Verkehrswacht Bad Kissingen an langsamen Reaktionen, kleinen Unfällen, auffallend niedriger Geschwindigkeit oder an Problemen beim Abbiegen, Einparken und Wenden. Ein Warnsignal ist aber auch, wenn Autofahrerinnen und Autofahrer sich in ihrer gewohnten Umgebung nicht mehr auskennen.

Unabhängig vom Alter: Das Autofahren aufzugeben ist für viele Menschen schwer. "Es führt vor Augen, dass die eigenen Fähigkeiten nachlassen", sagt Psychologin Anette Alshawaf von der Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Diözese Würzburg. Das nage auch am Selbstwert, der an die eignen Fähigkeiten geknüpft ist.
Darüber hinaus nennt die Psychologin zwei Gründe, die Gespräche über die Führerscheinabgabe so konfliktanfällig machen. Zum einen kehrt sich die Eltern-Kind-Beziehung um, die Kinder pflegen die Eltern. Dies geht mit einer neuen Rollenverteilung und Trauer einher. Zum anderen reagieren viele Menschen auf Verbote mit "Reaktanz", möchten das Verbotene deshalb erst recht tun.
Wie sollte ich mich auf schwierige Gespräche vorbereiten?
Damit die eigenen Eltern überzeugt werden können, das Auto stehenzulassen, braucht es einen Konsens in der Familie. "Nicht, dass der Sohn sagt, der Papa kann natürlich noch Auto fahren und die Tochter verneint das", sagt Sabine Seipp, Diplom-Psychologin und Psychogerontologin.
Als Leiterin der Fachstelle "Hilfe für alte Menschen im Alltag" (HALMA) in Würzburg berät Seipp bei ihrer Arbeit regelmäßig Familien zur Fahrtauglichkeit ihrer Angehörigen. "Kindern fällt es oft schwer, ihren Eltern zu widersprechen. Wer das nie gelernt hat, sollte Gespräche mit unangenehmen Themen vorher üben."
"Wichtig ist, dass alle darüber informiert sind, dass ein Gespräch stattfinden soll und Angehörige nicht 'überfallen' werden."
Anette Alshawaf, Psychologin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Diözese Würzburg
Die Argumente, die vorgebracht werden, sollten dann zur Familie passen. Gibt es Enkelkinder, könnten diese behaupten, dringend und für längere Zeit das Auto ihrer Großeltern zu benötigen, das sei effektiver als den Autoschlüssel zu verstecken.
Edgar Kast von der Verkehrswacht rät, dass Familien sich Gedanken darüber machen sollten, was sie von Betroffenen fordern: kompletter Verzicht aufs Autofahren oder eine Änderung des Fahrverhaltens. "Familien sollten zudem darauf gefasst sein, dass es zunächst zu einer strikten Ablehnung und Kränkung kommen könnte", sagt er.
Wann ist der richtige Zeitpunkt, um eine Rückgabe des Führerscheins anzusprechen?
Viele Familien versuchen, den richtigen Moment für schwierige Gespräche zu finden. Doch den gibt es nicht, sagt Psychologin Anette Alshawaf. "Wichtig ist, dass alle darüber informiert sind, dass ein Gespräch stattfinden soll und Angehörige nicht 'überfallen' werden." Das Gespräch sollte frühzeitig gesucht werden, damit Betroffene Zeit haben, sich mit der Abgabe ihres Führerscheins auseinanderzusetzen, sagt sie.

Teilweise kommt es vor, dass Angehörige die Unsicherheiten beim Autofahren während einer Autofahrt ansprechen. Davon rät ADAC-Verkehrsexperte Jürgen Hildebrandt ab. "Das birgt schon Konfliktpotenzial, wenn ich mit der Intention mitfahre, meine Angehörigen bei der Fahrt zu überprüfen." Ob eine Person noch Auto fahren sollte, wird meist schon am Zustand des Autos sichtbar. Nimmt die Fahrtauglichkeit ab, nehmen Dellen und Macken am Fahrzeug zu, so der Experte.
Was gibt es während des Gesprächs über den Führerschein zu beachten?
Gerade bei schwierigen Gesprächen empfiehlt Anette Alshawaf, Ich-Botschaften zu senden. Das verdeutliche die eigenen Gefühle und Sorgen. Beim Gesprächseinstieg sollten sowohl Reaktionen, vor denen sich die Gesprächspartner fürchten, als auch Reaktionen, die sie sich wünschen, konkret benannt werden. "Ich habe Angst, dass du verletzt oder wütend reagierst. Ich würde mir wünschen, dass du mir offen zuhörst und meine Sorgen ernst nimmst", nennt sie ein Beispiel.
"Kindern fällt es oft schwer, ihren Eltern zu widersprechen. Wer das nie gelernt hat, sollte Gespräche mit unangenehmen Themen vorher üben."
Sabine Seipp, Leiterin der Fachstelle "Hilfe für alte Menschen im Alltag" (HALMA), Diplom-Psychologin und Psychogerontologin
Generell sollte die Sicherheit des Betroffenen im Fokus stehen. "Ich habe Angst, dass du in einen Unfall gerätst, wenn ich mitkriege, dass du weniger schnell reagierst. Du bist mir wichtig und deswegen mache ich mir Sorgen", formuliert Alshawaf ein mögliches Argument.

Während des Gespräches sollten alle Beteiligten sich in Erinnerung rufen, dass es ein schmerzhafter Prozess ist, wenn die eigenen Fähigkeiten sich verändern oder nachlassen. "Die Entscheidung nicht mehr Auto zu fahren ist nicht von heute auf morgen zu treffen, sondern das ist meist ein langer Prozess– es sei denn, es gab ein plötzliches Ereignis, wie einen Unfall", erklärt die Psychologin.
Welche Alternativen zum Auto gibt es für ältere Menschen und wie verdeutliche ich die Vorteile?
Wichtig ist, die Mobilität und Unabhängigkeit von Seniorinnen und Senioren aufrechtzuerhalten. Das können neben dem öffentlichen Nahverkehr, auf dem Land auch Fahrgemeinschaften von Gemeindemitgliedern, ein Mobilitätsplan der Familie oder ein Lieferservice eines Supermarktes sein, sagt Edgar Kast von der Verkehrswacht Bad Kissingen. Über die Alternativen sollten sich die Gesprächsteilnehmer vor einem Gespräch informieren, um einen Überblick über die Angebote zu bekommen.

Laut Jürgen Hildebrandt vom ADAC helfe es zudem, den Betroffenen die Kosten eines Autos vor Augen zu führen und hochzurechnen, wie viele Taxifahrten damit bezahlt werden können. "Dann fällt der ganze Stress und Druck beim Autofahren weg, das kann im Gespräch positiv vermittelt werden."
Was mache ich, wenn es zum Familienstreit kommt?
Kommt es zum Familienstreit, sollte das Gespräch unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden, sagt Anette Alshawaf von der Diözese Würzburg. Trotzdem sollten alle signalisieren, dass die Gefühle des Betroffenen ernst genommen werden. "Wenn Menschen sich gehört und verstanden fühlen, beruhigt sie das oft und macht sie wieder offener für das Finden von Lösungen", sagt die Psychologin. Bringt auch das nichts, sollten Familien sich Hilfe suchen – etwa bei Beratungsstellen, aber auch bei Freunden oder der Polizei.

Als Vertrauensperson nehmen ältere Menschen oft ihren Hausarzt wahr. "Ärzte haben eine viel höhere Einflussnahme", sagt Sabine Seipp, Leiterin von HALMA. Deshalb könnten auch die Ärzte darauf hinweisen, wenn eine Person nicht mehr Auto fahren sollte.
Problem: Hausärzte können das Autofahren gesetzlich nur schwer untersagen und in der Regel nur Empfehlungen aussprechen, sagt Dr. Jürgen Schott, der stellvertretende Bezirksvorsitzende des bayerischen Hausärzteverbands.
Erst bei Auffälligkeiten wie Unfällen oder bei Hinweisen der Familie melde sich die Führerscheinstelle bei Ärzten, sagt Schott. Familien, die nicht so lange warten möchten, sollten selbst aktiv werden und sich an den behandelten Arzt wenden. Dieser könne oft einschätzen, ob ein älterer Mensch dauerhaft oder nur vorübergehend auf das Auto verzichten muss.