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Interview: Bestsellerautorin Funke: "Ich möchte die Welt verstehen, wie sie wirklich ist"

Interview

Bestsellerautorin Funke: "Ich möchte die Welt verstehen, wie sie wirklich ist"

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    Erfolgsautorin Cornelia Funke mit einem ihrer berühmten Notizbücher, von denen jedes die Basis für einen Roman ist.
    Erfolgsautorin Cornelia Funke mit einem ihrer berühmten Notizbücher, von denen jedes die Basis für einen Roman ist. Foto: Michael Orth, Dressler Verlag

    Sie haben Ihren aktuellen Roman „Das grüne Königreich“ an Ihrem neuen Wohnort in der Toskana geschrieben, wo Sie seit 2021 leben. Haben Sie sich inzwischen voll und ganz an Italien gewöhnt?
    CORNELIA FUNKE: Nicht geschrieben, nur fertig geschrieben. Und voll und ganz gewöhnen – das will ich ja eigentlich nicht. Ich wohne gern an unvertrauten Orten, weil sie einem beibringen, die Welt mit anderen, neuen Augen zu sehen. Und das hat Italien in den vergangenen Monaten schon sehr oft getan. Eine italienische Freundin in LA sagte zum Abschied zu mir „Denk dran. In Italien fängt jeder Satz mit ‚nein‘ an.“ Ein starker Kontrast zu Amerika, meiner früheren Wahlheimat, wo jeder Satz ‚mit ‚ja‘ beginnt. Ich weiß inzwischen, was sie damals meinte. 

    Nämlich?
    FUNKE: Die Italiener runzeln sehr viel schneller die Stirn als die Amerikaner. Aber, dass das Leben schwer ist, bedeutet für sie, dass man sich an seiner Schönheit nur umso mehr freuen sollte, weil es sich dann so viel leichter lebt. Das liebe ich sehr. Wir Deutschen bleiben ja allzu leicht bei dem Schweren stecken. Und so gesehen ist mir die italienische Mentalität auch lieber als das amerikanische "Wir kriegen alles hin". Denn es geht eben nicht immer alles gut.

    Ist das Königreich der Pflanzen, das Sie in Ihrem neuen Buch beschwören, eine Art Gegenwelt zu unserer Zivilisation mit all ihren Problemen und Verwerfungen?
    FUNKE: Es ist die eigentliche Welt, die wir so gern hinter Mauern und unter Straßen zu vergessen versuchen. Dieser Planet hat sehr viel mehr grüne Bewohner als Menschen, und ohne Pflanzen gäbe es darauf kein Leben, denn noch sind sie die einzigen, die Sonnenenergie sehr effizient in Nahrung umsetzen können. Aber den meisten Menschen ist das schon lange nicht mehr bewusst und sie nehmen sie allenfalls als Dekoration wahr. Hier auf dem Land ziehen fast alle ihr eigenes Gemüse, und viele Italiener sammeln mit Leidenschaft Wildkräuter, Pilze und wilden Spargel oder machen ihr eigenes Olivenöl. Genuss kommt so aus dem Wissen um die wilden Dinge und wie man sie findet und wachsen lässt. Irgendwann ist das natürlich aus Notwendigkeit und Armut entstanden, aber es bedeutet auch Unabhängigkeit – von Geld und Supermärkten und all dem schlechten Essen, das unsere Zivilisation produziert. Und den Pflanzenfreund in mir macht das alles sehr glücklich. 

    Sie haben sich immer wieder besorgt geäußert, dass auch Kinder immer mehr von der Natur entfremdet werden.
    FUNKE: Kinder wachsen selbst auf dem Land schon lange nicht mehr so auf, und es gibt sehr beunruhigende Studien darüber, was es mit ihnen anstellt, kaum noch den offenen Himmel über sich zu haben und den wilden Dingen in dieser Welt nur noch beaufsichtigt zu begegnen. 

    Ihr Buch, in dem ein Mädchen die Welt der Pflanzen kennenlernt, scheint ja gegen diesen Trend anzusteuern.
    FUNKE: Meine größte Sorge ist es, dass Kinder, denen die Natur Angst macht, weil sie sie nicht mehr kennen, auch ganz bestimmt nicht für ihren Erhalt kämpfen werden. Aber mal sehen – vielleicht machen sie Caspias Abenteuer und Rosalindes Briefe ja etwas neugierig auf ihre grünen Mitbewohner.

    Nachdem die Kinder-Generation nicht mehr so sehr an der Natur interessiert scheint, hatte der Verlag Bedenken, dass Sie ein solches Buch schreiben? 
    FUNKE: Der Dressler-Verlag wusste schon, dass das kein einfaches Buch sein wird, aber man hat das Projekt dort von Anfang an unterstützt, auch wenn es nicht die klassische Fantasy-Geschichte von Cornelia Funke ist. Schließlich erinnert es auch ein bisschen an die "Wilden Hühner", weil es den Alltag zeigt und Abenteuer, die jedem passieren können und sich sogar leicht nachmachen lassen.

    Zauberhafte Atmosphäre: Der Schreibtisch von Cornelia Funke ist umringt von Büchern.
    Zauberhafte Atmosphäre: Der Schreibtisch von Cornelia Funke ist umringt von Büchern. Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Inwieweit hat Italien Ihre eigene Beziehung zur Pflanzenwelt verändert?
    FUNKE: Als ich nach Kalifornien kam, war es, als müsste ich ein neues grünes Alphabet lernen. In Deutschland konnte ich viele Wildblumen bestimmen, aber dort kannte ich fast keine Pflanze. Was natürlich auch ein Abenteuer war. Italien ist näher am botanischen Königreich Deutschlands, und es ist wunderbar, alten Bekannten wieder zu begegnen wie Borretsch oder Hirtentäschel zu Beispiel. Durch die kühleren feuchten Winter gibt es eine größere Vielfalt an wilden Wiesen als im trockenen Kalifornien. Jetzt kann ich wieder im Gras liegen und muss mir keine Sorgen wegen der Klapperschlangen machen. Bis zum Sommer, denn dann muss man sich natürlich vor den Vipern hier in Acht nehmen.

    Die Natur ist also für Sie kein idyllisches Paradies, sondern auch hochgefährlich?
    FUNKE: Natürlich. Auf dem Land zu leben, bedeutet auch, dem Tod als Teil des Lebens zu begegnen und sich daran zu erinnern, wie gefährlich dieser Planet für all seine Bewohner ist. In unseren Städten leben wir ja in der Illusion, dass das Essen ganz von selbst in den Laden kommt, und die Kälte des Winters ist schon lange nur ein ferner Schrecken. Ich möchte die Welt verstehen, wie sie wirklich ist, auch wenn die Wahrheit oft sehr schmerzhaft ist. Aber nur so hat man auch den Willen, sie zu ändern und zugleich wirklich Teil von ihr zu sein. 

    Vermissen Sie nicht das Kulturleben in den Städten?
    FUNKE: Ich kann auch hier ein Buch lesen, Musik hören und Filme schauen. Dafür muss man heutzutage nicht mehr in der Stadt leben. Wenn ich dort bin, ist mir meist gleich danach, den nächsten Garten zu suchen. In Sydney habe ich meine australischen Verleger mal damit befremdet, dass ich als Erstes den botanischen Garten sehen wollte. Wie anders die Bäume aussahen! Und dann die Schwärme von weißen Kakadus! Da halten Museen nur schwer mit.

    Aber auch Städte können Kultur sein – nicht zuletzt in Italien. Das reizt Sie nicht? 
    FUNKE: Manchmal, für ein paar Tage. All die Mauern und die geraden Linien langweilen mich einfach schnell. Aber ich liebe es, hier abends all die Lichter in den Hügeln ringsum zu sehen, denn ich habe gern Menschen um mich. Nach Volterra, das 3000 Jahre alt ist, kann man in 20 Minuten laufen. Und dort gibt es eine wunderbare Pinakothek, mit einem Bild, das einen Engel mit Pfauenfedernflügeln zeigt. Und ein etruskisches Museum, wo Skulpturen von alten Sarkophagen lächeln, als hätten sie gerade erst ein Glas Wein geleert. Ich war auch gerade in Genua – eine ganz aufregende Stadt, wo man von Geschichte und vom Meer umgeben ist. Also, ich brauche beides, aber wenn ich wählen müsste, dann würde ich auf dem Land leben. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt meines Lebens.

    Cornelia Funke zu Hause im italienischen Volterra.
    Cornelia Funke zu Hause im italienischen Volterra. Foto: Michael Orth, Dressler-Verlag

    Wie wäre es, wenn Sie sich zwischen Monets Seerosen und realen Seerosen entscheiden müssten?
    FUNKE: Immer die realen. Danach würde ich mir die von Monet angucken und sagen ‚Das hat er aber toll gemacht‘.

    So gesehen scheint ein Beruf, mit dem Sie ständig mit der Natur zu tun haben, für Sie geeigneter. Wäre etwa ein Dasein als Gärtnerin für Sie interessant?
    FUNKE: Ich glaube, wir müssen das leben, was in uns ist, und bei mir ist das wohl das Geschichtenerzählen. Abgesehen davon, dass man als Gärtner allzu leicht anfängt, die Natur zu bekämpfen und auszurupfen, was nicht da wächst, wo man will. „Das Grüne Königreich“ war aufregend, weil ich Geschichten über meine grüne Leidenschaft erzählen konnte. So kamen zwei zusammen. 

    Sie wären vielleicht als Medizinfrau bei einem indigenen Stamm gut aufgehoben...
    FUNKE: Oh, ich habe gerade gelesen, dass ,indigen’ von denen, die der Begriff bezeichnen soll, gar nicht gern gehört wird. Aber ja, etwas schamanisch begabt wäre ich sehr gern. Dann könnte ich mich vielleicht auch in ein Tier verwandeln. Wie aufregend wäre das! Aber bis das klappt, sehe ich es jetzt erst mal als meine Aufgabe, Orte zu schaffen, an denen junge Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt zusammen kommen können und sich daran erinnern, dass ihre Arbeit in der Welt die allerwichtigste ist. Denn wie haben wir alle Covid überstanden? Durch die Kunst – Musik, Bilder, Geschichten. Und doch streichen sie nun den Kindern den Kunstunterricht. Wir vergessen so leicht, wie sehr wir die Kreativität brauchen, um der Schwere des Lebens leichtfüßig zu begegnen.

    Nachdem Sie mit so vielen aufgeschlossenen und positiven Menschen zu tun haben, sollten Sie ja Hoffnung für unsere Spezies haben.
    FUNKE: Ich kann nichts daran ändern, dass ich immer Hoffnung habe. Es gibt einen schönen Satz von der amerikanischen Kinderbuchautorin Katherine Paterson: „Der Unterschied zwischen Erwachsenenautoren und Kinderbuchautoren ist, dass letztere immer an die Hoffnung glauben.“ Man kann wunderbar eine Dystopie nach der anderen erzählen, aber das halte ich für sehr fantasielos. Wir alle haben Menschen, die wir lieben, es gibt Tiere und Pflanzen, für die es sich zu kämpfen lohnt. Selbst wenn der Kampf vielleicht eines Tages verloren ist, müssen wir es versuchen. 

    Zur Person

    Die Autorin und das Buch: Mit ihrer Tintenwelt-Trilogie und der Spiegelwelt-Serie eroberte Cornelia Funke, geboren 1958 in Drosten, weltweit die Bestsellerlisten. Eben erschien ihr Buch "Das grüne Königreich", das sie zusammen mit der Kräuterkundlerin Tammi Hartung schrieb. Darin entdeckt ein einsames Mädchen durch Briefe eines blinden Mädchens nicht nur die spannende Pflanzenwelt, sondern auch die Nachbarschaft (Dressler, 208 S., 18 €).Mit ihrer Tintenwelt-Trilogie und der Spiegelwelt-Serie eroberte Cornelia Funke, geboren 1958 in Drosten, weltweit die Bestsellerlisten. Eben erschien ihr Buch "Das grüne Königreich", das sie zusammen mit der Kräuterkundlerin Tammi Hartung schrieb. Darin entdeckt ein einsames Mädchen durch Briefe eines blinden Mädchens nicht nur die spannende Pflanzenwelt, sondern auch die Nachbarschaft (Dressler, 208 S., 18 €).

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