„Wie die Saat, so die Ernte“ heißt Donna Leons neuester Brunetti-Roman, der sich schon seinen Platz auf der Spiegel-Bestsellerliste gesichert hat. Dabei hat es Donna Leon längst aufgegeben, ihren Commissario Brunetti auf die übliche Art ermitteln zu lassen. Ihre Krimis sind schon lange mehr als reine Kriminalromane, sie sind Gesellschaftskritik, Zeitbild und Familienroman. Denn die Lesenden begleiten den Commissario auch beim Älterwerden. Und je älter er wird, umso mehr erinnert er sich an seine Jugend.
So erfährt man von Buch zu Buch mehr über Brunetti, der sich mit Paola in die höheren Kreise Venedigs eingeheiratet hat. Dass Brunetti aus einfacheren Verhältnissen stammt, weiß man inzwischen. Dass er seine Mutter sehr geliebt hat, auch. Doch wie verlief seine Jugend in den revolutionären Zeiten der Roten Brigaden?
Brunetti und seine Jugend in der Zeit der Roten Brigaden
Antwort darauf gibt Donna Leon in diesem Roman. Am Anfang steht ein toter Mann aus Sri Lanka, den Brunetti anlässlich einer Immobilien-Recherche kennengelernt hat. Er wurde erstochen. Auf der Suche nach dem Täter – die Schwere der Verletzungen deutet auf einen Mann hin – stößt Brunetti in der Wohnung des Toten auf ein Konvolut von Zeitungen aus der Zeit der Roten Brigaden. Erinnerungen kommen auf an Attentate, Entführungen, Ermordungen. Aber wie hängt das alles mit dem Mann aus Sri Lanka zusammen?
Inesh hatte im Gartenhaus eines Palacio Zuflucht gefunden. In dem verwitterten aber repräsentativen Gebäude umgeben von einem heruntergekommenen Garten residiert ein Professor, der sich um einen Adelstitel bemüht und mit einer Schulfreundin Brunettis verheiratet ist. Während der Commissario die alten Zeitungen studiert und sich an die eigenen Irrwege in seiner Studentenzeit erinnert, kommt die kluge Signorina Elettra einem terroristischen Netzwerk aus jener Zeit auf die Spur. Unter den Namen befindet sich auch der des Professors.
Die Familie in der Nebenrolle
Baustein für Baustein setzt Brunetti mithilfe der Kollegin Griffoni und des unermüdlichen Vianello die Verdachtsmomente zusammen. Am Ende ist es ein Hund, der dem Täter zum Verhängnis wird. Doch bis alles aufgeklärt ist, erleben die Lesenden einen grübelnden, auch verunsicherten Brunetti, der sich intensiv mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Paola und die Kinder müssen sich diesmal mit einer Nebenrolle begnügen.
Und, wie so oft bei Donna Leon, ist das Ende eher unbefriedigend, dafür realistisch. Die Gerechtigkeit sucht sich andere Wege als die der italienischen Justiz. „Wie die Saat, so die Ernte“ ist ein eher leiser, melancholischer Krimi, in dem wohl auch die Wehmut der 80-jährigen Autorin mitschwingt. Es gibt spannende Momente, aber der Spannungsbogen hängt zwischendrin eher durch. Doch wer Brunetti mag, wird auch seinen zweiunddreißigsten Fall mögen – nicht zuletzt, weil man dem Commissario so nahe kommt wie selten.
Donna Leon: Wie die Saat, so die Ernte; Diogenes, 315 S., 26 Euro