In gewaltigen Dimensionen erstreckt sich diese Anlage auf einem Bergsporn. Auf mehreren künstlich angelegten Terrassen liegen lang gestreckte Gebäudekomplexe übereinander. Überragt wird das monumentale, aus Natursteinen errichtete Ensemble von einem Bergfried – so wie es sich für eine Burg gehört. Aber das mittelalterliche Erscheinungsbild ist Täuschung und eine geschickte Inszenierung.
Diese vermeintliche Burg ist ein „Ort der Beeindruckung“, so formuliert es Stefan Wunsch. Der Historiker ist wissenschaftlicher Leiter der NS-Dokumentation Vogelsang, die auf der ehemaligen, heute denkmalgeschützten Ordensburg Vogelsang in der Nord-Eifel dafür Sorge trägt, dass die Geschichte dieses Ortes nicht in Vergessenheit gerät. Seit vor elf Jahren die belgische Armee, die das Areal seit 1950 genutzt hatte, ihre Soldaten abgezogen hat, wird daran gearbeitet, neue Nutzungen für dieses kolossale Gelände zu finden. Erhalt und Dokumentation haben sich gegen Pläne, die Anlage dem Erdboden gleichzumachen, durchgesetzt.
Im vergangenen Herbst wurde auf Vogelsang das neue Dokumentationszentrum mit der Dauerausstellung „Bestimmung: Herrenmensch“ eröffnet. Sie verdeutlicht, was hinter den Mauern der Ordensburg geschah. „Hier sollten zukünftige Parteiführer der NSDAP ausgebildet werden“, sagt Stefan Wunsch. Der Bedarf sei groß gewesen. „Wir wollten deshalb auch keine ortsgeschichtliche Ausstellung zeigen, sondern den Fokus auf die handelnden Menschen legen.“ So verfolgt die Schau in mehreren thematisch gebündelten Kapiteln die Entwicklung vermeintlich normaler junger Männer zu Tätern. „Denn die Ordensburgen waren Täterorte“, sagt Wunsch.
Es gab drei dieser für den Zweck Führungsnachwuchs auszubilden aus dem Boden gestampften Kaderschmieden. Die beiden anderen liegen in Sonthofen und in Krössinsee im heutigen Polen. Beide werden als Kasernen genutzt. Somit ist die 1936 noch als Baustelle eröffnete Ordensburg Vogelsang der einzige Ort, der an dieses Kapitel deutscher Geschichte und seine verhängnisvollen Folgen erinnert.
„Die Gesamtanlage, sozusagen unser größtes Exponat, symbolisiert den Aufstieg, der hier im Sinne der nationalsozialistischen Idee möglich sein sollte“, erklärt der Historiker. Die körperliche Ertüchtigung, die auf den unten liegenden Sportstätten betrieben wurde, war Ausgangs- und Mittelpunkt des Lehrbetriebs. Darüber befanden sich auf neu angelegten Terrassenstufen die „Kameradschaftshäuser“ mit Aufenthalts- und Schlafsälen. In den oben liegenden Gebäuden fand die Lehre statt. Zur perfekt durchdachten Inszenierung gehörte vor allem die „Ehrenhalle“ im Turm. Dort dominierte, wie in einer Apsis stehend, die überlebensgroße Holzstatue „Der deutsche Mensch“ einen Hörsaal.
„Ziel aller Anstrengungen und Projekte ist es, auf Vogelsang einen Ort der Begegnung entstehen zu lassen.“
Stefan Wunsch, wissenschaftlicher Leiter
Das geplante „Haus des Wissens“ wurde dagegen nicht mehr realisiert. Die Ordensburg-Geschichte blieb eine unvollendete. Keiner der sogenannten Ordensjunker, eine Bezeichnung, mit der man an den Deutschen Ritterorden und seine Missionen im Osten erinnern wollte, konnte sein Schulungspensum komplett absolvieren. Der Einsatz an der Front war wichtiger. Allerdings verdankte sich die Ausbildung ohnehin weniger konkreten Lehrplänen als der Improvisation.
Geeignete Lehrer waren Mangelware. Erziehung und Drill hießen die Hauptfächer. Es sollten „fanatische Prediger der nationalsozialistischen Weltanschauung“ geschult werden, hatte Robert Ley gefordert, der zuständige NSDAP-Funktionär.
Im neuen Dokumentationszentrum wird auch an die Verbrechen erinnert, die frühere Schüler der Ordensburgen begangen haben – etwa die Durchführung von Vertreibungen, die Gettoisierung der jüdischen Bevölkerung und die Vorbereitung von Massenermordungen. Noch bis in die 90er Jahre pflegten die Überlebenden ein Netzwerk und besuchten, getarnt unter fantasievollen Vereinsnamen, ihre frühere Ausbildungsstätte. „Kaum ein Ordensjunker ist wirklich in der Demokratie angekommen“, sagt Wunsch.
Die Sorgen, dass der Komplex in der Eifel zu einer Anlaufstelle für Neonazis werden könnte, hat bei den Planungen für eine neue Nutzung der Ordensburg stets eine große Rolle gespielt. „Bildungs- und Vermittlungsarbeit ist ein wichtiger Pfeiler unserer Tätigkeit.“ Sie findet unter dem Dach der Akademie Vogelsang IP statt. Die beiden Buchstaben stehen für Internationaler Platz, was die Bedeutung des Ortes über Deutschland hinaus anzeigt. „Ziel aller Anstrengungen und Projekte ist es, auf Vogelsang einen Ort der Begegnung entstehen zu lassen.“
Elf Jahre nach Beginn der zivilen Nutzung haben rund 70 Prozent der 50 000 Quadratmeter großen Fläche in den Gebäuden der ehemaligen Ordensburg eine neue Verwendung erfahren. Das Zentrum des 2004 gegründeten Nationalparks Eifel, in dem Vogelsang liegt, hat hier seinen Sitz gefunden. In den „Kameradschaftshäusern“ ist ein Rote-Kreuz-Museum eingezogen. Es gibt dort eine Seelsorge-Stelle des Bistums Aachen mit Angeboten und ein Gästehaus für Wanderer. Auch das Hallenbad der ehemaligen Ordensburg steht wieder offen. Schwimmer drehen nun im Angesicht des riesigen Mosaiks, das drei nackte Athleten zeigt, die heroisch eine Brandung durchschreiten, ihre Runden.
Bundes-, Landes- und EU-Mittel sowie Gelder der Gesellschafter der gemeinnützigen Vogelsang-GmbH, zu der vier angrenzende Landkreise, der Landschaftsverband Rheinland und die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens gehören, haben Umbau und Sanierung der Gebäude sowie dem Aufbau der NS-Dokumentation den Weg geebnet. Damit wurde nicht nur die nach dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände und dem KdF-Seebad Prora drittgrößte architektonische Hinterlassenschaft der Nationalsozialisten gerettet. Es ist darüber hinaus ein Ort der Aufklärung und Bildung entstanden.
Die Ordensburg Vogelsang Im Nationalpark Eifel liegt die frühere NS-Ordensburg Vogelsang. Der Gebäudekomplex wurde auf dem Berg Erpenscheid bei Schleiden-Gemünd (Nordrhein-Westfalen) errichtet. Neben dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ist die Bildungskaserne eines der größten erhaltenen Bauwerke der Nazi-Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Komplex von britischen Streitkräften übernommen. Von 1950 bis 2005 nutze die belgische Armee das Areal. Die Dauerausstellung „Bestimmung: Herrenmensch – NS Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen“ ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Infos: www.vogelsang-ip.de oder Tel. (0 24 44) 91 57 90