Frage: Sie spielen am 16. März in Würzburg. An diesem Tage läuten alljährlich zwischen 21.20 und 21.40 Uhr die Glocken aller Kirchen, um an die fast völlige Zerstörung der Stadt im Krieg zu erinnern. Wie reagieren Sie, falls es deswegen im Congress Centrum zu laut wird?
Anne-Sophie Mutter: Ich werde vorab prüfen lassen, inwieweit die Kirchenglocken tatsächlich im Konzertsaal zu hören sein werden. Wahrscheinlich müsste man die Pause dann nach dem dritten Werk machen statt nach dem zweiten, also vor den Saint-Saëns.
Wie empfindlich sind Sie generell gegenüber äußeren Einflüssen bei Auftritten?
Mutter: Also ich spiel' ja normalerweise nicht neben 'ner Würschtelbude (lacht). Insofern halten sich die akustischen Lärmfaktoren in Grenzen. Sofern das Publikum in der Lage ist, in den Ärmel zu husten oder in ein Taschentuch, bleiben die Dezibel im Rahmen.
Wenn Sie selbst ganz in der Musik drin stecken, klappt auch die Kommunikation mit dem Publikum?
Mutter: In der Regel schon. Es gibt natürlich besonders glückhafte Abende, in denen sich das sofort einstellt. Und es gibt Abende, an denen es etwas länger dauert, vielleicht wenn man ein zeitgenössisches Werk aufführt. Da braucht man dann sehr viel mehr musikalische Überredungskraft.
Sind Ihnen Live-Auftritte womöglich lieber als die Arbeit im Studio?
Mutter: Die CDs, die ich live aufgenommen habe, stehen mir besonders nahe. Frühe Aufnahmen, mit Herbert von Karajan beispielsweise, sind auch unter sehr exotischen Umständen zustande gekommen. Das war meistens eine Probe, die wurde mitgeschnitten, und – huch! – daraus wurde eine CD. Ewiges Wiederholen um der letzten technischen Perfektion willen ist mir sowieso sehr fremd.
1999 haben Sie mir in einem Interview gesagt: „Je älter ich werde, desto abgeneigter bin ich dem Prozess gegenüber, etwas sozusagen für die Ewigkeit zu bannen. In der wiederholten Einspielung eines Stücks manifestiert sich auch die Endlichkeit des Lebens.“ Würden Sie das heute noch unterschreiben?
Mutter: Ohne Frage. Aber: Als Musiker steht man immer wieder vor Zwischenplateaus, wo es heißt, ein Resümee zu ziehen, sprich: etwas aufzunehmen, das theoretisch für die Ewigkeit, zumindest aber für eine begrenzte Zeit abrufbar ist. Diese Projekte sind besonders wichtig, weil man, wenn man eine musikalische Aussage festhält, sich selbst viel stärker überprüft als in der Flüchtigkeit eines Konzertes. Es gibt das interessante Phänomen, dass man im Moment des Konzertes ein ganz anderes Empfinden für Tempi in sich trägt, als sie die Realität tatsächlich wiedergibt. Schon deswegen muss man sich – leider, leider – immer wieder aufnehmen und prüfen, inwieweit sich Wunsch und Wirklichkeit decken. Wenn man sich nicht regelmäßig kontrolliert, deckt sich's bei Weitem nicht so stark, wie man sich's gerne einredet.
CDs müssen wahrscheinlich auch deswegen sein, damit Sie am Markt präsent sind. Andernfalls könnten Sie an Popularität einbüßen.
Mutter: Popularität hat mich noch nie interessiert. Sonst wäre mein Leben ganz anders abgelaufen. CDs sind für mich – wie gesagt – Zwischenplateaus. Oft geht es bei Aufnahmen auch um zeitgenössische Musik. Um Werke, die für mich geschrieben wurden, die ich mit großer Leidenschaft spiele, an die ich glaube und die ich für die nächsten Generationen einspielen möchte. Ich will immer wieder den Zeigefinger auf die Zukunft richten.
Ihre Art zu spielen hat sich über die Zeit hinweg verändert. Sie spielen – obwohl Sie zwei Stradivaris besitzen – seit Jahrzehnten mit der „Lord Dunn-Raven“. Ist das nur eine romantische Vorstellung, oder ändert sich das Instrument mit Ihnen?
Mutter: Das ist tatsächlich so. Und der Musiker ändert sich natürlich auch wegen des und mit dem Instrument. Man passt sich, glaube ich, gegenseitig an, man verändert sich mit dem anderen. Ich würde nicht sagen, ein Instrument sei ein Lebewesen. Aber: Holz lebt. Das ist keine Erfindung oder keine romantisierte Vorstellung. Holz lebt und verändert sich ständig im Klang durch die ständig wechselnden klimatischen Einflüsse. Ich musste kürzlich beispielsweise einen Wintersteg anbringen, deswegen bin ich extra nach Paris gereist. Dieser Steg ist um einen Millimeter höher als der Sommersteg, und zwar deswegen, weil die Decke der Geige in diesem extrem trockenen Klima einsinkt. Dadurch verändern sich die Spielbarkeit und die dynamische Bandbreite völlig. Dem muss man entgegenwirken, indem man anders spielt und indem man die Geige dem Klima entsprechend ausrüstet. Im Sommer wird der Steg wieder gewechselt. Das bedeutet dann wieder eine große technische Umstellung. Ich sage Ihnen: Ein Millimeter ist bei den winzigen Dimensionen einer Geige fast 'ne Bergbesteigung. Bei uns Musikern ist alles so fein getunt, dass jede kleinste Veränderung auch eine Veränderung in der Interpretation hervorruft.
So eine Stradivari scheint ja eine Diva zu sein . . .
Mutter: Eine Stradivari ist kein Instrument, das sich leicht spielt. In den falschen Händen klingt sie wahrscheinlich unattraktiver als ein Durchschnittsinstrument.
Seit Karajans Zeiten hat sich – aus meiner Sicht – die Interpretation klassischer Musik sehr verändert. Heute klingt alles eckiger. Wie sehen Sie das?
Mutter: Ich würde das nicht grundsätzlich bejahen. Sicher hat die zeitgenössische Musik, mit der ich mich seit 1986 auseinandersetze, zu einer extremen Verbreiterung meines musikalischen Verständnisses und meiner Farbpalette geführt. Einfach, weil ich seit Jahrzehnten in vielen intensiven Gesprächen mit Komponisten erfahre, wie wenig die Notenschrift in der Lage ist, die Imaginationskraft einer Komposition deutlich zu machen, und wie endlos die Möglichkeiten auf einem Streichinstrument sind. Aber es ist nicht unbedingt kanalisierbar in eckig und rund. Ich bin eher davon überzeugt, dass es im Lauf der Zeit eine Vergrößerung der Ausdruckspalette gegeben hat. Mit steigender Lebenserfahrung wird man wahrscheinlich zudem dünnhäutiger, und die Abgründe in der Musik spielen eine viel größere Rolle. Man sieht nicht alles nur durch die rosarote Brille einer 13-Jährigen.
Können Sie eigentlich nebenher Musik hören – zum Beispiel im Auto?
Mutter: Im Auto, wenn ich nicht selbst fahre, ja. Aber sonst bin ich im Nebenherhören unbegabt. Das kann ich überhaupt nicht.
Das liegt wahrscheinlich daran, dass Sie Musik immer in allen Nuancen wahrnehmen wollen?
Mutter: Ja. Ich will mich komplett drauf konzentrieren. Ich bin sonst ein begabter Multitasker – außer wenn es um Musik geht. Drum höre ich in meiner Freizeit auch kaum Musik. Da müsste ich mich für eine Stunde hinsetzen und nichts tun – (lachend) und das ist so gut wie unmöglich.
Anne-Sophie Mutter und ihr Konzert in Würzburg
Geboren am 29. Juni 1963 in Rheinfelden bei Baden. Schon mit fünf Jahren wollte sie Geige lernen, ein halbes Jahr später gewann Anne-Sophie Mutter ihren ersten Wettbewerb. Als 13-Jährige spielte sie bei den Salzburger Pfingstfestspielen Mozarts G-Dur-Violinkonzert unter der Leitung von Herbert von Karajan. Unterstützt von dem Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker startete Mutters Weltkarriere.
Zwei Stradivaris sind im Besitz der Künstlerin: die „Emiliani“ und die „Lord Dunn-Raven“. Die „Emiliani“ ist auf frühen Aufnahmen zu hören. Seit Jahrzehnten bevorzugt Anne-Sophie Mutter die „Dunn-Raven“ – wegen des präsenteren Tones gerade im Pianissimo. Verheiratet war die Geigerin von 1989 bis zu dessen Tod 1995 mit dem Rechtsanwalt Detlef Wunderlich und von 2002 bis 2006 mit dem Komponisten und Dirigenten André Previn. Sie hat zwei Kinder.
In Würzburg spielt Anne-Sophie Mutter, zusammen mit ihrem langjährigen Klavier-Begleiter Lambert Orkis, Mozarts Klaviersonate KV 379, Schuberts Fantasie D 934, Lutoslawskis Partita für Violine und Klavier sowie die Sonate Nr. 1 in d-Moll von Saint-Saëns. Das Konzert beginnt am 16. März um 20 Uhr im Congress Centrum Würzburg (CCW).
Vorverkauf: Tel. (0 18 05) 57 00 00