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Rothenburg ob der Tauber: Auf der Spur der Gewalt im Lied

Rothenburg ob der Tauber

Auf der Spur der Gewalt im Lied

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    Provokation als Programm: Till Lindemann, Sänger der Band Rammstein (2013 in Wacken).
    Provokation als Programm: Till Lindemann, Sänger der Band Rammstein (2013 in Wacken). Foto: Foto: Axel Heimken, dpa

    „Ich tu dir weh / Tut mir nicht leid / Das tut dir gut.“ Oder: „Da nahm er sein Rasiermesser und schnitt ihr ab den Schlund.“ Beide Zitate sind aus Liedern. Beide sind brutal: Einmal geht es ums (Selbst?-)Quälen eines Menschen aus reinem Vergnügen, einmal um Mord. „Ich tu dir weh“ der Band Rammstein erschien 2010, die „Sabinchen“-Moritat stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

    Der Jurist Markus Hirte hat die Spur der Gewalt in Liedtexten verfolgt: Sie reicht bis ins Mittelalter. Hirte, Direktor des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg, referiert bei einem Symposium über „Mordballaden“. Aus Sicht des Rechtsgeschichte-Experten stehen Rammstein ebenso in einer Tradition wie moderne Gangsta-Rapper.

    Möglichst spektakulär

    Diese Tradition reiche bis zu den Bänkelsängern des 16. Jahrhunderts, erklärt Hirte. Die stiegen seinerzeit, um gesehen zu werden, auf eine Bank, informierten – „als eine Art gesungene Zeitung“ – über Ereignisse und verkauften entsprechende Flugblätter. Um gute Geschäfte zu machen, sangen sie von möglichst spektakulären Ereignissen, von schrecklichen Schicksalsschlägen, von Mord und Totschlag.

    „Mit dem Siegeszug der Zeitung im 17. Jahrhundert hatten Bänkelsänger ein Problem: Das neue Medium war schneller als fahrende Sänger“, so Hirte. Sie verlegten sich auf zeitlose Themen. Auch dabei sei es, publikumswirksam, „um möglichst wilde und skurrile Geschichten gegangen“, sagt der promovierte Jurist.

    Die sogenannten Moritaten wurden den Herrschern und auch der Kirche bisweilen zu frech. Hirte: „Es gab Zensur. Man hat sehr genau darauf geachtet, was gesungen wurde. Und am Ende musste eine Moral stehen.“

    Die Zwangsmoral

    „Das war ein Spagat für jeden Moritatensänger“, erzählt der Museumsleiter. „Er musste, um verkaufen zu können, dramatische Geschehnisse aufplustern und dann am Schluss irgendeine ,Moral von der Geschicht' anfügen.“ Das wirkte häufig und meist unfreiwillig ziemlich schräg.

    Publikumswirksame Geschichten von Mord und Totschlag: Moritatensänger in einer alten Darstellung Foto Mittelalterlichtes Kriminalmuseum
    Publikumswirksame Geschichten von Mord und Totschlag: Moritatensänger in einer alten Darstellung Foto Mittelalterlichtes Kriminalmuseum Foto: MKM

    Hier kommt wieder Sabinchen ins Spiel, das „Frauenzimmer, gar hold und tugendhaft“. Die „höchst schauderhafte Begebenheit, welche vorigtes Jahr am dreißigsten Februar ist begangen worden“ sei „1849 als literarische Parodie der seinerzeit verbreiteten Mordmoritaten entstanden“, schreibt das Deutsche Volksliedarchiv (www.liederlexikon.de). Wer „Sabinchen“ von Claire Waldoff hört, begreift, wie aus der Not eine Tugend gemacht wurde: Die Moral wurde nun ganz bewusst parodistisch eingesetzt.

    Zwar wird im Grunde immer noch ein Mord beschrieben – der eines Schusters an der Magd Sabine. Doch der satirische Ton federt die Dramatik ab. Auch, weil die „Moral“ nicht etwa: „Du sollst nicht töten“ heißt, sondern „Trau keinem Schuster nicht!“

    In den Kopf gehämmert

    Mildernde Ironie – bei Rammsteins „Ich tu dir weh“ Fehlanzeige. Aggressiv und mit rollendem R – das fatal an Hitler-Reden denken lässt – donnert der Text. Die harten Gitarrenakkorde hämmern ihn geradezu in den Kopf des Zuhörers – und es gibt heftigere Stellen als die oben zitierte. . .

    Prompt landete „Ich tu dir weh“ auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Das Album durfte nicht an Minderjährige verkauft, der Song nicht bei Konzerten gespielt werden. Die Indizierung wurde wenige Monate später aufgehoben.

    Markus Hirte
    Markus Hirte Foto: Foto: Rolf Diba

    „Ähnlich wie bei den alten Bänkel- und Moritaten-Sängern geht es darum, Grenzen auszutesten – auch zu überschreiten – und bewusst zu polarisieren“, meint Hirte. Die Brachialrocker von Rammstein versuchen immer wieder zu provozieren. Etwa auch in dem Nekrophilie-Song „Heirate mich“ oder mit dem Video zu „Stripped“, in das Bilder aus Leni Riefenstahls Nazi-Propaganda-Film über Olympia geschnitten wurden. Die früheren Diskussionen über die Nähe der Band zu rechtsradikalem Gedankengut hält Hirte – mit Blick auf das Provokationsmuster der Band – für übertrieben. Auch sei Musik schon immer ein Ventil gewesen: Was für die Swing-Kids der Dreißiger oder die Rock 'n' Roller der Fünfziger gilt, sollten wir auch unserer Zeit zugestehen.

    Und die Konsequenzen?

    Braucht es rechtliche Konsequenzen? Der Rothenburger Jurist ist kein Freund davon, „sofort mit der Keule des Verbots oder der Zensur“ zu drohen. Als „Kind aus den Neuen Bundesländern“ – Hirte wurde 1977 in Weimar geboren – halte er es für sehr wichtig, „dass man sagen kann, was man will, dass man singen kann, was man will“. Kunstfreiheit sei ein absolut geschütztes Grundrecht – „was aber nicht heißt, dass wir alles dulden müssen und nichts sagen dürfen“.

    Keine Frage: Wir sind unsensibler geworden. Die Grenzen der Gewaltdarstellung haben sich verschoben, so Markus Hirte. „Nehmen Sie als Beispiel einen Film wie ,Ivanhoe‘ aus den Fünfzigern. Da werden Menschen von Pfeilen durchbohrt – und Sie sehen nicht einen Tropfen Blut. Jeder Fernseh-,Tatort‘ ist heute blutiger.“

    Einfache Lösungen gibt es nicht

    Hirte plädiert für den gesellschaftlichen Diskurs – und für Zivilcourage. „Wir müssen sagen, was für uns noch ertragbar ist und wo eine Grenze überschritten wird“. Ein Vorbild könne der öffentliche Auftritt von Campino bei der diesjährigen Verleihung der „Echo“-Musikpreise sein. Der Sänger der Toten Hosen war gegen grenzwertige Texte der Rapper Farid Bang und Kollegah aufgestanden. Campino hatte eine breite Diskussion ausgelöst, in deren Folge der Musikpreis abgeschafft wurde.

    Diese Lösung empfindet Markus Hirte nicht als optimal. Einfache Lösungen gebe es nicht im Spannungsfeld von Kunstfreiheit und unzulässiger Gewaltverherrlichung.

    Symposium zum Thema Gewalt und Musik Was darf Musik? Wo ist die Grenze zwischen Kunst und Verletzung der Menschwürde? Diesen und ähnlichen Themen widmen sich am 11. August ab 14 Uhr fünf Wissenschaftler im Mittelalterlichen Kriminalmuseum Rothenburg beim Symposium „Rock Rap Recht“. Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit dem Taubertal-Festival (10. bis 12. August). Alle Vorträge sind öffentlich. Voranmeldung unter Tel. (0 98 61) 53 59 oder info@kriminalmuseum.eu. Beim letzten Vortrag ist der Eintritt frei: Professor Wolfgang Schild von der Uni Bielefeld widmet sich ab 19 Uhr dem Thema „Musikalischer Hexensabbat“.

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