„Bambi – das Rehkitz, dessen Mutter getötet wird und das fortan sein Leben selbst in die Hand nehmen muss. Ist die Geschichte nicht ein bisschen kitschig?“, könnte fragen, wer sich an rührselige Szenen aus dem alten Disneyfilm erinnert. Und nun „Bambi“ als Weihnachtsmärchen des Maßbacher Theaters. Man würde leicht skeptisch, wüsste man nicht, dass Christian Schidlowsky, der Experte für Quergedanken, das Stück für die Bühne bearbeitet und inszeniert hat.
Und siehe da: Bereits nach den ersten Szenen auf der Bühne der Lauertalhalle ahnt man: Die Geschichte wird anders. Sie hält sich an die Naturphilosophie des Schriftsteller Felix Salten, dessen 1923 erschienener Roman ein sensibles Plädoyer für die Gleichwertigkeit des Lebens von Mensch und Tier ist. Fern von jeder Art Disneyland. Schidlowsky und sein Team machen daraus einen Reigen aus Musik, Tanz (Choreografie: Dominik Blank), Spiel, Erzählung, Sprechgesang und wundersamen Verwandlungen der vier Schauspieler.
Spielerische Neugierde
Manchmal werden Tonia Fechter, Katharina Försch, Alexander Baab und Vincenzo Tatti aus ihren wechselnden Rollen als Bambi, als Mutter, als Fürst des Waldes, als Kitze, junge Rehböcke, als Krähe, Specht, Eichhörnchen und Häschen hervortreten und das Geschehen kurz erzählen. Über allem steht die Angst vor dem unbekannten, allmächtig erscheinenden „Er“: dem Menschen. Dann wieder tritt spielerische Neugierde in den Vordergrund und das Gerangel um den Platz in der Gemeinschaft. Manchmal werden die Schauspieler im Sprechgesang die Ereignisse kommentieren. Und manchmal werden sie sich so in ihre Tiergestalten zurückziehen, dass man glauben möchte, sie hätten das Verhalten der Waldtiere vor Ort studiert.
Dazu braucht es keine Tierkostüme, Stupsnasen oder Geweihe. Es genügen wunderlich wollene Kleidungsstücke (Kostüme: Jutta Reinhard), die man leicht der Marke „Waldhaus“ zuschreiben könnte, wenn es sie denn gäbe. Und ein knorriger langer Stock symbolisiert die Macht des edlen Fürsten des Waldes, Bambis Vater, der immer wieder einmal ins Geschehen eingreift.
Um den Kindern Freuden und Nöte des jungen Rehbocks nahezubringen, braucht es keine naturalistischen Waldrequisiten. Es genügen grün bedruckte, hohe sechskantige Kuben (Bühnenbild: Peter Picciani), die nach Belieben zu öffnen, zu schließen und neu zusammenzusetzen sind. Wenn diese abstrakte Wald- und Wiesenkulisse stimmungsvoll ausgeleuchtet wird, wächst in den Kindern die Illusion einer Waldgesellschaft beinahe von selbst.
Vertrauen in die Fantasie
Viele der jungen Zuschauer sind denn auch von den Ereignissen dort vorne, im tiefen, dunklen Wald, fasziniert. Allein die Anfangsszene von Bambis Geburt – wie sich das kleine Wesen reckt und streckt und mit Hilfe anderer Rehe langsam auf die Beine kommt –, allein diese Szene wollte man in ihrer Innigkeit festhalten. Sie korrespondiert, um den dramatischen Bogen zu schließen, mit der Schlussszene, dem Tod des alten Vaters.
Der Regisseur vertraut auf den Reichtum an Fantasie der kleinen Zuschauer. Das ist ganz schön gewagt in einem Zeitalter von hunderttausendundeinem digitalen Reiz. Aber es gelingt. Mit einer Einschränkung: Selbst erwachsene Zuschauer wissen bei der Dynamik des Gestaltenwechsels im ersten Augenblick nicht, wer gerade in wessen Rolle schlüpft. Das ist der Preis einer solch temporeichen, einstündigen Inszenierung, die zum versöhnlichen Schluss kommen möchte, bevor es im Saal unruhig wird.
Infos über Gastspiele und Karten: Tel. (0 97 35) 235 www.theater-massbach.de