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Bayreuth: Bayreuth: Die neue "Walküre" ist eine Performance, keine Inszenierung

Bayreuth

Bayreuth: Die neue "Walküre" ist eine Performance, keine Inszenierung

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    Vorne wird konzertant gesungen, hinten fließen Farben ineinander. Die Bayreuther Festspiele bringen in der "Walküre" Richard Wagner und den Künstler Hermann Nitsch zusammen.
    Vorne wird konzertant gesungen, hinten fließen Farben ineinander. Die Bayreuther Festspiele bringen in der "Walküre" Richard Wagner und den Künstler Hermann Nitsch zusammen. Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

    Das Gesamtkunstwerk, zumal wie es Richard Wagner vorschwebte, ist der Traum jeder Intendanz. Musiktheater, vor allem die Staatsopern, spannen gerne epochale Werke der Musikgeschichte mit den Bildwelten namhafter zeitgenössischer Kunstschaffender zusammen. Eben ist in München ein „Idomeneo“ mit dem Bühnenbild der britischen Künstlerin Phyllida Barlow herausgekommen. Und nun ist in Bayreuth eine „Walküre“ erschienen, die der österreichische Aktionskünstler Hermann Nitsch für jede Vorstellung mit jeweils drei Schütt- und Spritzbilder-Ensembles neu illustrieren lässt.

    Drei Aufzüge, drei zunächst unberührte weiße Bildräume, drei Mal-Schichten der rund ein Dutzend Mitarbeiter Nitschs. Sie lassen binnen guter drei Stunden hunderte von Litern Farbe eine Wand hinabrinnen – oder schleudern diese auf den Bühnenboden. Je weiter ein Aufzug fortschreitet, desto dichter die Farblandschaft. Das steht für sich.

    Klaus Florian Vogt (Siegmund, vorne links) und Irene Theorin (Brünnhilde, vorne rechts) in der neuen Bayreuther "Walküre". Hinten verschütten Malassistenten des österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch Farbe. 
    Klaus Florian Vogt (Siegmund, vorne links) und Irene Theorin (Brünnhilde, vorne rechts) in der neuen Bayreuther "Walküre". Hinten verschütten Malassistenten des österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch Farbe.  Foto: Enrico Nawrath, Festspiele Bayreuth, dpa

    Was auch für sich steht, das ist – vor dieser Farblandschaft – die Aufführung von Richard Wagners „Walküre“. Die Sänger betreten im Gänsemarsch und in langen schwarzen Gewändern, Büßerhemden gleich, die Bühne, setzen sich auf Stühle parallel zur Bühnenkante, stehen auf, wenn sie zu singen haben, treten ab. Vorne also eine konzertante Aufführung mit überdeutlichen Bezügen zum strengen Oratorium, hinten anschwellender Farbrausch im Malsaal. Bayreuth fährt zweigleisig – mal hat Wagner die Nase vorn, mal Nitsch. In die Quere kommen sie sich kaum.

    Um manches zu verstehen, braucht man viel guten (Deutungs-)Willen

    So war es bei der Generalprobe, die diesen Zeilen zugrunde liegt. Es scheint ausgeschlossen, dass sich bis zur Premiere am Donnerstag noch Grundsätzliches verändert hat. Man sieht und freut sich am einen, man hört und freut sich am anderen. Man kann ja auch anderes simultan verrichten.

    Irene Theorin singt die Brünnhilde. 
    Irene Theorin singt die Brünnhilde.  Foto: Enrico Nawrath, Festspiele Bayreuth, dpa

    Die Bezeichnung „Inszenierung“ für diese Performance vermeidet Bayreuth. Nitsch wird auf dem Besetzungszettel als Aktionskünstler geführt; einen Regisseur gibt es nicht. Das Publikum ist gehalten, selbst etwaige Querverbindungen zwischen der optisch anspringenden und der akustisch anflutenden Sphäre zu ziehen. Die Muße dafür ist in dem stark ritualisierten Spiel vorhanden.

    Vor zehn Jahren hat Nitsch in München den „Saint François d’Assise“ von Olivier Messiaen sehr ähnlich ausgestattet. Auch dort waren schon Gekreuzigte mit verbundenen Augen zu erleben, denen eine tiefrote Flüssigkeit in den Mund gegossen wurde, die dann den Körper hinabrann. Jetzt, in Bayreuth, könnten diese Gekreuzigten – mit viel gutem Deutungswillen – für die tief gedemütigten Frauen Sieglinde und Brünnhilde stehen.

    Der Aktionskünstler Hermann Nitsch, 82,  vor dem Bayreuther Festspielhaus.
    Der Aktionskünstler Hermann Nitsch, 82,  vor dem Bayreuther Festspielhaus. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Aber während bei „Saint François d’Assise“ immerhin noch an eine Schnittmenge zwischen christlich-katholischer Leidensgeschichte und dem Mysterien-Theater Nitschs zu denken war, bleibt es nun bei Wagner fast ganz bei einer Parallelaktion mit vager allgemeingültiger Farbsymbolik. Mitunter wünscht man sich durchaus: Jetzt nicht mehr weiter Farbe schütten, das Bild ist vollendet! 

    Warum lässt man Nitsch nicht den "Parsifal" in Szene setzen?

    Das ist das eine. Das andere ist Wagners germanische Tragödie um Geschwisterliebe hier, göttlichen Zwist und Machterhalt dort. Eine dazu emporgereckte Monstranz muss befremden. Warum nur darf Hermann Nitsch, Jahrgang 1938 und Vertreter des Wiener Aktionismus, jenes Stück, das seinem Werk am ehesten angemessen sein könnte, nicht in Szene setzen – Wagners „Parsifal“ mit seinem Wundblutopfer?

    Nicht alles, was zu hören ist, stammt von Solisten und  Orchester. Es kommt halbminütlich ein Flatschen und Platschen dazu – und manchmal auch ein Geschabe, wenn die Farbe auf dem Bühnenboden mit Borstenbesen weiter verteilt wird. Einmal in der Generalprobe wendet Siegmund (Klaus Florian Vogt)  den Kopf nach hinten und schüttelt ihn leicht, missbilligend. Verständlich, auch seitens des Publikums. Ob das nun verabredet oder eine spontane Reaktion Siegmunds war, blieb offen.

    Die Monstranz befremdet: Szene aus der neuen Bayreuther "Walküre".
    Die Monstranz befremdet: Szene aus der neuen Bayreuther "Walküre". Foto: Enrico Nawrath, Festspiele Bayreuth, dpa

    Nach dem Bayreuth-Debüt von Oksana Lyniv („Fliegender Holländer“) kam nun noch das Debüt des Finnen Pietari Inkinen, der 2022 auch den „Ring“ musikalisch schmieden soll. Auch er reiht sich in die Schar der jungen Dirigenten ein, die Wagners Partituren auflichten: Klar, schlank, in sich nuanciert und kammermusikalisch bewegt, drängt diese neuere Auffassung Aufladung, Gefühlswallung, Pathos zurück. Die Musik berichtet, erzählt mehr, als dass sie kommentiert. Gut fürs Ohr.

    Dass Groissböck als Wotan abgesagt hat, ist nicht recht erklärlich

    Wenn die Solisten in den beiden noch folgenden Aufführungen so singen wie in der Generalprobe, wird das Auditorium jubeln, besonders hell über Lise Davidsen und ihrem vor Volumen strotzenden Sopran (Sieglinde), über Klaus Florian Vogt, der nun nach Lohengrin und Parsifal auch den Siegmund mit Orientierung an Lied und Kantate singt, über Dmitry Belosselskiys Hunding, ein Macho-Bass, der Widerspruch nicht duldet.

    Dass Günther Groissböck als vornehm artikulierender, wunderbar abschattierender Wotan nach der Generalprobe absprang, ist nicht recht erklärlich. Ja, er hatte zum Generalprobenfinale einen Frosch im Hals, aber die Besetzung mit seinem (tiefen) Bass war grundsätzlich überzeugend. Für ihn sprang bei der Premiere am Donnerstag Tomasz Konieczny ein.

    Weitere Vorstellungen am 3. und 19. August.

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