Das Ende des Kalten Krieges bringt neue Perspektiven. Quantenphysiker kommen dem Urknall – dem Punkt der Entstehung des Universums – immer näher. Ein neues Medium, das Internet, macht Informationen und Ideen so vielen Menschen zugänglich wie nie zuvor. Das Finanzsystem, Basis für das Funktionieren der Gesellschaft, wankt. Die Welt um das Jahr 2000 ist im Umbruch.
Die Entdeckung eines Kontinents bringt neue Perspektiven. Der Arzt und Astronom Nikolaus Kopernikus zeigt, dass die Erde um die Sonne kreist. Ein neues Medium, das mit beweglichen Lettern gedruckte Buch, macht Informationen und Ideen so vielen Menschen zugänglich wie nie zuvor. Die Kirche, Basis für das Funktionieren der Gesellschaft, wankt. Die Welt um das Jahr 1500 ist im Umbruch.
Es ließen sich noch mehr Parallelen finden zwischen dem Jetzt und der Zeit vor 500 Jahren. Parallelen, die offenbar auch die Kunst jener Epoche attraktiv machen: Noch nie gab es hierzulande gleichzeitig so viele bedeutende Ausstellungen zur Renaissance. In Berlin, Hamburg München und Dresden widmen sich Museen der Zeit von Leonardo, Dürer und Cranach (siehe Kasten). Das Berliner Bode-Museum lockt mit dem Namen schlechthin: Leonardo da Vinci. Mit der „Mona Lisa“ hat er das, laut Umfragen, bekannteste Bild der Welt gemalt. „Leonardo ist das Nonplusultra“, urteilt Stefan Kummer. Italienische Kunst der Renaissance ist einer der Forschungsschwerpunkte des Würzburger Kunsthistorikers. Leonardo (1452 bis 1519) war Wissenschaftler, Techniker und Künstler – ein Universalgenie im Sinne der Renaissance. Der Mann aus Anchiano bei Vinci studierte den Menschen. Denn nur wer die Anatomie kennt, kann Menschen wahrhaft wiedergeben. Im Mittelalter hatten Porträts eher wenig mit den Dargestellten zu tun. Es wurden Typen gezeigt oder Ideale. „Weltliches wurde als nicht darstellungswürdig empfunden“, erklärt Stefan Kummer.
Wer Leonardos „Mona Lisa“ betrachtet, sieht dagegen ein Individuum vor sich. Sein „Abendmahl“ rührt an, weil da lebendige Menschen zu sitzen scheinen. Die Ausstrahlung der „Dame mit dem Hermelin“ spricht den Betrachter unmittelbar an – ganz anders als die heute distanziert wirkende Kunst der Epoche vor Leonardo. Gemalt zwischen 1483 und 1490, ist das Porträt der jungen Frau Besuchermagnet der Berliner Renaissance-Ausstellung. Die Leihgabe aus Krakau gehört zu den wenigen Bildern, die als echte Leonardos gelten. „Man kann ihm vielleicht sieben oder acht Bilder sicher zuordnen“, sagt Kummer. Leonardo erforscht die Natur, skizziert Pflanzen, Tiere, ausgefallene Landschaftsdetails, füllt Tausende von Seiten mit Erkenntnissen und Erwägungen zu Geometrie, Mathematik und Geologie. Er ist geistiger Vorreiter einer Epoche, die, so Kummer, „die Welt und den Menschen zu entdecken und zu erforschen beginnt“ und letztlich „Geburtszeit der Moderne“
war. Man lernt die Kunst der Antike schätzen. Wie klassische Statuen werden Menschen nackt dargestellt. Platon und Aristoteles werden im Original gelesen. Der Name Renaissance, welcher der Epoche im 19. Jahrhundert gegeben wurde, bezieht sich auf die Wiedergeburt der Antike.
Mit der ersten Fassung der Felsgrotten-Madonna (zwischen 1483 und 1486) verärgert Leonardo seine Auftraggeber, die „Bruderschaft der unbefleckten Empfängnis“. Er hat Johannes und den Jesusknaben ohne Heiligenschein gemalt – für Traditionalisten damals undenkbar. Später lassen auch andere Renaissance-Künstler wie Michelangelo und Cranach, den Heiligenschein weg. Dabei geht es ihnen nicht nur darum, die Natur möglichst getreu abzubilden. Es hängt auch mit der beginnenden Emanzipation des Künstlers von der Kirche zusammen.
Zwar kommen, wie Professor Kummer betont, auch in der Renaissance die meisten Aufträge für Künstler von der Kirche. Dennoch: Die Abkehr von der Tradition religiöser Darstellungen hat auch mit dem neuen Selbstbewusstsein des Künstlers zu tun – und mit der zunehmenden Unzufriedenheit an der katholischen Kirche. Zu sehr ist der Papst in politische Machenschaften verstrickt, am päpstlichen Hof und in den Klöstern werden die Sitten lockerer, der Ablasshandel regt die Bürger auf. Am Ende dieser Entwicklung steht 1517 die Veröffentlichung von Luthers Thesen, die die Reformation auslösen. Die Eine Kirche, wie sie das Mittelalter beherrschte, wird gespalten. Der Humanist Ulrich von Hutten jubelt: „O Jahrhundert, o Wissenschaft! Es ist eine Lust zu leben. Die Studien blühen, die Geister regen sich. Barbarei, nimm dir einen Strick und mach dich auf Verbannung gefasst!“
Dass in der Renaissance auch die Gesetze der Perspektive erkannt wurden, macht die Bilder jener Epoche leichter verstehbar als die des Mittelalters. Da sperren sich seltsam verschobene Proportionen den heutigen Sehgewohnheiten. Womöglich ist es aber gar nicht so sehr der (komplizierte) geistige Hintergrund, der die Besucher scharenweise in die Renaissance-Schauen lockt. „Große Namen ziehen immer“, sagt Kummer. Zu sehen sind neben Leonardo auch Raffael, Botticelli, Grünewald, Cranach, Dürer. Womöglich ist es also nur die Promi-Sucht unserer Zeit, die die Museen füllt. Kummer: „Der Genie-Kult des 19. Jahrhundert wirkt noch immer.“
Die Ausstellungen
Bode-Museum, Berlin: „Gesichter der Renaissance.“ Über 150 Werke italienischer Porträtkunst von mehr als 40 Meistern der Frührenaissance. Darunter auch Leonardo da Vincis „Dame mit dem Hermelin“. Die Schau dauert bis 20. November, der Leonardo ist allerdings nur bis 31. Oktober zu sehen, er wandert dann zu einer Ausstellung nach London weiter. Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch 10–18, Donnerstag bis Sonntag 10–22 Uhr.
Hypo-Kunsthalle, München: „Dürer, Cranach, Holbein – Die Entdeckung des Menschen: Das deutsche Porträt um 1500.“ Bis 15. Januar, täglich 10–20 Uhr. Semperbau am Zwinger, Dresden: „Himmlischer Glanz – Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna.“ Bis 8. Januar 2012, Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr. Bucerius Kunstforum, Hamburg: „Die Erfindung des Bildes. Frühe italienische Meister bis Botticelli.“ Bis 8. Januar 2012, täglich 10–19, donnerstags bis 21 Uhr. Wilhelmsburg, Schmalkalden/Thüringen: Eines der besterhaltenen Renaissance-Schlösser mit Dauerausstellung zur Epoche (April bis Oktober: Montag bis Sonntag 10–18 Uhr; November bis März: Dienstag bis Sonntag 10–16 Uhr).