Seine Sanftmut überrascht. Jehuda Bacon lächelt freundlich, seine blauen Augen strahlen, wenn er erzählt, dass er in jedem Menschen das Gute, den Funken Gottes sehe, „auch in den Abtrünnigen“. Diese Einstellung und dieses Wissen hätten ihm geholfen, an den schrecklichen Erlebnissen in mehreren Konzentrationslagern nicht zu zerbrechen. Jehuda Bacon hasst nicht. Bereits kurz nach Kriegsende hat er dieses zerstörerische Gefühl abgelegt, „sonst hätten die Nazis ja gesiegt“.
Vor neun Jahren war Jehuda Bacon erstmals in Würzburg. Im Museum am Dom wurden damals seine Bilder ausgestellt. Sie sind nicht alle dunkel, sondern auch voller Leichtigkeit und Farbe. „Ich versuche, das Geheimnis des Lebens abzubilden“, sagte er damals.
Bacon beantwortete alle Fragen ruhig und geduldig. Er hat dies schon oft getan, denn er engagiert sich seit langem in der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“. Im Frankfurter Auschwitz-Prozess war er ab 1963 ein wichtiger Zeuge. Er besitzt ein gutes Gedächtnis und hatte Zeichnungen im Gepäck, mit denen er ab 1945 den Holocaust dokumentierte. Jüngst hat Bacon, der seit 1946 in Jerusalem lebt und bis 1994 als Professor an der Kunstakademie lehrte, dem Psychotherapeuten und Theologen Manfred Lütz ein Interview gegeben.
Daraus ist ein Buch geworden („Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden. Leben nach Auschwitz“, Gütersloher Verlagshaus, 16,99 Euro).
„Meine Bilder haben mich gerettet“
Nach Kriegsende hat es jedoch einige Zeit gedauert, bis er wieder zu „normalen“ menschlichen Regungen fähig war. Damals war er erst 15 Jahre alt und hatte bereits unvorstellbare Grausamkeiten erlebt, Todesangst, Tod. Jehuda Bacon war in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau und nach zwei „Todesmärschen“ in Mauthausen und Gunskirchen. Nach der Befreiung musste er das Leben erst wieder lernen. Er konnte damals gar nicht begreifen, dass der Tod eines einzelnen Menschen große Trauer auslöst. Er habe lachen müssen, wenn er eine Beerdigung sah. „Sind die Leute denn wahnsinnig, um einer Leiche willen solche Geschichten zu machen?“
Wenn er Veranstaltungen besuchte, stellte er emotionslos Überlegungen an: „Wie viel Zeit würde es benötigen, das Publikum zu vergasen? Wie viel Kleider, Goldzähne, Haare, Schuhe würden übrig bleiben?“ Was ihm geholfen hat, sich aus seiner erstarrten Gefühlswelt zu lösen, war die Begegnung mit Menschen, die ihn und seine Kunst förderten. „Meine Bilder haben mich gerettet.“
Geboren wurde Jehuda Bacon am 28. Juli 1929 in Witkowitz in Mährisch-Ostrau. Wären die Nazis nie an die Macht gekommen, wäre er dort mit seinen älteren Schwestern Hana und Rella weiterhin in behüteten Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater hatte eine kleine Lederwarenfabrik. Er vermittelte ihm die Liebe zur Musik.
Er weiß bis heute den Tag, der für seine Familie der Anfang vom Ende bedeutet. Sie wurde am 18. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Nur Rella war nicht dabei, sondern zu dieser Zeit bereits in Palästina. Zwar war die jüdische Bevölkerung in Mährisch-Ostrau schon Jahre vorher Repressalien ausgesetzt, doch jetzt war sie direkt der Todesmaschinerie der Nazis ausgeliefert.
Jehuda Bacon wurde in Theresienstadt von seinen Eltern getrennt und in einem Kinderheim untergebracht, erhielt illegal Unterricht, auch im Zeichnen, erlebte die Aufführung der Kinderoper „Brundibar“, neue Freundschaften und Abschiede. Die Angst vor dem jederzeit drohenden Abtransport war groß. Nach 15 Monaten traf es auch die Familie Bacon. Sie kam im Dezember 1943 nach Auschwitz-Birkenau – ins Vernichtungslager. Mutter und Schwester Hana wurden weiter ins KZ Stutthof deportiert. Beide überlebten den Holocaust nicht. Ebenso der Vater. Der Sohn wird den Abschied nie vergessen, den letzten Blick, die letzten Worte. In der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem hängt ein Bild von Jehuda Bacon. Es zeigt den Vater, wie er über einem Schornstein schwebt. Darunter hat er den Todeszeitpunkt geschrieben: „22h, 10. VII 44“.
Jehuda Bacon wurde in Auschwitz zur Nummer 168194 und ein „Pferd“: Er wurde mit anderen Jugendlichen vor einen Wagen gespannt und für Transportdienste durchs Lager geschickt. Sie mussten die Kleidungsstücke der Getöteten aus den Krematorien holen – manchmal auch deren Asche – und sie auf den vereisten Wegen streuen.
Am 18. Januar 1945 startete der erste „Todesmarsch“. Auch den zweiten überlebte er. Beinahe hätten die Nazis ihn jedoch getötet. Denn sie vergifteten die Lebensmittel im KZ Gunskirchen, bevor sie sich aus dem Staub machten. Jehuda Bacon erbeutete ein Stück Margarine. Ein Mitgefangener nahm es ihm wieder ab – und starb. Er weiß, dass er sein Überleben glücklichen Zufällen verdankt und sein Weiterleben der Begegnung mit „vielen wunderbaren Menschen“. Davon wird Jehuda Bacon berichten, so lange er lebt.
Buchtipp: 2009 überließ Jehuda Bacon der Stiftung Kunstsammlung der Diözese Würzburg über 4000 Werke. Einen sehr guten Einblick in Kunst und Leben bietet das opulent gestaltete Buch „Jehuda Bacon. Malerei und Grafik“, herausgegeben von Michael Koller und Jürgen Lenssen, dem (Kunstreferenten der Diözese. Der Band ist unter anderem im Würzburger Museum am Dom erhältlich (34,80 Euro).