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Schweinfurt: Das Schweinfurter Museum Georg Schäfer zeigt, wie radikal die Industrie unser Leben verändert hat

Schweinfurt

Das Schweinfurter Museum Georg Schäfer zeigt, wie radikal die Industrie unser Leben verändert hat

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    Die Fabrik als Kathedrale einer neuen Zeit: Kurator Ulrich Pohlmann vor Eduard Biermanns "Borsig's Maschinenbauanstalt zu Berlin" (1847).
    Die Fabrik als Kathedrale einer neuen Zeit: Kurator Ulrich Pohlmann vor Eduard Biermanns "Borsig's Maschinenbauanstalt zu Berlin" (1847). Foto: Anand Anders
    • Was ist das für eine Ausstellung? Unter dem Titel "Moderne Zeiten" zeigt das Schweinfurter Museum Georg Schäfer, wie Kunst und Fotografie mit dem Thema Industrie umgehen. Von den Anfängen vor 175 Jahren bis heute.
    • Was ist zu sehen? Über 100 Werke von 26 in- und ausländischen Leihgebern. Filmausschnitte, Gemälde, Zeichnungen und Fotografien von Adolph von Menzel, Max Liebermann, August Sander, Conrad Felixmüller, Otto Steinert, Bernd und Hilla Becher, Thomas Struth oder Andreas Gursky.
    • Was nimmt man mit? Die Ausstellung zeigt, wie sich der Blick auf Industrie und Arbeitswelt in 175 Jahren fundamental verändert hat: von Repräsentation und Verklärung hin zu Sozialer Frage und Ökologie.

    Es gab eine Zeit, da galten rauchende Schlote nicht als Umweltrisiko, sondern als Symbol für Aufbruch und Fortschritt. Das war zu Beginn der Industrialisierung, etwa als Carl Eduard Biermann 1847 "Borsig's Maschinenbauanstalt zu Berlin" malte. Das Gemälde ist sozusagen der Einstieg in die neue Ausstellung im Schweinfurter Museum Georg Schäfer: "Moderne Zeiten – Industrie im Blick von Malerei und Fotografie".

    In Zusammenarbeit mit dem Bucerius Kunst Form in Hamburg und dem Münchner Stadtmuseum zeigt das Haus bis 9. Oktober seine erste Ausstellung zur Industriegeschichte überhaupt. Das war, wenn man so will, überfällig: Schließlich verdankt sich das Museum der Sammlung eines Industriellen – Georg Schäfer eben. Außerdem werben seit 2006 Autobahnschilder mit dem Slogan "Industrie und Kunst" für Schweinfurt. Er habe das Thema schon lange aufgreifen wollen, sagt Museumsleiter Wolf Eiermann: "Das Schild war eine Mahnung für mich."

    Die Fabrik als Ort, der die Menschen nach Belieben verschlingt und wieder ausspuckt. Museumsleiter Wolf Eiermann (links) und Kurator Ulrich Pohlmann vor dem Bild "Arbeiterinnen" (1900) von Hans Baluschek.
    Die Fabrik als Ort, der die Menschen nach Belieben verschlingt und wieder ausspuckt. Museumsleiter Wolf Eiermann (links) und Kurator Ulrich Pohlmann vor dem Bild "Arbeiterinnen" (1900) von Hans Baluschek. Foto: Anand Anders

    "Das Thema Industrie wird in deutschen Kunstmuseen sträflich vernachlässigt", sagt Kurator Ulrich Pohlmann vom Münchner Stadtmuseum. Nun ist hier nichts weniger als ein bedeutendes Stück Zivilisationsgeschichte zu sehen, von den Anfängen bis in die Gegenwart. Industrie 1.0 bis 4.0: die radikale Veränderung der Welt und damit der Lebensumstände der Menschen in vier Stadien, von der ersten Nutzung der Dampfkraft über Elektrifizierung und Digitalisierung bis hin zum Aufkommen der Künstlichen Intelligenz.

    Von der Dampfmaschine zur Künstlichen Intelligenz

    175 Jahre Veränderung. Vom eingangs erwähnten Gemälde, in dem Carl Eduard Biermann Fabrikgebäude und Schlote wie Kathedralen und Obelisken inszeniert, bis hin etwa zu Jürgen Nefzers Fotoserie "Fluffy Clouds" (flaumige Wolken, 2005), die unter anderem die dampfenden Kühltürme des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) aus der Sicht eines Neubaugebiets zeigt.

    Oder die Arbeiten des Fotokünstlers Thomas Struth, die zwar die Geräte abbilden, mit denen Künstliche Intelligenz erforscht wird, etwa die Nachbildung eines menschlichen Kopfs (2013), nicht aber das Phänomen selbst, das – anders als bei einer Lokomotive oder einem Hochofen – nicht mehr darstellbar ist.

    Das Gelände einer Gasfabrik, inszeniert wie eine Opernkulisse: Ernest-Jean Delahayes "L'Usine à gaz de Courcelles" von 1884.
    Das Gelände einer Gasfabrik, inszeniert wie eine Opernkulisse: Ernest-Jean Delahayes "L'Usine à gaz de Courcelles" von 1884. Foto: Anand Anders

    Zwischen diesen Polen unendlich viele Stadien und Perspektivwechsel: Der Industriearbeiter ist anfangs nur Staffagefigur, wird dann als moderner Titan verklärt und schließlich doch noch zum Individuum, gezeichnet von den harten Bedingungen am Hochofen oder im Bergwerk.

    Die Fabrik entwickelt sich vom magischen Ort heroischer Schöpfung zum Molloch, der sich in die Landschaft frisst und Menschen nach Belieben verschlingt und wieder ausspuckt. Wenn dieser Molloch weiterzieht, hinterlässt er nichts als Verwüstung und Vergiftung.

    Adolph Menzels Gemälde "Eisenwalzwerk" war ein Skandal

    Die vermeintlich objektive Fotografie, erfunden 1839, übernimmt zunächst dokumentarische Aufgaben. Fabrikanten wie Friedrich Krupp lassen zu Dokumentations- und Repräsentationszwecken Arbeitsprozesse nachstellen, die Abgebildeten müssen wegen der langen Belichtungszeiten minutenlang stillhalten.

    Lewis W. Hine: "Power House Mechanic", um 1920/21.
    Lewis W. Hine: "Power House Mechanic", um 1920/21. Foto: Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie

    Die Maler wiederum müssen nicht mehr treulich abbilden, sondern können interpretieren, stilisieren, inszenieren. Es entsteht eine Wechselwirkung, in der sich die Gewichte immer wieder verschieben: Die Fotografie wird selbst zum künstlerischen Medium. Im Gegenzug versuchen Maler wie Adolph Menzel, sich dem Thema Industrie so authentisch wie möglich zu nähern.

    Menzel recherchiert lange, bevor er sein "Eisenwalzwerk" malt, das heute in der Berliner Nationalgalerie zu sehen ist. Das Gemälde sorgt für einen Skandal, als es vorgestellt wird: Noch 1875 gilt in der Kunstwelt die Industrie nicht als bildwürdiges Thema. In der Schweinfurter Ausstellung ist eine Vorarbeit Menzels zu sehen: "Selbstbildnis mit Arbeiter am Dampfhammer im Walzwerk".

    Die Ausstellung ist gleichermaßen chronologisch wie systematisch aufgebaut. Man kann diesen Fäden folgen, sich den Werken aber auch intuitiv nähern. Etwa der Gegenüberstellung von Lewis W. Hines berühmter Fotografie "Power House Mechanic" und dem Szenenbild aus Charlie Chaplins Film "Moderne Zeiten". Hier der muskulöse Held, gleichzeitig Beherrscher und Diener der Maschine, dort der Tollpatsch, der ins Räderwerk der Maschine gerät.

    Bernd und Hilla Becher: "Förderturm, Fosse Noeux no. 13", Frankreich, 1972.
    Bernd und Hilla Becher: "Förderturm, Fosse Noeux no. 13", Frankreich, 1972. Foto: Christian P. Schmieder, Bernd and Hilla Becher Archiv, Köln

    Man kann die Ruhe genießen, mit der Bernd und Hilla Becher in ihren bekannten Fotografien die Ästhetik von Industriebauwerken erkunden. Oder man kann schmunzeln über Robert Voits Bilder von als Bäumen oder Kakteen getarnten Mobilfunkmasten. Von der Fabrik, die stolz ihre rauchenden Schlote präsentiert zur Industrie, die nicht mehr als solche erkennbar sein will – radikaler kann ein Perspektivwechsel kaum sein.

    Museum Georg Schäfer Schweinfurt: "Moderne Zeiten – Industrie im Blick von Malerei und Fotografie". Bis 9. Oktober. Geöffnet: Di. 10-20 Uhr, Mi.-So. 10-17 Uhr. Im Foyer ist eine ergänzende Ausstellung mit Objekten zur Schweinfurter Industriegeschichte zu sehen, unter anderem eine Kugelschleifmaschine um 1890.

    Schweinfurter Industriegeschichte: Im Foyer ist eine Kugelschleifmaschine um 1890 zu sehen.
    Schweinfurter Industriegeschichte: Im Foyer ist eine Kugelschleifmaschine um 1890 zu sehen. Foto: Anand Anders
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