An einem Tag im Mai 1967 trat Jaqueline Kennedy aus der New Yorker Kunstgalerie Wildenstein auf die Madison Avenue. Die einstige Frau des US-Präsidenten John F. Kennedy engagierte sich für Kunst. Ohne Begleitung bewegte sie sich durch die Stadt, respektvoll hielten die Leute Abstand, viele lächelten sie an. Die 38-Jährige trug eine riesige Sonnenbrille, lächelte zurück und stieg in ihren Wagen, um zu ihrem nur wenige Minuten entfernten Apartment in der Fifth Avenue zu fahren. Nicht ahnend, dass jemand dort auf sie wartete. Ron Galella fotografierte Jaqueline Kennedy beim Aussteigen aus ihrer Limousine. „Keine Bodyguards, keine wartende Menschenmenge, nirgendwo ein Hindernis“, erzählte er später. Der erste Promi-Paparazzo hatte leichtes Spiel. „Life“, „Newsweek“ und andere Blätter kauften ihm die Bilder der Witwe im vierten Trauerjahr ab. Er hatte sie selbst entwickelt und in die Redaktionen getragen.
Der Sohn bitterarmer italienischer Einwanderer verwirklichte seine Idee vom amerikanischen Traum. Ron Galella, heute 81, war der Erste, der Promis dort ablichtete, wo sie auf keinen Fall abgelichtet werden wollten: im privaten Rahmen. Das neue Genre machte seinen Erfinder reich. Und mit ihm viele andere. Eine Riesenbranche verdankt dem Urvater des schnellen „Schusses“ ihr Einkommen. Kein Auftritt eines Politikers oder Filmstars, keine Gala oder Backstage-Party ohne Paparazzi. Ein Milliardengeschäft mit Schattenseiten – denken wir nur an den Unfalltod von Lady Diana, an dem mindestens ein Paparazzo beteiligt gewesen sein soll.
Im ehemaligen Postfuhramt in Berlin, der Galerie C/O, hängen Galellas Bilder in schlichten Wechselrahmen an den Wänden. Sie präsentieren den Stinkefinger zeigenden Mick Jagger, neben ihm seine damalige Lebensgefährtin Jerry Hall, die über die Geste ihres Mannes lacht. Sie zeigen Greta Garbo, die sich als ältere Dame zum Schutz gegen die Abgase des Verkehrs ein Taschentuch ins Gesicht presst. Oder Elizabeth Taylor auf dem Weg zu einem Empfang. Paul Newman, der sich im Marschschritt voranbewegt. Marlon Brando, vor dessen Faustschlägen Galella äußersten Respekt hatte – der wütende Schauspieler hatte ihm nach einer Verfolgungsjagd durch New Yorks Stadtteil Chinatown mit gezielten Haken einige Zähne ausgeschlagen. Seitdem traute sich der Fotograf nur noch im Football-Helm mit Kieferschutz in Brandos Nähe. Um seinem Lieblingsobjekt – Jackie Kennedy, später Onassis – nahezukommen, bandelte Galella auch schon mal mit ihrer Putzfrau an. Die Präsidentengattin entließ sie und schaffte es 1972 zur gerichtlichen Anordnung, wonach sich Paparazzo Galella ihr nur noch bis auf 25 Fuß Abstand nähern durfte.
Paparazzi werden gemeinhin als Plage empfunden. Ihre Bezeichnung stammt aus dem Film „La Dolce Vita“ von Federico Fellini, in dem ein aufdringlicher Fotograf den Nachnamen Paparazzo hat. Doch vor allem in den USA und England sind sie heimliche Helden, brüllen Promis schon mal an oder beschimpfen sie, um abzudrücken, wenn denen die Gesichter entgleisen. Tags darauf grinst das Publikum. Immer wieder kommt es zu Schlägereien und Übergriffen: US-Schauspieler zerschlagen den Lauernden gern die Kameras, Hugh Grant attackierte einen Londoner Fotografen mit einer Dose Bohnen, die gar nicht feenhafte Sängerin Björk von der Elfeninsel Island und der wenig adelige Welfenprinz Ernst August von Hannover gingen mehrfach tätlich gegen Paparazzi vor.
Ron Galella war zu seiner Zeit noch ein Gentleman. Er trat immer im Anzug mit Krawatte in Erscheinung, schlich nie aufs Grundstück eines Promis und bestieg keinen Hubschrauber, um von oben eine Hochzeit abzulichten. Er war hartnäckig, aber seriös. Er kam aus dem Hinterhalt, nutzte die Sekunden der Überraschung und hörte auf zu fotografieren, wenn seine „Opfer“ sich wehrten. Im Lauf der Jahre fingen immer mehr von ihnen an zu posieren. Dann drückte er weiter ab und bedankte sich artig. Ihm ging es um den einen Moment der Wahrhaftigkeit, in dem ein Gesicht authentisch ist.
C/O Berlin: „Ron Galella – Paparazzo Extraordinaire“, täglich 11-20 Uhr, bis 26. Februar, Internet: www.co-berlin.info