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Der Leberkäse-Fürst oder: Nebeneffekte großer Politik

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Der Leberkäse-Fürst oder: Nebeneffekte großer Politik

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    Standesbewusst: Porträt Carl Theodors von Anna Dorothea Therbusch aus dem Jahr 1763 – damals war er „nur“ Kurfürst von der Pfalz, ab 1777 auch von Bayern. Bekleidet ist er mit einem roten Samtmantel mit Hermelinbesatz.
    Standesbewusst: Porträt Carl Theodors von Anna Dorothea Therbusch aus dem Jahr 1763 – damals war er „nur“ Kurfürst von der Pfalz, ab 1777 auch von Bayern. Bekleidet ist er mit einem roten Samtmantel mit Hermelinbesatz. Foto: Fotos (2): rem, Jean christen, Carolin Breckle

    Als Carl Theodor, Kurfürst von der Pfalz und von Bayern und Herzog von Jülich-Berg, am 16. Februar 1799 in der Münchner Residenz im Alter von 74 Jahren seinen letzten Atemzug tat, soll nicht nur seine fast 50 Jahre jüngere Frau Maria Leopoldine von Österreich-Este einen Stoßseufzer gen Himmel geschickt haben. Durch ganz Bayern ging angeblich ein erleichtertes Aufatmen. Der Ungeliebte – so wurde der Regent aus dem Hause Wittelsbach genannt. Dabei hatte er die bei seinen bayerischen Untertanen beliebteste Gaumenfreude ins Land gebracht: den Leberkäse. Er gilt heute neben der Schweinshaxe als die bayerische Nationalspeise schlechthin, dabei hat er gar keine bayerischen Wurzeln. Der Leberkäse ist vielmehr ein echter Pfälzer – wie der Saumagen auch.

    Kein Denkmal erinnert in den bayerischen Biergärten an den ungeliebten Kurfürsten, dass er es war, der dem Leberkäse den Weg – von Mannheim aus – nach München bereitete. Vielmehr wurde Carl Theodor mehr oder weniger vergessen. Ein Schicksal, das er womöglich voraussah. Der Kurfürst wollte nie nach Bayern, nie nach München. Er wollte in Mannheim bleiben. Die erbpolitischen Vereinbarungen nötigten ihn jedoch zum Umzug in die Heimat seiner Urahnen.

    Auch die ebenfalls in Bayern argwöhnisch beäugten Preußen hatten durch ihre Einmischungen einen entscheidenden Anteil daran, dass der Pfälzer Bayern nicht los wurde, sondern von dort aus regieren musste. So gesehen sind auch sie beziehungsweise ihr König Friedrich II., der Alte Fritz, letztlich daran schuld, dass heute die fette, aber für viele Menschen unwiderstehlich duftende Fleischmasse zu Bayern gehört wie Dirndl, Oktoberfest, Löwe und die weiß-blaue Rauten.

    Will man wissen, wie es so weit kommen konnte, dass der Bayern liebstes Schmankerl ein Import vom Rhein ist, muss man weit zurückgehen in der Geschichte. Letztlich fing alles vor gut 800 Jahren an. Ludwig von Wittelsbach, „der Kelheimer“ genannt, hatte einen guten Riecher und wechselte politisch gesehen auf die richtige Seite: von den Welfen zu den Staufern. Damals stritten die großen Kontrahenten wieder einmal um die Krone. Friedrich II. konnte sich gegen den einzigen welfischen Kaiser in der Geschichte, Otto IV., durchsetzen. Ludwig wurde 1214 für sein loyales Verhalten reichlich belohnt und erhielt von dem Stauferkönig die Pfalzgrafschaft bei Rhein als Lehen. Fortan hatten die Wittelsbacher nicht nur in Bayern das Sagen.

    Bald gab es zwei Wittelsbacherlinien: die bayerische und die pfälzische. Durch Erbteilung entstanden an Rhein und Neckar nach und nach noch weitere Familienzweige. Wer mehr darüber wissen möchte: Im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum sowie im Schloss wird die Geschichte der pfälzischen Wittelsbacher ausführlich ausgebreitet (siehe Infokasten rechts).

    Für die Geschichte, wie der Leberkäse nach München kam, ist entscheidend, dass die bayerische Linie der Wittelsbacher Ende 1777 ausstarb. Kurfürst Maximilian III. Joseph hatte keine legitimen Nachkommen. Für seinen pfälzischen Verwandten Carl Theodor trat ein, was er sich nie erwünscht hatte. Er bekam Bayern und musste seine Residenz vom Rhein an die Isar verlegen. So war es bereits 1766 in der Erbverbrüderungserneuerung vereinbart worden, die Bayern und die Pfalz als unteilbaren Gesamtbesitz festlegte. Als Carl Theodor sein Erbe antreten musste, meldeten sich die Habsburger. Kaiser Joseph II. gefiel der ausgehandelte Deal zwischen den Wittelsbachern nicht, er beanspruchte Niederbayern und die Oberpfalz für sich. Carl Theodor wehrte sich nicht lange, sondern schlug dem Österreicher ein Tauschgeschäft vor. Wien sollte die beiden Landesteile erhalten, er dafür Vorderösterreich. Jetzt kamen die Preußen ins Spiel. Hohenzollerkönig Friedrich II. machte den Habsburgern und damit auch dem Wittelsbacher einen Strich durch die Rechnung.

    Im Bayerischen Erbfolgekrieg verlor Carl Theodor das Innviertel wieder, dafür wurde nun sein Erbe als rechtmäßig angesehen. Doch so schnell gab der Pfälzer nicht auf, er begann erneut mit dem Habsburgerkaiser zu verhandeln. Wien sollte Bayern erhalten, er dafür die österreichischen Niederlande. Dann hätte er in seinem Schloss in Mannheim bleiben und weiterhin die Sommermonate in Schwetzingen verbringen können. Außerdem lagen die Niederlande nah an seinem Herzogtum von Jülich-Berg mit dessen Hauptstadt Düsseldorf.

    Kein Wunder, dass sich Carl Theodor mit dieser Schacherei bei seinen neuen Untertanen keine Freunde machte und der Pfälzer in Bayern der Ungeliebte wurde. So deutlich hatte wohl noch kein Regent sein Missfallen ausgedrückt, unter dem weiß-blauen Himmel zu leben.

    Der Alte Fritz aus Preußen vereitelte erneut den Plan. Also ging auch dieses Tauschgeschäft für Carl Theodor schlecht aus, für die Freunde des Leberkäses dagegen gut – im Nachhinein betrachtet. Der Kurfürst blieb endgültig Herr über Pfalz-Baiern. Da er aber auf seine gewohnten kulinarischen Genüsse nicht auch noch verzichten wollte, holte Carl Theodor seinen Hofmetzger aus Mannheim in seine Residenz nach München. Dieser kreierte aus Schweine- und Rindfleisch den Leberkäse. Und so wundert es Besucher der aktuellen Mannheimer Ausstellung nicht, dass im Museumsshop „Kurpfälzer Lewwerkäs“ angeboten wird – es sei denn, sie reisen aus Bayern an.

    Die Pfalz und Bayern

    In Mannheim stehen bis zum 2. März 2014 „Die Wittelsbacher am Rhein. Die Kurpfalz und Europa“ im Mittelpunkt. Die Ausstellung in den Reiss-Engelhorn-Museen (Zeughaus) und im Barockschloss spannt den Bogen von der Verleihung der Pfalzgrafschaft bei Rhein 1214 an Herzog Ludwig I. von Wittelsbach bis zur offiziellen Auflösung der Kurpfalz 1803. Info im Internet: www.wittelsbacher2013.de

    Der Wittelsbacher Otto wurden 1180 von Kaiser Friedrich Barbarossa mit dem Herzogtum Bayern belehnt und zum Herzog erhoben. 1214 erhielt Familienmitglied Ludwig I. vom Staufer Friedrich II. die Pfalzgrafschaft bei Rhein. 1329 teilte sich die Familie in eine bayerische und in eine pfälzische Linie, die sich wiederum in insgesamt vier Linien verzweigte (Pfalz-Mosbach, Pfalz-Neumarkt, Pfalz-Zweibrücken und Heidelberg). Kurfürst Carl Theodor führte anno 1777 die Fürstentümer Bayern und Pfalz wieder zusammen. Unter seinem Nachfolger Maximilian IV. wurde Bayern Königreich. Die gegenwärtigen Wittelsbacher stammen von der Linie Pfalz-Zweibrücken ab. Im gewichtigen zweibändigen Katalog zur Ausstellung in Mannheim (Schnell & Steiner, 49,95 Euro) wird die Kulturgeschichte der Wittelsbacher am Rhein umfangreich behandelt – von 1214 bis zum Ende der Kurpfalz im Jahr 1803 und dem Beginn des Großherzogtums Baden.

    Kunstliebhaber waren sie, die Wittelsbacher, ebenso dem Theater und der Musik sehr zugetan. Zur Mannheimer Ausstellung ist bei CAB Records in Bamberg das „Wittelsbacher Musikhörbuch“ erschienen. Paul Maar, eigentlich bekannt für seine Kinderbuchgeschichten („Sams“, „Lippels Traum“), erzählt dieses Mal 22 Episoden über Musik und Geschichten an den Wittelsbacher Residenzen. Gesprochen werden sie vom Schauspieler und Moderator Gunter Schoß, teilweise auch von Paul Maar selbst. So erfahren die Hörer von dem in Schweinfurt geborenen Autor, warum Wien beinahe die Hauptstadt Bayerns geworden wäre oder was König Ludwig II. mit der Blue Jeans zu tun hat. Im zweiten Teil der Doppel-CD lässt die Capella Antiqua Bambergensis Musik aus der Zeit von 1214 bis 1803 lebendig werden. Die Stücke stammen von Hildegard von Bingen, Orlando di Lasso oder Ludwig van Beethoven. Internet: www.capella-antiqua.de

    Nicht nur der Leberkäse hat seinen Ursprung in der Pfalz, auch der Englische Garten in München. Nach Angaben von Alexander Schubert, wissenschaftlicher Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim und Projektleiter des Wittelsbacherjahres, ließ sich Kurfürst Carl Theodor dabei vom Schwetzinger Schlosspark inspirieren. Nicht nur das, „er holte extra den Landschaftsgärtner von Schwetzingen, Friedrich Ludwig von Sckell, nach München, um den ersten Volkspark Europas anzulegen“.

    Erster Pfälzer: Die Miniatur von 1772/73 zeigt Ludwig den Kelheimer und seine Familie. Vom Vater Otto erbte er Bayern, vom Staufer Friedrich II. bekam er die Pfalzgrafschaft bei Rhein. FOTO: Bayer. Nationalmuseum München

    Sogar das Oktoberfest könnte man laut Alexander Schubert mit einem Augenzwinkern als Import aus der Pfalz bezeichnen. Denn es sei Max IV. Joseph gewesen, der letzte Kurfürst aus der Pfalz (ab 1806 Max I., erster König des Königreichs Bayern), der das erste Oktoberfest 1810 anlässlich seines Sohnes Kronprinz Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen in München ausgerichtet hat.

    Die weiß-blauen Rauten sind, so Alexander Schubert, „ursprünglich das Zeichen der Wittelsbacher und nicht das Zeichen Bayerns, ebenso wie der Löwe, der später zum Pfälzer Löwen wurde“. Die Rauten, eigentlich Wecken, waren laut Schubert das Wappenzeichen der Grafen von Bogen und gingen 1204 über Ludmilla, Ehefrau Ludwigs des Kehlheimers, der Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern war, an die Wittelsbacher über. Die Rauten seien noch heute überall in der ehemaligen Kurpfalz zu sehen. „Und die verweisen eben nicht auf die bayerische Herrschaft, sondern auf die jahrhundertelange Geschichte der Wittelsbacher als Kurfürsten und Pfalzgrafen bei Rhein“, so Schubert. Text: cj, dpa

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