Lange Warteschlangen vor dem Pergamonmuseum in Berlin: Bis zu vier Stunden stehen die Menschen an, um noch einen Blick auf den weltberühmten Altar von Pergamon zu werfen. Vom 29. September an wird der mächtige Steinkoloss, eines der Hauptwerke der Antike, für mindestens fünf Jahre hinter einer „Einhausung“ verschwinden.
Grund ist die seit 2013 laufende Sanierung des Museums: Jetzt ist der Mitteltrakt dran, der den Altar beherbergt. Berlin verliert damit auf Jahre hinaus eine seiner wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Allein im vergangenen Jahr zählte das Pergamonmuseum auf der Museumsinsel fast 1,3 Millionen Besucher.
„Im Louvre, im Prado und in der Eremitage greifen sie sich an den Kopf“, kritisierte der Schriftsteller Gerhard Falkner („Pergamon Poems“) unlängst in einem Beitrag für den Berliner „Tagesspiegel“. „Die fünf Jahre sind länger, als eine aus dem Ruder gelaufene Menschheit brauchte, um den Ersten Weltkrieg abzuwickeln und das alte Europa zum Einsturz zu bringen.“ Doch die verantwortliche Stiftung Preußischer Kulturbesitz verteidigt das Langzeitprojekt. „Der Bau ist in einem so schlechten Zustand, die technische Ausrüstung so veraltet, dass die Sanierung dringend notwendig ist“, sagt Stiftungspräsident Hermann Parzinger.
Sein Haus habe schon vor einigen Jahren prüfen lassen, ob der Altarsaal während der Arbeiten offen gehalten werden könne, so der Bauherr. „Aber das ist aus konservatorischen Gründen und aus Sicherheitsgründen sowohl für die Besucher wie auch für die Kunst nicht zu verantworten.“ Und so müssen denn die Besucher auf das faszinierende Erlebnis verzichten, wie in einer Zeitreise in die untergegangene Metropole Pergamon zurückversetzt zu werden. In dem riesigen Saal ist die gesamte Westfront des über 35 mal 33 Meter großen Altars mit der mächtigen Freitreppe und dem umlaufenden Säulengang in voller Pracht nachgebaut. Die Seitenflügel schmückt das nach dem mythischen Stadtgründer Telephos benannte Original-Fries aus dem 2. Jahrhundert vor Christus. Und im gesamten Raum ist an den Wänden umlaufend das legendäre Hochrelief vom Kampf der Giganten zu sehen. Der deutsche Ingenieur Carl Humann hatte die Anlage auf dem Burgberg von Pergamon – heute das türkische Bergama – in den 1880er Jahren ausgegraben. Bei der in der Türkei später umstrittenen Teilung des Fundes wurden alle Fragmente der Altarfriese der deutschen Seite zugesprochen. Für die in mühseliger Puzzlearbeit restaurierten Steinbilder entstand zunächst ein kleines, bis 1930 dann das monumentale heutige Museum, das nun saniert werden muss.
Das Projekt läuft im Rahmen des Masterplans für die von der Unesco als Welterbe geschützte Berliner Museumsinsel. Von der Schließung betroffen sind zunächst der nördliche und mittlere Trakt des Pergamonmuseums. Der Südflügel mit weiteren Touristenattraktionen wie dem Markttor von Milet, der Mschatta-Fassade und dem Ischtar-Tor bleibt zunächst geöffnet. Der Südflügel soll in einem zweiten Bauabschnitt bis 2025/26 ebenfalls grundlegend saniert werden. Zudem ist nach dem Konzept des inzwischen gestorbenen Architekten Oswald Mathias Ungers der Neubau eines vierten Flügels geplant. „Wir nutzen das dann aber auch, um die Sammlungen umfassender und zeitgemäß zu präsentieren“, sagt Parzinger. „Wir bekommen einen Rundgang durch die Architekturgeschichte der Antike, der weltweit einmalig ist.“
Die Kosten trägt der Bund, zunächst sind 385 Millionen Euro veranschlagt. Hinzu kommen die Einnahmeausfälle durch ausbleibende Besucher. Und der Zeitplan mit der Wiedereröffnung des Pergamonaltars 2020 ist nicht in Stein gemeißelt. „Bei einer Sanierung im historischen Bestand ist man auch bei guter Planung vor Überraschungen nicht gefeit“, warnt Parzinger.
Der Deutsche Museumsbund, der sich sonst nicht zu Einzelfällen äußert, wirbt gleichwohl um Verständnis für das Mammutprojekt. „Wichtige Kunstschätze bedürfen einer besonderen Pflege, um sie auch für spätere Generationen zu erhalten“, sagt Präsident Eckart Köhne. „Bei der Restaurierung der Sixtinischen Kapelle waren die Fresken von Michelangelo auch zum großen Teil jahrelang nicht sichtbar.“
Wegen des Andrangs hat das Museum die Öffnungszeiten bis zum 28. September verlängert: Sonntag bis Mittwoch 10-18 Uhr, Donnerstag bis Samstag 10-20 Uhr. Kürzere Wartezeiten gibt es laut Museum durch Tickets im Online-Vorverkauf: www.smb.museum
Die Berliner Museumsinsel
Seit 1999 gehört die Berliner Museumsinsel als weltweit einzigartiges Kulturensemble zum Unesco-Weltkulturerbe. Die insgesamt fünf Museen ziehen Jahr für Jahr mehr als drei Millionen Besucher an.
Flaggschiff des Ensembles aus Museen ist das Pergamonmuseum mit dem weltberühmten Pergamonaltar. Das Neue Museum beherbergt die legendäre Büste der Nofretete. Daneben gibt es auf der Insel noch das Alte Museum, die Alte Nationalgalerie sowie das Bode-Museum.
Die historischen Gebäude waren im Krieg teilweise zerstört worden. Sie werden seit 1999 nach einem umfassenden Plan schrittweise saniert.
Die 2013 angelaufene Renovierung und Erweiterung des Pergamonmuseums ist das vierte und mit Abstand aufwendigste Projekt. Die Kosten sind auf 385 Millionen Euro veranschlagt.
Die Sanierung des 2009 wiedereröffneten Neuen Museums kostete 194 Millionen Euro – 40 Millionen weniger als gedacht. TExt: dpa