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WÜRZBURG: Die Angst der Kirche vor Fantasiewelten

WÜRZBURG

Die Angst der Kirche vor Fantasiewelten

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    Abflug – Eva Green als Hexenkönigin Serafina Pekkala (Szene aus dem Fantasy-Epos „Der Goldene Kompass“).
    Abflug – Eva Green als Hexenkönigin Serafina Pekkala (Szene aus dem Fantasy-Epos „Der Goldene Kompass“). Foto: FOTOs CINETEXT

    „Sie liegen ständig auf der Lauer und stürzen sich auf alles, was nicht in ihr Weltbild passt, was ihnen teuflisch und dämonisch erscheint“, sagt Pfarrer Alfred Singer. Der Leiter des Referats für Weltanschauungs-, Religions- und Sektenfragen in der Diözese Würzburg kann sich nur wundern ob der Proteste konservativer Kirchenkreise in den USA über den Kinofilm „Der Goldene Kompass“.

    Das bildgewaltige Fantasy-Spektakel erzählt von der mutigen wie rebellischen 12-jährigen Lyra, von der finster anmutenden Organisation Magisterium, die die Gesellschaft nach ihrem Willen formen und gewaltsam die Sünde ausmerzen möchte, von „Daemonen“, menschlichen Seelen in Tiergestalt, von Hexen, gepanzerten Eisbären, Parallelwelten und Staub, aus dem das Universum ist.

    Der englische Autor Philip Pullman hat das alles bereits vor zehn Jahren erdacht. Vor zwei Wochen startete in den deutschen Kinos die Verfilmung des ersten Teils seiner Fantasy-Trilogie mit dem englischen Übertitel „His Dark Materials“. Seitdem laufen fundamentalistische Katholiken sowie evangelikale Kreise in den USA Sturm. Sie rufen zum Boykott auf, warnen vor dem Kinobesuch, weil er Eltern dazu verleiten könnte, ihren Kindern die gesamte Trilogie in Buchform unter den Christbaum zu legen. Es sei schließlich das Werk eines bekennenden Atheisten, der darin das Christentum angreife. Auch wenn dies im Film stark abgeschwächt dargestellt würde, so die Catholic League, die Katholische Liga. Viel Aufregung über eine kaum bestehende Gefahr für das Seelenheil junger Menschen, meint dagegen Alfred Singer. Auch die US-amerikanische Bischofskonferenz sähe das so und habe die Verfilmung des Fantasy-Romans als unbedenklich und sogar spannend bezeichnet, sagt er.

    Hierzulande blieben Proteste aus. „Wir haben zwar fundamentalistische Gruppierungen, aber nicht diese extrem konservative Szene wie in den USA. Deshalb können wir – Gott sei Dank – gelassener sein.“ Pfarrer Singer weiß um die Probleme mit Fundamentalisten innerhalb der katholischen Kirche: „Gespräche gestalten sich als sehr schwierig. Das Weltbild ist sehr festgefügt. Und die Angst vor Veränderungen abgrundtief groß.“ Für Alfred Singer ist das in erster Linie ein psychologisches Problem. Fundamentalisten sind für ihn Menschen, die leicht zu verunsichern sind und deshalb so vehement reagieren. „Sie kommen mit unserer komplizierten und komplexen Welt nicht zurecht, suchen verzweifelt nach einfachen und vereinfachenden Antworten, um sich daran festhalten zu können.“ Wer da am selbst gezimmerten Gedankengebäude kratzt, wie es Autor Philip Pullman in seiner Trilogie an manchen Stellen tut, der bringt es nach Ansicht der Fundamentalisten sofort in Einsturzgefahr.

    Der Weltanschauungs-Fachmann sieht in Pullmans Trilogie einen atheistischen, humanistischen Gegenentwurf zu anderen, „deutlich christlich beeinflussten“ Fantasy-Werken wie Tolkiens „Der Herr der Ringe“ oder Lewis' „Die Chroniken von Narnia“ – aber keine antichristliche Ketzerei. Er vergleicht Pullmans Geschichte mit einem Märchen. Es kommt zwar das Magisterium vor, der Begriff erinnert an das katholische Lehramt. Die Geschichte ist für ihn jedoch reine Fantasie, der ewige Kampf zwischen Gut und Böse mit dem uralten und häufig verwendeten Typus des unschuldigen Erlöserkindes, das die ganze Welt retten kann.

    Wichtig ist für Pfarrer Singer, wie der Einzelne damit umgeht. Fantasygeschichten oder -filme können gute, spannende Unterhaltung sein. Und sie können das Bewusstsein für gewisse Tiefenschichten des menschlichen Lebens öffnen. „Wir leben heute in einer Welt, in der alles festgefügt und durchrationalisiert ist, in der sich viele Menschen eingezwängt fühlen wie in einem Schraubstock.“ Fantasiewelten böten die Möglichkeit, diesen Zwängen für eine gewisse Zeit zu entfliehen. Für Pfarrer Singer ist der Ausflug in fantastische Vorstellungen eine Möglichkeit, sich ein Stück Freiheit zu sichern. Dies habe Fantasy mit Religion gemeinsam: sich mit Vorstellungen und Fragen zu beschäftigen, die über die gegebene Wirklichkeit hinaus gehen.

    „Gefährlich können die Fluchten in Fantasiewelten nur werden, wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, zwischen ihnen und der Welt, in der wir leben, zu unterscheiden, wenn jemand den Bezug zu unserer Realität verliert.“

    Der Kinobesuch von „Der Goldene Kompass“ hat also den „Segen“ der katholischen Kirche. Wer genauer wissen möchte, was nach Vorstellung von Atheist Pullman die Hintergründe der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies sind, was die eigentliche Erbsünde ist, dem seien weniger die aufwändig produzierte Filmbilder als vielmehr die Bücherempfohlen.

    Philip Pullman: His Dark Materials, drei Bände: Der Goldene Kompass, Das Magische Messer, Das Bernstein-Teleskop, Carlsen, 19,95 Euro (Taschenbuch) und 68 Euro (Schmuckausgabe).

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