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Die Gartenlaube - Eine Zeitschrift für Gefühle

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Die Gartenlaube - Eine Zeitschrift für Gefühle

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    Idyllisch: das Titelbild der ersten Ausgabe der „Gartenlaube“.
    Idyllisch: das Titelbild der ersten Ausgabe der „Gartenlaube“. Foto: Fotos: Wikipedia

    Es geschah in diesen Tagen im brandenburgischen Wriezen. Der Bekannte eines Gartenpächters rief bei ihm an und sagte, er habe gesehen, wie ein Mann dessen Gartenlaube zerlege. Das hielt der Pächter, so im Polizeibericht, für „unwahrscheinlich“. Als er tags darauf zu seiner Scholle kam, gab es darauf kein Häuschen mehr. Der Dieb hatte es komplett abgebaut und abtransportiert, der Schaden beläuft sich auf 10 000 Euro. Wer klaut eine Gartenlaube?

    Dem Leipziger Verleger Ernst Keil (1816-1878) hätte die Geschichte gefallen. Auf jeden Fall hätte sie zu seiner seit 1835 herausgegebenen Zeitschrift „Die Gartenlaube“ gepasst. Zwar handelte das Blatt nur peripher vom Garten, vielmehr wurden medizinische, naturwissenschaftliche, geografische, völkerkundliche und technische Angelegenheiten beleuchtet. Aber die „Gartenlaube“ war auch eine sentimentale Zeitschrift, die Gefühle thematisierte. Gartenlaube hieß Glück im Winkel, die Familie ist im kleinen Haus zusammen, bodenständig, eigenes Gemüse anpflanzend, Blumen – und in der Laube und davor wurden kleine Feste gefeiert. Das, was Menschen dabei erlebten, was sie besprachen, was sie umtrieb, von familiären und gesellschaftlichen Angelegenheiten bis zu Liebesglück und Liebesleid – das war es, was in der „Gartenlaube“ verhandelt wurde. Volksbildung sollte das sein, aber auch Unterhaltung. Ernst Keil wusste, was die Leute lesen wollten. Medienexperten glauben, dass mit ihm die Entwicklung der Boulevardmagazine begann, die heute im Hochglanzstil und mit viel Promi-Tratsch in den Kiosken ausliegen.

    Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum ist Teil der Deutschen Nationalbibliothek, die in Leipzig und Frankfurt am Main residiert. Es besitzt einen immensen Fundus an Gedrucktem, nahezu alles, was in deutschen Landen je veröffentlicht wurde. Die Entdeckung von Ernst Keils „neuem Blättchen . . . für’s Haus und für die Familie, für Groß und Klein, für Jeden . . .“ spiegelt die Stimmung im biedermeierlichen Deutschland wider. Es war die Zeit, als Menschen nicht mehr Kriege und Unruhe, sondern Frieden und Ruhe haben wollten.

    Keil erfand für die bürgerliche Klientel im städtischen Raum, die sich gern einen Schrebergarten zulegte, das richtige Lesefutter. Nach getaner Kartoffel-, Möhren- und Tomatenernte trank man Kaffee und ließ es sich gut gehen mit den Berichten im „Pfennig-Magazin“ oder der „Ilustrirten Zeitung“. Am meisten Zuspruch fand „Die Gartenlaube“ mit ihren schwarz-weißen Holzstich-Bildern und der bunten Mischung aus Weltwunder- und Technikneuigkeiten, Nachrichten aus Wissenschaften und gedämpftem Klatsch. Die Religion blieb außen vor, sie passte nicht ins Konzept. Die Zeitschriften für Familien verkörperten einen neuen Medientyp, vom Kind bis zur Greisin war für alle etwas dabei. Ernst Keil erreichte mit der „Gartenlaube“ nicht nur hohe Auflagen, sondern war auch wirkmächtig als Zeitgeist-Postillion. Berichte aus aller Welt über „haarsträubende Grausamkeiten“ wie „Die Folter in amerikanischen Staatsgefängnissen“, über das Leben von Japanern und Chinesen, fremde Sitten und Gebräuche nahm der Eierschecke mampfende Leser mit einer Mischung aus Erschrecken und Genugtuung, in einem besseren Land zu leben, hin.

    Der Inhalt der Zeitschrift und ihre Ästhetik zielten genau auf Zeitgeist und Geschmack der ehrbaren Bürger, die sich ein bisschen gruseln wollten, um sich danach in eine rührselige Bilder- und Romanwelt zu versenken. Wer die dicht beschriebenen, aber schon mit vielen Bildern aufgelockerten Blätter in den Vitrinen sieht, kann nachempfinden, wie Deutsche damals ihre Blicke auf die Welt warfen. Erst 1944 wurde das Journal „Die Gartenlaube“ eingestellt.

    Deutsches Buch- und Schriftmuseum Leipzig: Illustrierte Idylle? Die Gartenlaube: Gesichter eines Massenblattes. Deutscher Platz 1, Tel. 03 41/227 13 24, Di-So 10-18, Do bis 20 Uhr, www.dnb.de, bis 12. Oktober

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