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Die Glasharmonika: Überirdische Klänge

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Die Glasharmonika: Überirdische Klänge

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    „Herzblut der Welt“: Oben eine Glasharmonika von 1830 im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig, oben links Benjamin Franklin beim Spielen.
    „Herzblut der Welt“: Oben eine Glasharmonika von 1830 im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig, oben links Benjamin Franklin beim Spielen. Foto: Fotos: dpa/MP-Archiv

    In der Oper entfaltet sie ihr größtes dramatisches Potenzial: Die Glasharmonika bezaubert durch einen fast unwirklichen Sphärenklang. So überirdisch klingt sie, dass sie zeitweise als gesundheitsschädlich verschrien war. Vor 250 Jahren erfand der US-amerikanische Wissenschaftler und Staatsmann Benjamin Franklin seine „Armonica“. Heute ist das Instrument aus Kristallschalen, das für lange Zeit völlig in Vergessenheit geraten war, wieder häufiger auf Konzertbühnen zu entdecken. Soeben etwa bei den Salzburger Festspielen. Christa Schönfeldinger, eine der weltweit gut zehn Glasharmonika-Virtuosen, spielte sie in Richard Strauss' Oper „Frau ohne Schatten“. Die Musikerin und ihr Mann entdeckten das Instrument vor Jahren als Geigenstudenten in Wien. „Wir waren fasziniert“, sagt sie. „Der Ton hat uns derart elektrisiert, dass wir wussten, das wollen wir machen.“ Heute zählt das Wiener Glasharmonika-Duo zur Weltspitze.

    Dass Gläser melodisch zum Klingen zu bringen sind, war früh bekannt. In einem „Musicalischen Lexikon“ von 1732 wird erstmals ein „Verrillon“ (von französisch „verre“, Glas) aus Schlesien erwähnt, das durch Anschlagen funktionierte. Benjamin Franklin lernte bei einem Konzert in London ein ähnliches Instrument kennen, die Musical Glasses des Iren Richard Pockrich. Dessen „Angelick Organ“ wurde bereits durch Anschlagen und Reiben bespielt, was die Klangpalette vergrößerte.

    Das Instrument kostet 50 000 Euro

    Dabei erlag Franklin der Faszination des Glasspiels. Er tüftelte 1761 ein neues Instrument aus, das in der Musikgeschichte eine hervorragende Stellung einnehmen sollte: Zur Erzeugung der Töne dienten verschieden große, auf einer Achse ineinandergeschobene Glasschalen, die – das war neu – durch ein Pedal in Rotation versetzt werden. Franklins „Armonica“ hatte einen Tonumfang von zwei Oktaven. Schönfeldingers Instrument umfasst zweieinhalb. Gebaut hat es der derzeit einzige Glasharmonikabauer, Sascha Reckert (München): Für die „Armonica“ braucht es mundgeblasene Schalen, die klanglich abgestimmt werden. Zwischen 30 und 100 solcher Schalen müssen geblasen werden, bis eine auf den Ton passende gefunden ist. Rund 50 000 Euro kostet das Instrument.

    Die große Zeit der Glasharmonika war das späte 18. Jahrhundert, die Zeit der Empfindsamkeit: Komponisten wie Poeten begeisterten sich für ihren berührenden Klang. Goethe sprach vom „Herzblut der Welt“. Der Komponist Christoph Willibald Gluck hatte 1746 in London noch ein Werk für Kammerorchester mit 26 wasserabgestimmten Gläsern aufführen lassen. Mozart komponierte fast 50 Jahre später dann für die neue Glasharmonika. Er hatte das Instrument bereits als Kind im Hause des Arztes und Hypnose-Pioniers Franz Anton Mesmer in Wien kennengelernt. „Ach wenn wir nur so eine Glasharmonika hätten . . .“, schrieb sein Vater Leopold an seine Frau. Im Mai 1791, ein halbes Jahr vor seinem Tod, schrieb Wolfgang Amadeus sein letztes Kammermusikstück: ein Rondo für Glasharmonika, Flöte, Oboe, Viola und Cello und das Adagio für Solo-Glasharmonika.

    Das Interesse verschwand

    Anlass war das Konzert von Marianne Kirchgeßner in Wien. Kirchgeßner, im Alter von vier Jahren erblindet, war mit ihrem ausdrucksstarken Spiel ein Star geworden. Sie tourte zehn Jahre lang durch halb Europa und zog die Zuhörer in den Bann – bis sie sich 1808 nach einer Kutschfahrt erkältete und starb.

    Mit der Entwicklung immer größerer Orchester verschwand zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Interesse am zarten Klang der Glasharmonika. Zudem war sie in Verruf geraten: Gegner Mesmers und seiner unkonventionellen Heilmethoden warnten vor ihren angeblich nervenschädigenden Schwingungen. Heute knüpfen einige wieder an Mesmer an und nutzen die Wirkung des Instruments zu therapeutischen Zwecken. „Die Glasharmonika hört man mit dem ganzen Körper,“ sagt Christa Schönfeldinger. Sie ist überzeugt, das der Klang psychische Blockaden löst und Selbstheilungskräfte anregt.

    Kammermusik ist die Welt der Glasharmonika. Doch hat eine Oper ihr letztlich zur Berühmtheit verholfen: Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“. Wenn Lucia ihre Wahnsinns-Arie singt und dann stirbt, begleitet allein der gläserne, unwirkliche Ton der „Armonica“ den dramatischen Sopran. Die Glasharmonika scheint wie geschaffen als Symbol für das Transzendente. Kostproben gibt es im Dezember auf der Weihnachtstournee des Wiener Duos Schönfeldinger in Deutschland.

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