Finis. Ende. Aus und vorbei. Weltuntergang. Und zwar in absehbarer Zeit. Nein, es geht nicht um den Maya-Kalender. Dass der das Ende der Welt ebenso wenig voraussagt wie unser aktueller Kalender, dass aus Maya-Sicht nach dem 21. Dezember 2012 nur ein neuer Zyklus beginnt – ähnlich wie am 1. Januar nach unserem Kalender ein neues Jahr –, das weiß inzwischen jeder.
Es geht um die sogenannte Prophezeiung des Malachias. Der Ire – Erzbischof, Benediktinermönch, anerkannter Heiliger – lebte von 1094/95 bis 1148. Er erstellte eine Päpste-Liste, begann mit Coelestin II. (1143/44) und führte sie fort bis zum Ende der Welt. Zu jedem Papst verfasste er eine Kurz-Charakteristik in lateinischer Sprache. Die letzten Sätze lauten übersetzt: „Während der letzten Verfolgung der heiligen Kirche wird Petrus, ein Römer, regieren. Er wird die Schafe unter vielen Bedrängnissen weiden. Dann wird die Siebenhügelstadt zerstört werden, und der furchtbare Richter wird sein Volk richten. Finis.“ Vor Petrus nennt Malachias 111 Päpste. Benedikt XVI. ist Nummer 111. Er wäre demnach der letzte normale Papst. Sein Nachfolger verwaltet dann den Weltuntergang. Angeblich.
Namentlich wird Benedikt nicht genannt. Wie andere Päpste auf der Liste, wird auch er nur mit einem kurzen Spruch charakterisiert. Die im Fachjargon „Devisen“ genannten Sprüche wirken teils erstaunlich zutreffend: Beispielsweise wird Paul VI. (Papst von 1963 bis 1978) mit „Flos Florum“ (Blume der Blumen) beschrieben. Tatsächlich führte Paul VI. drei Lilien im Wappen. Die Lilie wird als „Blume der Blumen“ bezeichnet. Johannes Paul II. (1978 bis 2005) heißt bei Malachias „De labore solis“. Das kann man mit „von der Sonnenfinsternis“ übersetzen: An Karol Woitylas Geburtstag, dem 18. Mai 1920, ereignete sich eine Sonnenfinsternis (über Australien), ebenso am Tage seines Begräbnisses, am 8. April 2005 (über Amerika). Auch bei anderen Päpsten, die aus der Sicht des Malachias in der Zukunft regierten, lassen sich verblüffende Übereinstimmungen finden.
Konnte der mittelalterliche Heilige in die Zukunft blicken? Sein Freund und Biograf Bernhard von Clairvaux (1090 bis 1153) jedenfalls erzählt von der – immerhin bemerkenswerten – Päpste-Liste nichts. Konnte er auch nicht. Weil die im Original „Prophetia S. Malachiae archiepiscopi de summis pontificibus“ betitelte Prophetie erst im späten 16. Jahrhundert entstand. Verfasser sei mutmaßlich ein italienischer Theologe gewesen, erklärt Ferdinand Rauch, Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter der Diözese Fulda.
Im Ablauf der 111 „Devisen“ sei „ein deutlicher Bruch“ sichtbar, erläutert Rauch: Die ersten 71 Päpste – von Coelestin II. bis Pius V. also zwischen 1143 und 1572 – werden sehr exakt kommentiert, es gibt eindeutige Anspielungen auf ihr Leben. Die letzten 40 Texte seien dagegen „eher vage“, so der Fuldaer Theologe. Die Forschung folgert daraus, dass der Autor der Papst-Liste zu der Zeit gelebt hat, in der der Bruch klafft: Über die ersten 71 Päpste konnte er schon bestehendes historisches Wissen nutzen, um den Blick in die Zukunft glaubhafter zu machen, kommentiert Rauch. Dass der Schreiber im 16. Jahrhundert die Liste einem Autor zuordnete, der vor Jahrhunderten gelebt hatte und sogar ein Heiliger war, sollte sie noch plausibler machen: „Jeder konnte sehen, dass die Weissagung sich schon zum Teil erfüllt hatte. Warum sollte der Blick in die kommenden Jahrhunderte dann nicht auch stimmen?“, beschreibt Rauch die Sichtweise des 16. Jahrhunderts. Tatsächlich erfreute sich die „Prophezeiung“ nach ihrem Erscheinen im Jahr 1595 lange großer Beliebtheit – und wurde ernst genommen.
Die Zurückdatierung von Texten ist ein gerne genutzter Kniff bei prophetischen Texten. Der Autor der Apokalypse, des letzten Buchs des Neuen Testaments, arbeitete ähnlich: Er schrieb um 95 nach Christus aus der Perspektive des Jahres 65 – und konnte so mit Historischem seinen Text glaubhaft aufpeppen. Doch auch vor diesem Hintergrund wirkt die „Malachias-Liste“ mysteriös: Wie konnte ein frühbarocker Autor einen Papst des 20. Jahrhunderts – siehe Paul VI. – so trefflich beschreiben? Ist doch Magie im Spiel? Der Weltanschauungsbeauftragte aus Fulda verneint das. Die letzten 40 Devisen seien derart allgemein gehalten, dass man im langen Leben eines Papstes immer irgendeine Übereinstimmung finden könne.
Was nicht passt, wird passend gemacht, und auch schwammige Übersetzungen aus dem Lateinischen helfen, die Sprüche zurechtzubiegen: Papst Nummer 111 wird von „Malachias“ mit „Gloria olivae“ (Ruhm des Olivenbaums) beschrieben. Den „Spiegel“ ließ das im April 2005 vor der Wahl ironisch spekulieren, der neue Papst werde Italiener sein. Es wurde ein Deutscher. Malachias-Jünger ficht das nicht an. Sie errichten ein waghalsiges Konstrukt, um Oliven mit dem Oberbayern Joseph Ratzinger zu verknüpfen: Es handle sich um einen Hinweis auf die Olivetaner. Deren Symbol ist eine Olive. Die Olivetaner sind eine Kongregation des Benediktinerordens. Der wurde von Benedikt von Nursia gegründet. Und der trägt – bingo! – denselben Namen wie der derzeitige Papst. Wer's unbeding glauben will, glaubt's . . .
Ferdinand Rauch hat auch eine Erklärung dafür, dass die Liste ausgerechnet 111 Päpste nennt. Da sei Zahlensymbolik im Spiel. 71 sei laut Altem Testament die Zahl aller Völker auf Erden. Die Zahl 40 taucht zum Beispiel auf in den 40 Jahren, die das Volk Israel über den Sinai irrte, oder in den 40 Tagen und Nächten, die Jesus in der Wüste fastete. Nach offizieller Zählung ist Benedikt der 265. Papst.