Es ist das jüngste Beispiel und dazu erneut ein sehr prominentes. Und es zeigt wieder einmal, wie verschlungen die Wege von Kunstwerken sein können und wie wenig sich Personen, durch deren Hände sie einst gingen, um die Besitzverhältnisse kümmerten. Es geht um das Gemälde „Das bunte Leben“ von Wassily Kandinsky.
Es gehört der staatlichen Bayerischen Landesbank und seit 1972 zur Sammlung des Lenbachhauses in München. Für die Nazis war das Werk Kandinskys „entartete“ Kunst. Der ursprüngliche Besitzer hieß Emanuel Lewenstein, ein jüdischer Kunstsammler aus Amsterdam. Seine Kinder erbten das Bild, das 1938 dem Stedelijk Museum zur Aufbewahrung übergeben wurde. Als die Familienmitglieder vor den Nationalsozialisten ins Ausland flüchteten, mussten sie das Werk in den Niederlanden zurücklassen. Es wurde ohne ihr Wissen 1940 verkauft, verschwand aus dem Blickfeld und gelangte über 30 Jahre später schließlich nach Bayern.
Nachfahren melden sich vor zwei Jahren
Vor zwei Jahren meldeten sich die Nachfahren erstmals in München. Anfang März 2017 haben sie nun Klage bei einem New Yorker Gericht eingereicht. Sie fordern die Herausgabe oder 80 Millionen Dollar. Unter anderen die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete darüber auf mehreren Seiten. Und am heutigen Dienstag will der Würzburger SPD-Kulturpolitiker Georg Rosenthal im Landtag mit einer Anfrage klären, warum das Finanzministerium nicht früher gehandelt und die Herkunft des ausgestellten Bildes geklärt hat.
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Mit weit weniger berühmten Kunstwerken und Künstlern beschäftigt sich Beatrix Piezonka. Seit November 2014 nimmt sie als Provenienzforscherin den Bestand der Städtischen Sammlung im Museum im Kulturspeicher Würzburg unter die Lupe. Ihre Suche nach der Herkunft der Bilder und Skulpturen ist nicht minder spannend und meist ebenso aufwendig und zeitraubend wie bei den spektakulären Kunstwerken, deren Schicksale für Schlagzeilen in den Medien sorgen.
Die Städtische Sammlung wurde ab 1941 im Auftrag der NS-Stadtregierung aufgebaut. Allein deshalb liegt die Vermutung nahe, dass sich darin auch Werke befinden, die eine belastete Herkunft haben könnten. Bis 1945 hat Gründungsdirektor Heiner Dikreiter über 5000 Kunstwerke erworben. Unter Generalverdacht stehen diejenigen Objekte, die über den Kunsthandel in die Sammlung kamen. Bei ihnen könnte es sich um NS-Raubkunst handeln, also um Kunst, die verfolgungsbedingt ihren einstigen Besitzern entzogen wurde oder die unter Zwang und weit unter Wert verkauft werden musste.
Lückenloser Steckbrief
1633 Werke haben eine lückenhafte Provenienz, im Fokus stehen 869 Werke und Arbeiten auf Papier, die aus dem Kunsthandel stammen. Bislang geklärt ist der lückenlose Steckbrief 138 von Gemälden und Grafiken. Bei ihnen ist die Herkunft unbedenklich.
Etwa alle sechs Monate gibt Beatrix Piezonka öffentlich Einblicke in ihre Recherchen. Zuletzt stellte sie beim „Kunstaperitif“ Hugo von Habermanns „Bildnis einer Dame mit dem roten Haar“ vor. Fünf Gemälde des Künstlers, der von 1849 bis 1929 lebte, wurden über den Kunsthandel erworben. Nur bei einem sei bislang die Herkunft geklärt, hat Beatrix Piezonka festgestellt, das heißt, sie kann lückenlos nachvollzogen werden. Ihre Spurensuche beginnt mit den hauseigenen Inventarbüchern, die allerdings erst in der Nachkriegszeit erstellt wurden.

Aufschlüsse über die Herkunft eines Werkes können auch die Künstlerakten geben. Ebenso der Nachlass des ersten Direktors, der ebenfalls im Archiv des Kulturspeichers aufbewahrt wird. Er enthält seine Briefe und Tagebücher. Ein Nachteil sei, so Piezonka, dass es keine Originalkorrespondenz sowie keine Rechnung aus der Zeit von 1941 bis 1945 mehr gibt.
Objektautopsie – Recherche am Werk
Wichtig ist zudem die Objektautopsie, die Recherche am Werk selbst. Die Historikerin schaut, ob es Hinweise auf dem Rahmen oder der Rückseite gibt, etwa Aufkleber von Kunsthandlungen und Auktionshäusern oder Einlieferungsnummern. Da Auktionskataloge mittlerweile größtenteils digitalisiert sind, verbringt Beatrix Piezonka viele Stunden am Computer. Ein wichtiges Hilfsmittel sind auch Internet-Datenbanken wie „Lost art“ des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg.
Bekannt über Hugo von Habermanns „Dame mit rotem Haar“ ist, dass das Bild laut Inventarverzeichnis am 16. Dezember 1941 von Baurat Steyrer aus Bad Sachsa „an uns“, also an die Städtische Sammlung verkauft wurde. Der Preis ist nicht überliefert. Diese Spur führte jedoch zunächst ins Leere. Beatrix Piezonka suchte daraufhin systematisch in Auktionskatalogen und landete einen „Zufallsfund“ – das Los 68 der Galerie Hugo Helbing in München samt Einlieferernummer und Datum.
Das am 27. bis 29. Mai 1935 zur Versteigerung angebotene Werk hat die Beschreibung „mit roten Blumen geschmückten Haar“. Das Problem dabei ist laut Piezonka: „Hugo von Habermann hat unzählige Damenporträts gemalt“, aber die Angaben passten sehr zur „Dame mit rotem Haar“. Die Einlieferungsnummer im Katalog (113485/806) findet sich auch auf der Rückseite des Bildes – mit Abweichungen. Im Katalog stehen neben der Nummer der Buchstabe „S“. Bezieht sich das auf Baurat Steyrer? War er der Käufer? Auf der Rückseite des Bildes steht dagegen der Buchstabe: „D“. Bezieht sich das auf eine andere Person, eine andere Auktion? Die Suche geht also weiter für Beatrix Piezonka.

Die Provenienzforscherin muss bei ihren Recherchen natürlich auch die Zeitgeschichte berücksichtigen. „Erst nach dem Novemberpogrom von 1938 wurden Kunstverkäufe als Zwangsverkäufe gewertet.“ Und sie muss sich die Geschichte der Kunsthandlungen während der Zeit des Nationalsozialismus näher anschauen. Etwa die von Hugo Helbing.
Berühmter jüdischer Kunsthändler Helbing
Er war ein berühmter jüdischer Kunsthändler. Er arbeitete unter anderen mit Alfred Flechtheim und den Cassirers in Berlin zusammen. Seine Galerie in München wurde ab 1935 „arisiert“. In der Nacht des 9. November 1938 wurde der 75 Jahre alte Helbing in seiner Wohnung verhaftet und derart misshandelt, dass er drei Wochen später an den Verletzungen starb. Nach seinem Tod wurde ein Treuhänder eingesetzt und die Kunsthandlung an Jakob Scheidwimmer verkauft.
Es gibt neben frustrierenden Recherche- ergebnissen auch immer wieder kleine Aufheiterungen. So fand Beatrix Piezonka im Archiv einen Brief an von Habermann, der sich auf eine Aktdarstellung bezieht. Die Briefeschreiberin bat den Künstler, den Akt gegen ein anderes Werk auszutauschen. „Darf ich bitten, mir dasselbe in einer für Backfischle weniger anstossenden Art umzutauschen?“
Neues Projekt im Speicher Aktuell bereitet sich die Würzburger Provenienzforscherin Beatrix Piezonka neben ihrer aktuellen Spurensuche im Würzburger Kulturspeicher zusätzlich auf ein neues Projekt vor. Es bezieht sich auf die Erwerbungen für die Städtische Galerie nach 1945. Die Werke sind jedoch vor 1945 entstanden, deshalb überschneidet es sich mit der Erforschung der NS-Raubkunst, so Piezonka. In diesem Zusammenhang taucht der Name des Berliner Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt auf, ein Cousin von Hildebrand Gurlitt („Schwabinger Kunstfund“). Er lebte zeitweise in Würzburg, war mit Museumsdirektor Heiner Dikreiter befreundet und hat ihm auch nach 1945 Kunst verkauft. CJ
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