„Was passiert da, und was wird das für uns bedeuten?“ Diese Frage versucht Gerd Ruge in seinen Auslandsreportagen zu beantworten. Er war ARD-Korrespondent in Moskau und Washington, außerdem berichtete er aus Jugoslawien, Korea, China, Afghanistan, Afrika. Am Samstag, 9. August, wird Ruge 80 Jahre alt. Ein Gespräch über die Höhepunkte seiner zahllosen Erlebnisse und wie er Politik menschlich macht.
FRage: Welches ist Ihr Lieblings-Ausland?
Gerd Ruge: Das ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich wäre es Russland. Amerika ist ein bisschen länger her, obwohl ich Amerika besonders in den 60er Jahren, die Kulturrevolution, mit den Hippies und den Folksängern, sehr geliebt habe. Das waren mit die schönsten Zeiten, die ich miterlebt habe. Mit Joan Baez und Bob Dylan und all den Leuten, die man da getroffen hat in Kalifornien. Aber interessant war doch immer wieder Russland, weil ich in sehr wichtigen Momenten da war.
Sie haben über viele wichtige Ereignisse berichtet – was hat Sie am meisten gepackt?
Ruge: Das waren sehr unterschiedliche Ereignisse. Die Ermordung von Robert Kennedy und Martin Luther King hat mich damals sehr erschüttert und enttäuscht. Die Hoffnung auf Veränderung – das merkte man in dem Augenblick – würde sich so nicht erfüllen. In Russland war es das Ende der Sowjetunion, die Begeisterung der Leute, die auf die Straße gingen und dachten: Ich fange jetzt etwas ganz Neues an. Ich habe damals geahnt, dass es nicht etwas ganz Neues werden würde und auch nicht ganz so einfach. Aber es ist doch immer ein schöner Moment, wenn man in so eine Stimmung hineinkommt. Besonders wichtig war mir nicht ein historisches Ereignis, sondern dass ich ganz früh in Moskau, nämlich 1956, die Chance hatte, den Schriftsteller Boris Pasternak kennezulernen und durch ihn an ein Russland heranzukommen, das völlig anders war als das der Zeitungen und der Hochglanzbroschüren. Das war in Russland der Höhepunkt meiner Erlebnisse.
Sie haben 1963 in der ARD den „Weltspiegel“ mit aus der Taufe gehoben, der es heute nicht mehr ganz leicht hat. Nimmt das Interesse am Ausland ab?
Ruge: Ich glaube, der „Weltspiegel“ wird immer überleben. Es kommt darauf an, wie er gemacht wird. Das muss sich den Erwartungen der Zuschauer bis zu einem gewissen Grade anpassen. Nicht dadurch, dass man mehr menschelt oder nur noch bunte Storys macht, sondern es muss erkennbar sein: Sie kriegen das Stück Welt, das sie auch angeht. Wenn das mit guten Filmen gelingt, dann wird der „Weltspiegel“ sich immer halten.
Wir Deutschen waren 1989 nach demFall der Mauer sehr auf uns selbst konzentriert – haben wir unser Interesse an der Welt jemals im alten Maß wiedergefunden?
Ruge: Das Interesse der Deutschen an dem, was im Ausland passiert, ist sehr viel geringer geworden. Der Blick auf das, was sich im eigenen Land vollzieht, an Gutem und an Schlechtem, ist sehr viel intensiver und hat das Interesse an der Weltpolitik und der Außenpolitik stark verdrängt. Daher kommt ja auch die Entwicklung, dass eine Sendung wie der „Weltspiegel“ nicht mehr Außenpolitik, sondern Auslandsberichterstattung in den Mittelpunkt stellt. Irgendwann müsste es gelingen, das Stichwort Außenpolitik wieder stärker reinzubringen. Denn das ist ja auch ein Sinn der Korrespondentenarbeit nicht nur im Fernsehen, dass man zeigt: Was passiert da, was machen die, und was wird das für uns bedeuten?
Sie sind bekannt dafür, dass Sie Filme nahe an den Menschen machen, zugleich fordern Sie politische Analyse – wie geht das zusammen?
Ruge: Ich habe immer versucht, die politischen Entwicklungen an Menschen festzumachen, an ihren Schicksalen, daran, wie die Politik ihr Leben verändert. Also Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, aber die große Politik nicht zu vergessen. Das ist auch die große Chance, die Fernsehberichterstattung haben kann, diese Kombination, zu zeigen, wie sich Politik spiegelt im Leben der Menschen, über die man berichtet.
Fernsehen ist also Ihre Leidenschaft geblieben?
Ruge: Fernsehen ist ein wunderbares Instrument. Ich habe gerne geschrieben und habe auch gerne Hörfunk gemacht, weil es so unkompliziert ist, man braucht nur ein Telefon. Beim Fernsehen ist sehr viel Logistik dabei. Aber dafür ist auch die Möglichkeit, Bild und Text und Ton zu kombinieren, ein besonderer Vorteil.
Wird es einen neuen Ruge-Film geben?
Ruge: Wir denken darüber nach, einen Film zu machen, der im Umkreis von 100 Kilometern um Moskau herum spielt und sowohl die Geschichte als auch die Gegenwart Russlands behandelt. Der schaut, wie es früher war und wie es heute ist und was daraus werden kann, welches System in Russland entstehen könnte.
Zur Person
Gerd Ruge Der Journalist, geboren am 9. August 1928 in Hamburg, begann seine Laufbahn 1949 beim NWDR. Ab 1950 berichtete als erster westdeutscher Journalist nach dem Krieg aus Jugoslawien. Für die ARD war er von 1956 bis '59 Korrespondent in Moskau sowie von 1964 bis '69 Korrespondent in den USA. Für die Tageszeitung „Die Welt“ berichtete er von 1973 bis '76 aus Peking. Dann ging er wieder zur ARD und am 1. September 1993 in Ruhestand. Seitdem arbeitet er als freier Journalist und macht vor allem Reisereportagen. 1961 gründete er zusammen mit Felix Rexhausen und Carola Stern in Köln die deutsche Sektion von amnesty international. Gerd Ruge ist nicht verwandt mit der TV-Moderatorin Nina Ruge.