Das zerstörte Frankfurt, Anfang der 1950er Jahre. Hier lässt Ulrike Sosnitza unter dem Autorinnen-Pseudonym Juliane Michel ihren neuen Roman spielen. Zwischen den Trümmern ist der Wiederaufbau in vollem Gange. Nach der Flucht aus Leipzig will sich auch Karin Wünsches Familie dort eine neue Existenz aufbauen. Um dieses "Fräulein Wünsche", eine 20-jährige junge Frau, die Bücher und Geschichten liebt und von der großen weiten Welt träumt, handelt das neue Buch der Erfolgsautorin, das ab 13. Oktober im Heyne Verlag erhältlich ist. Warum werden Nachkriegsgeschichten gerade so gerne gelesen? Was fasziniert die Autorin daran? Und warum schreibt sie jetzt unter Pseudonym?
Frage: Woher kommt diese große Faszination für die Nachkriegszeit, die sich gerade in der Unterhaltungsliteratur niederschlägt?
Ulrike Sosnitza: Es geht in diesen Büchern um den Aufbau, um einen Neuanfang und darum, Probleme hinter sich zu lassen und nach vorne zu schauen. Es geht um eine Zeit der Bewältigung in einer Welt mit unbewältigten Problemen. Das Interesse war schon vor Corona groß, doch Corona und auch der Krieg in der Ukraine befeuern das gerade noch. Standen in früheren Romanen über die Nachkriegszeit meist die Männer im Mittelpunkt, so schaut man heute mit einem viel wacheren Auge darauf, wie es den Frauen ging.

Sie sind 1965 geboren. Was interessiert Sie persönlich am Deutschland der Nachkriegszeit?
Sosnitza: Das ist die Zeit, in der sich meine Eltern kennengelernt, verlobt und verheiratet haben. Es sind die Jugendjahre meiner Eltern. Ich finde sehr spannend, wie Frauen damals versucht haben, sich von den patriarchalen Strukturen zu lösen. Meine Mutter zum Beispiel machte erst in den Siebzigern und immer noch gegen den Willen meines Vaters ihren Führerschein und ging arbeiten, obwohl er es für unnötig erachtete. Von der Gleichberechtigung der Frau, die das neue Grundgesetz versprach, war im Alltag der 50er nicht viel zu spüren.
"Schwarze Menschen kommen in der deutschen Unterhaltungsliteratur viel zu selten vor."
Ulrike Sosnitza über ihre Themenwahl
Das Buch "Fräulein Wünsche" spielt in Frankfurt und nicht in Würzburg. Warum?
Sosnitza: In den 1980er Jahren habe ich in Frankfurt Bibliothekswissenschaften studiert, daher habe ich schon immer einen großen Bezug zu Frankfurt. Außerdem bin ich in der Nähe, in einer Kleinstadt im Rhein-Main-Gebiet aufgewachsen und schon als Teenager zur Buchmesse gefahren. Frankfurt ist die größte Buchstadt Deutschlands. Und da mein Fräulein Wünsche in einer Buchhandlung arbeitet und ich über die Entwicklung des Buchmarkts schreiben wollte, bin ich in Frankfurt gelandet.

Erzählt man Nachkriegsgeschichten heute anders?
Sosnitza: Die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus, dem Zweiten Weltkrieg und der danach entstehenden Nachkriegswelt des Kalten Krieges ist und bleibt aktuell, und vieles kann man heute auch ganz anders schreiben als vor 30 oder 40 Jahren. In meinem Roman geht es zum Beispiel um den Rassismus gegenüber schwarzen Kindern afroamerikanischer Väter und die Diskriminierung, die deren Mütter erfahren mussten. Hier habe ich durch die Aufklärung seitens Afrodeutscher in den letzten Jahren viel dazulernen können.
Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Sosnitza: Aus Solidarität zur großen "Black Lives Matter"-Bewegung, die in den Vereinigten Staaten entstanden ist und sich gegen Gewalt gegen Schwarze beziehungsweise People of Color einsetzt, las ich Bücher über Afrodeutsche, deren Schicksal mich sehr berührt hat. Schwarze kommen in der deutschen Unterhaltungsliteratur viel zu selten vor. Daher verliebt sich mein Fräulein Wünsche in den afroamerikanischen GI Billy. Doch er muss zurück in die USA, und Karin macht eine Entdeckung, die ihr Leben auf einen Schlag verändert: Sie ist schwanger!
"Es ist heute gängige Praxis, bei einem Genre-Wechsel unter einem neuen Namen zu publizieren."
Ulrike Sosnitza über ihr Pseudonym
In Deutschland gab es laut Schätzungen mindestens 400.000 Besatzungskinder. Die meisten Väter verschwanden bald wieder in ihre Heimatländer, oft ohne etwas von ihrer Vaterschaft zu wissen. Viele der Frauen wurden stigmatisiert und ausgegrenzt. Wie ergeht es Fräulein Wünsche?
Sosnitza: Mein Fräulein Wünsche lernt 1950 mit 20 Jahren ihren Billy als Kunden in einer Buchhandlung kennen, weil er Ernest-Hemingway-Fan ist. Diese Liebe spielt also nicht mehr in der Besatzungszeit. Die Frauen, die 1945 von Besatzungssoldaten schwanger waren, das war noch mal eine andere Geschichte. Viele dieser Liebesbeziehungen waren oft aus der Not geboren. Die Liebe von Fräulein Wünsche ist viel mehr von Freiheit und Selbstbestimmung geprägt.
Wie feministisch ist Fräulein Wünsche?
Sosnitza: An dieser Stelle möchte ich nicht zu viel verraten. Nur so viel: Fräulein Wünsche wird nicht heiraten, nur um einen Namen für ihr Kind zu bekommen. Sie ist selbstbewusst und das ganz Buch hindurch berufstätig. Im Prinzip ist sie eine emanzipierte Frau.
Die Autorin und Moderatorin Amelie Fried hat kürzlich gesagt, dass sie es als herabsetzend empfindet, wenn ihre Bücher als Frauenliteratur bezeichnet werden. Was halten Sie von diesem Begriff?
Sosnitza: Es gibt ja auch diese Diskussion beim Fußball. Eigentlich gibt es nur Fußball, der entweder von Männern oder von Frauen gespielt wird – und nicht Frauen- und Männerfußball. Genauso ist es mit der Literatur: In der Unterhaltung gibt es zum Beispiel das Genre Krimi und das Genre Frauenunterhaltung, dabei lesen Frauen auch Krimis. Ich habe auch Männer unter den Leserinnen meiner Wohlfühlromane. Ich finde diese Einteilung überflüssig und abwertend.
Warum haben Sie diesen Roman unter einem Pseudonym geschrieben?
Sosnitza: Das war eine Entscheidung des Verlags. Vorher habe ich Wohlfühlromane geschrieben. Es ist heute gängige Praxis, bei einem Genre-Wechsel unter einem neuen Namen zu publizieren. Die Leserinnen und Leser sollen das so besser unterscheiden können. Ich akzeptiere das, aber ich hätte es mir nicht ausgesucht.
Signierstunde & LesungUlrika Sosnitza ist am Samstag, 22. Oktober, auf der Buchmesse in Frankfurt. Von 11 bis 12 und von 16 bis 17 Uhr kann man die Autorin treffen und sich ihre Bücher signieren lassen, am Verlagsstand von Heyne, Halle 3.0, Stand D.21.Eine Lesung aus "Fräulein Wünsche" findet am Donnerstag, 3. November, um 19 Uhr in der Buchhandlung Knodt, Textorstraße 4, in Würzburg statt. Tickets unter Tel. (0931) 52 673. Die Lesung findet im Rahmen der "Woche des unabhängigen Buchhandels" und der Lesereihe "Lesen für die Demokratie" des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) statt.Quelle: clk