(epd) Es war die unheimliche Vision eines totalen Überwachungsstaates: Vor 60 Jahren, am 8. Juni 1949, kam George Orwells Roman „1984“ in den Buchhandel. Der Titel war ein Spiel: Orwell hat die Zahl des Jahres, in dem er den Roman schrieb, einfach gedreht.
Orwell (1903-1950) wurde als Eric Blair in Indien geboren und wuchs dort auch auf. 1936/37 ging er als Journalist und Kämpfer gegen den Faschismus nach Spanien. Von ihm stammen einige der genauesten Berichte über die blutigen Auseinandersetzungen innerhalb des republikanischen Lagers, nicht zuletzt über die „Säuberungen“ moskauhöriger Kommunisten in Spanien. Diese Erlebnisse machten Orwell hellhörig für jede Art von Totalitarismus. 1945 erschien seine Allegorie auf die frühe Sowjetunion, „Die Farm der Tiere“. Auch seine Darstellung des fiktiven totalitären Staates Ozeanien in „1984“ beruht auf Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus.
Ozeanien hat eine einheitliche Ideologie, mit der eine kleine Machtelite über 90 Prozent der Bevölkerung herrscht. Eine terroristische, Geheimpolizei verhindert Proteste oder Aufstände: „Big Brother is watching you“, der große Bruder beobachtet Dich. „1984“ traf den Nerv der Zeit. In den 1990er-Jahren las man „1984“ kritischer. Auch die literarische Qualität des Romans wurde kritisiert. Die Techniken der Überwachung, die Orwell beschreibt, sind inzwischen perfektioniert. Was Orwell nicht vorhersehen konnte: Auch Demokratien sind nicht davor gefeit, diese Mittel zu benützen, vor allem seit dem 11. September 2001.
Eine technische Entwicklung aber war unvorhersehbar, als Orwell seine Visionen vom Überwachungsstaat niederschrieb: das Internet mit seinen unendlichen Möglichkeiten. Den Zugang zu regimekritischen Informationen versuchen Länder wie China oder Kuba immer wieder zu unterbinden – und können doch nicht verhindern, dass Menschenrechtler sich vernetzen und der Welt einen Blick auf den Alltag in China, Kuba oder Iran vermitteln: „Big Brother“, der große Bruder, beobachtet – aber er wird auch beobachtet.