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Würzburg: Gezielte Provokationen auf der Documenta? So erleben Künstlerinnen aus Unterfranken den Dauerskandal

Würzburg

Gezielte Provokationen auf der Documenta? So erleben Künstlerinnen aus Unterfranken den Dauerskandal

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    Im Juni wurde das umstrittene Großbanner "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der Documenta abgenommen. Die Weltkunstschau ist seither nicht zur Ruhe gekommen.
    Im Juni wurde das umstrittene Großbanner "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der Documenta abgenommen. Die Weltkunstschau ist seither nicht zur Ruhe gekommen. Foto: Uwe Zucchi, dpa

    Die Documenta in Kassel kommt nicht zur Ruhe. Nach dem Abhängen und teilweise Überkleben von Kunstwerken mit antisemitischen Motiven, dem Rückzug externer Berater, dem Rücktritt der Geschäftsführerin und zuletzt den Beleidigungen des Künstlers Hamja Ahsan gegen Bundeskanzler Olaf Scholz ist eine anhaltende Diskussion darüber entbrannt, wie es mit der Weltkunstschau weitergehen soll.

    Ist das Konzept, ein Künstlerkollektiv als Kuratoren zu verpflichten, gescheitert? Haben die internen Gremien versagt? Braucht die Documenta mehr Kontrolle von außen? Hätte Bundeskulturministerin Claudia Roth im Vorfeld stärker auf den Verdacht israel- und judenfeindlicher Tendenzen beim Kuratorenkollektiv Ruangrupa und einigen weiteren Ausstellern eingehen müssen? Ist es im Gegenzug legitim, eine künftige Förderung durch den Bund von mehr Mitsprache abhängig zu machen, wie Roth angekündigt hat?

    Zum 42-Millionen-Etat steuert der Bund 3,5 Millionen bei

    Der Documenta-Etat 2022 beläuft sich auf 42,2 Millionen Euro, je 10,75 Millionen tragen die Stadt Kassel und das Land Hessen, der Bund steuert über die Kulturstiftung des Bundes 3,5 Millionen bei. Den Rest von 17,2 Millionen bringt die Ausstellung über Eintrittsgelder oder Sponsoren selbst auf. Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle zeigte sich verschnupft über Roths Forderung und ist fest entschlossen, die Documenta gegebenenfalls auch ohne Bundesförderung zu finanzieren.

    Mia Hochrein: "Den Skandal und den Umgang damit hat in erster Linie die Documenta-Leitung zu verantworten."
    Mia Hochrein: "Den Skandal und den Umgang damit hat in erster Linie die Documenta-Leitung zu verantworten." Foto: Thomas Malz

    Kunstschaffende auch in Unterfranken verfolgen die Ereignisse in Kassel mit Befremden. Die Münnerstädter Künstlerin Mia Hochrein etwa hält wenig von mehr Bundes-Einfluss: "Die Politik hat da nichts zu suchen. Weil sie nichts bewirken kann. Den Skandal und den Umgang damit hat in erster Linie die Documenta-Leitung zu verantworten."

    Die Malerin Elvira Lantenhammer, die auf Schloss Homburg in Triefenstein (Lkr. Main-Spessart) lebt und arbeitet, pflichtet bei: "Das Gremium, das die Kuratoren berufen hat, hätte viel genauer hinschauen müssen. Die haben sich offensichtlich gar nicht damit befasst."

    Elvira Lantenhammer:  "Das Gremium, das die Kuratoren berufen hat, hätte viel genauer hinschauen müssen. Die haben sich offensichtlich gar nicht damit befasst."
    Elvira Lantenhammer:  "Das Gremium, das die Kuratoren berufen hat, hätte viel genauer hinschauen müssen. Die haben sich offensichtlich gar nicht damit befasst." Foto: Anja Behrens

    Dass das Wimmelbild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit dem Titel "People's Justice" (Volksgerechtigkeit) abgehängt wurde, missbilligt indes niemand. Antisemitismus könne niemals von Kunstfreiheit gedeckt sein. Auf der riesigen Leinwand war ein Soldat mit Schweinegesicht, Davidstern und der Aufschrift "Mossad" auf dem Helm zu sehen, an anderer Stelle eine Figur mit Raffzähnen, Hakennase, Schläfenlocken, Kippa und einem Hut mit "SS"-Runen.

    Kritik an fehlender Übernahme von Verantwortung und einem Mangel an Transparenz

    Was aber auf einhellige Kritik stößt, ist der Umgang der Documenta, deren 15. Ausgabe unter dem Titel "documenta fifteen" noch bis 25. September läuft,  mit dem Skandal. Die fehlende Übernahme von Verantwortung und ein Mangel an Erklärung und Transparenz, nachdem das Wimmelbild abgehängt worden war, stoßen allen sauer auf. Hier sei eine wichtige Gelegenheit zum Diskurs verpasst worden. "Man hätte ein Forum der Diskussion und Aufarbeitung schaffen müssen", meint Mia Hochrein. 

    Christiane Gaebert: "Kunst hat immer auch mit Experiment zu tun. Und Experimente können und müssen auch mal schiefgehen."
    Christiane Gaebert: "Kunst hat immer auch mit Experiment zu tun. Und Experimente können und müssen auch mal schiefgehen." Foto: Martin Harth

    Für die in Rimpar lebende Künstlerin Christiane Gaebert, Vorsitzende des Berufsverbands Bildender Künstler (BBK) in Unterfranken, hat Kunst immer auch mit Experiment zu tun: "Und Experimente können und müssen auch mal schiefgehen. Das müssen wir zulassen." Die antisemitistischen Vorfälle dürften jetzt nicht dazu führen, dass grundsätzlich infrage gestellt werde, "was wir errungen haben".

    War der Skandal eine gezielte Provokation zur Eigenwerbung?

    "Diskurs ist unser Geschäft", sagt Gaebert, "ich möchte Kontroversen haben." Ein Mangel an Auseinandersetzung aber öffne Tür und Tor für Verbote: "Das können sich wiederum Interessierte zunutze machen, um Meinungen zu unterdrücken."

    Die Würzburger Bildhauerin Angelika Summa hat Verständnis für Claudia Roths Forderung, die Aufsichtsgremien der Documenta umzustrukturieren. "Politiker sind die Vertreter des Volkes, von uns. Es geht also um die größere Frage, wie wir als Gesellschaft eindeutig gegen Antisemitismus Stellung beziehen können."

    Angelika Summa: "Ich habe die subversive Vermutung, dass es Taktik war, die Deutschen vor den Kopf zu stoßen. Ein Skandal ist immer kostenlose Werbung."
    Angelika Summa: "Ich habe die subversive Vermutung, dass es Taktik war, die Deutschen vor den Kopf zu stoßen. Ein Skandal ist immer kostenlose Werbung." Foto: Johannes Kiefer

    Offenbar habe sich das Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa vorab nicht über die politisch sensiblen Themen Deutschlands informiert. "Sonst wären sie nicht so über die Reaktionen erstaunt gewesen." Wenn sie es denn tatsächlich waren: "Ich habe die subversive Vermutung, dass es Taktik war, die Deutschen vor den Kopf zu stoßen. Ein Skandal ist immer kostenlose Werbung", sagt Angelika Summa. Grundsätzlich aber gelte: "Antisemitismus, auch wenn er aus Indonesien kommt, ist Antisemitismus."

    Für die These des kalkulierten Skandals spreche auch der Ausfall des Documenta-Künstlers Hamja Ahsan, der Olaf Scholz erst als "faschistisches Schwein" bezeichnet und sich dann bei "Bild" dafür bedankt hatte, ihn mit der Berichterstattung zum derzeit berühmtesten britischen Künstler in Deutschland gemacht zu haben.

    Der Skandal werde der Documenta sicher noch einige Zeit anhängen, prophezeit Summa. Dem Besuch der Kunstschau hat er allerdings nicht geschadet: Über 410.000 Gäste haben die Documenta bis zur Halbzeit von 50 Tagen besucht. Das liegt nur knapp unter dem Besucherrekord von 2017.

    Die Diskussionen überlagern die eigentliche Ausstellung nahezu vollkommen

    Über die Ausstellung als solche wird kaum gesprochen. Die Allgegenwart politischer und gesellschaftlicher Themen veranlasste etwa den Bayerischen Rundfunk zu fragen: "Ist die documenta eine activista?" Auch Elvira Lantenhammer sieht den Ansatz skeptisch: "Hier ist Kunst nicht mehr zweckfrei. Aber Zweckfreiheit ist in meinem Kunstverständnis sehr wertvoll."

    Mia Hochrein war dort und hat viele Arbeiten gesehen, die sie begeisterten: "Das ist eine sehr zeitgemäße Documenta. Das Konzept, kollektiv und jenseits des Kunstmarkts zu arbeiten, finde ich sehr erfrischend." Die Beteiligung von Laien, also das partizipative Element, lobt sie ebenfalls: "Es ist gut, dass jeder, der eine Affinität zu Kunst hat, mitmachen kann. Das gehört von jeher zum Menschsein dazu." Es sei extrem schade, dass so wichtige Themen wie Nachhaltigkeit oder gerechtere Verteilung komplett überlagert würden: "Da könnten wir viel lernen, das ist leider alles untergegangen."

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