Seit 2008 ist die Leopoldina mit Sitz in Halle in Sachsen-Anhalt die Nationale Akademie der Wissenschaften Deutschlands. Ihren Anfang nahm sie einst in Schweinfurt: Hier gründeten am 1. Januar 1652 vier Ärzte die Academia Naturae Curiosorum – die Akademie der auf die Natur Neugierigen. Der Stadtphysikus Johann Laurentius Bausch und seine drei Mitgründer Johann Michael Fehr, Georg Balthasar Metzger und Georg Balthasar Wohlfahrt beschlossen, ein Netzwerk der Neugierigen aufzubauen: Per Korrespondenz wollten sie mit den führenden Forschern Europas das gesamte verfügbare Wissen über die Natur der Welt austauschen und durch eigene Forschung neues hinzufügen – "zur Ehre Gottes und zum Wohle der Menschen".
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Heute hat die Leopoldina zwei Aufgaben: die Vertretung der deutschen Wissenschaft im Ausland und die Beratung von Politik und Öffentlichkeit. Interdisziplinäre Arbeitsgruppen verfassen Gutachten zu Themen wie Stammzellen, Energiegewinnung, Klimaschutz, Demografie oder Infektionskrankheiten – immer unabhängig von weltanschaulich oder wirtschaftlich vorgegebenen Meinungen. Zuletzt haben am Ostermontag 26 Professoren, unter ihnen der Würzburger Rechtsphilosoph Horst Dreier , ein Papier vorgelegt, in dem sie unter dem Titel "Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden" Handlungsempfehlungen für eine schrittweise Normalisierung des öffentlichen Lebens geben, etwa eine möglichst schnelle Öffnung von Bildungseinrichtungen: "Dabei müssen einerseits Bildungseinschränkungen aufgehoben, andererseits die Risiken für erneute Ansteckungen minimiert werden."
Die Akademie hat den Anspruch, die klügsten Köpfe zu vereinigen
Goethe war Mitglied, Charles Darwin auch, Alexander von Humboldt, Marie Curie, Albert Einstein, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Gustav Hertz oder Carl Friedrich von Weizsäcker – die Leopoldina erhebt seit fast 370 Jahren den Anspruch, die klügsten Köpfe der Wissenschaft in ihren Reihen zu vereinigen. Derzeit sind das rund 1600 in über 30 Ländern, unter ihnen etliche Würzburger wie der Mediziner Georg Ertl, der dieser Tage im Zusammenhang mit der Corona-Krise oft zu Wort kommt, oder der Immunologe Volker ter Meulen, der von 2003 bis 2010 Leopoldina-Präsident war.

Sein Nachfolger, der Mikrobiologe Jörg Hacker, forschte und lehrte von 1988 bis 2008 an der Universität Würzburg, zuletzt als Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare Infektionsbiologie. Hacker amtierte bis März als Präsident. Der Schweinfurter Stadtarchivar Uwe Müller wurde 2002 als Wissenschaftshistoriker in Klasse IV gewählt, in der die Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften vereint sind. In den Klassen I bis III sind Mathematik, Physik, Chemie und Geowissenschaften, Biowissenschaften und Medizin untergebracht.
220 Jahre lang war die Leopoldina eine Wanderakademie
180 Nobelpreisträger sind aus den Reihen der Akademie hervorgegangen, unter ihnen neben Einstein, Hahn, Hertz oder Heisenberg der Würzburger Chemiker Eduard Alois Buchner, der den Preis 1907 für die Entdeckung der zellfreien Gärung erhielt, aber auch bekanntere Namen wie Nils Bohr, Konrad Lorenz, Fridtjof Nansen, Max Planck oder Ivan P. Pavlov (der mit dem Hund).
Die Idee einer Akademie war Mitte des 17. Jahrhunderts nicht neu, vermutlich hatte Georg Balthasar Metzger sie von einem Studienaufenthalt in Italien mitgebracht. Aber sie erwies sich als die dauerhafteste: Heute ist die Leopoldina die älteste, ununterbrochen existierende naturwissenschaftlich-medizinische Akademie der Welt. 1677 gewährte Kaiser Leopold I., dem die Schweinfurter Forscher als Bürger einer Freien Reichsstadt direkt unterstanden, in vier Privilegien Schutz vor Zensur und unerlaubtem Nachdruck und wurde damit zum Namenspatron. Wichtiger als der Schutz vor Nachdruck (der tatsächlich niemanden beeindruckte) war der vor Zensur: Wissenschaftliche Erkenntnis und kirchliche Lehrmeinung mussten vor allem in der katholischen Welt zwangsläufig in Konflikt miteinander geraten.

In den ersten 220 Jahren war die Leopoldina eine Wanderakademie: Sitz war der Wohnsitz des jeweiligen Präsidenten. Bereist 1686 verließ die Akademie Schweinfurt in Richtung Nürnberg, weitere Stationen waren Erfurt, Erlangen, Bonn, Breslau, Jena oder Dresden. Seit 1878 ist sie dauerhaft in Halle ansässig. Die Verbindungen zu Schweinfurt sind nie ganz abgerissen. Das städtische Krankenhaus trägt den Namen Leopoldina, vor allem aber vergibt die Stadt alle zwei Jahre den Carus-Preis für herausragende Forschungsleistungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und Medizin. Dotiert mit 10 000 Euro, geht der Preis seit 1962 an den oder die Träger der Carus-Medaille, die wiederum die Leopoldina benennt.