Alex Parrish wäre eigentlich schon zu gut für diese, die reale Welt. In der Welt von „Quantico“ wirkt sie hingegen vollkommen deplatziert. Alex Parrish, so platt das auch klingen mag, glaubt an das Gute im Menschen. Und für den Fall, dass der Mensch ausnahmsweise mal nicht gut ist, gibt es das FBI – eine unbestechliche, moralisch gefestigte Polizeieinheit, deren einziges Ziel es ist, die Wahrheit herauszubekommen und den Schuldigen seiner gerechten Strafe zuzuführen.
Nun ja, möglicherweise glaubt das nicht einmal Alex Parrish wirklich, sie selbst aber fühlt sich diesem Ideal tatsächlich verpflichtet. Was schon in ihrer Ausbildung zur FBI-Agentin zu Konflikten führt, denn in der Welt der abc-Serie „Quantico“ ist wenig Platz für ethische Erwägungen. Was dieser Tage grundsätzlich auffällig ist: Vieler der angesagten amerikanischen Drama-Serien zeichnen das Land und seine Institutionen als mehr oder weniger bankrotte, korrupte Kulisse, in der vor allem die Skrupellosen, Verschlagenen und Brutalen erfolgreich sind. Das gilt für „House of Cards“ ebenso wie für „Suits“ oder „How to get away with Murder“. „Quantico“ macht da keine Ausnahme.
Quantico ist zunächst einmal der Name einer Kleinstadt in Virginia, 60 Kilometer von Washington entfernt. Sie liegt am Potomac River und ist an den restlichen drei Seiten von einer Kaserne der US Marines umgeben. Auf deren Gelände liegt eine legendäre Ausbildungseinrichtung: die FBI-Akademie Quantico. Sie bildet Schauplatz und Bezugssystem der Serie, deren zweite Staffel gerade in den USA und im Netz läuft. Hierzulande war die erste Staffel bei Pro7 zu sehen, derzeit wird sie auf Pro7Fun wiederholt.
Eine Akademie als soziale Petrischale
Alex Parrish gehört zu einer Gruppe Rekruten, die sich der sechsmonatigen FBI-Ausbildung unterziehen. Die abgeschiedene Welt der Akademie mit ihren rigiden Regeln und der ständigen Möglichkeit, doch noch als nicht geeignet aussortiert zu werden, ist die ideale Petrischale, in der sich Beziehungen, Konflikte, Intrigen und Komplotte ansetzen lassen. Brutale Belastungstests, Überwachung, willkürliche Zielvorgaben – all das schafft ein schleichend steigendes Aggressionspotenzial, das etliche der NATs (für „New Agent in Training“) bald an ihre Grenzen bringt.
Und natürlich bringt jede und jeder NAT eine eigene Vorgeschichte mit, die nach guter Serientradition NAT für NAT, Folge für Folge kontinuierlich bloßgelegt wird. Es ist nicht nur Patriotismus, der die Rekruten bewogen hat, sich beim FBI zu bewerben. Jeder hat eine Agenda, die wenig zu tun hat mit dem (Kinder-)Traum, für Recht und Ordnung zu sorgen. Schnell zeigt sich: Niemand ist der, der er vorgibt zu sein. Oder zumindest nicht nur.

Außer vielleicht Alex Parrish, die zwar zum FBI gegangen ist, um herauszubekommen, was wirklich mit ihrem Vater passiert ist, der auch FBI-Agent war. Die aber (siehe oben) durchaus überzeugt ist von der Integrität der Institution FBI.
„Quantico“ ist Drama, Thriller und Science Fiction gleichzeitig. Die Handlung setzt in der Zukunft ein und schraubt sich dann auf zwei Zeitebenen simultan vorwärts. Alex Parrish, inzwischen FBI-Agentin in New York, liegt bewusstlos in den Trümmern des Bahnhofs Grand Central Station, der soeben bei einem Attentat in die Luft gesprengt wurde. Die Indizien sind eindeutig: Parrish hat etwas damit zu tun gehabt, sie ist die Hauptverdächtige. Sie muss fliehen, um ihre Unschuld zu beweisen.
Spannung auf zwei Zeitebenen
So weit, so klassisch. Virtuos spielt die Dramaturgie mit der Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft. Hier ist Parrish Musterschülerin, dort gejagte Rädelsführerin. Hier sind die Rekruten ambitionierte Gesetzeshüter, dort schillernde Geheimnisträger mit unklaren Zielen. Erkenntnisse der Zukunft machen kurz zuvor in der Vergangenheit Erfahrenes begreiflich. Oder vielleicht auch nicht . . .
Natürlich ist Parrish Opfer eines Komplotts, dessen Drahtzieher allgegenwärtig und allwissend erscheinen. Es ist wie bei diesen russischen Matrjoschka-Puppen: Hinter jeder Entlarvung wartet bereits die nächste. Ein Paradies für Verschwörungstheoretiker, in dem nichts sicher, nichts verlässlich ist. Analog zur schicken Kunstwelt von „Quantico“ sind deren Bewohner fast unnatürlich attraktiv und faszinierend.
Schönste unter lauter Schönen
Der aufrechte und dennoch undurchsichtige Ryan (Jake McLaughlin), die muslimischen Zwillingsschwestern Raina und Nimah (Yasmine Al Massri), der Politikersohn Caleb (Graham Rogers), der melancholische Nerd Simon (Tate Ellington) oder die resolute Ausbilderin Miranda Shaw (Aunjanue Ellis).
Die hinreißende Priyanka Chopra aber, die die Alex Parrish spielt, aus Mumbai stammende multitalentierte Schauspielerin und Musikerin, ehemalige Miss World, ragt unter all den Schönen meilenweit hervor. Sie ist Gesicht und Seele der Serie, aber ihre bannende Schönheit besteht nicht nur aus äußerlicher Makellosigkeit und einer hinreißend rauchigen Stimme – es ist diese Mischung aus Intelligenz, Hartnäckigkeit, Witz und Mitgefühl, der man sich nur schwer entziehen kann.
Wenn man das denn will, denn „Quantico“ ist vermutlich dann am spannendsten, wenn man sich auf diese durchdesignte Parrallelwelt einlässt, ohne allzu viele Gedanken an Plausibilität oder gar Machbarkeit zu verschwenden.
Lesen Sie in der nächsten Folge: „The Night Manager“ oder Hugh Laurie trifft John le Carré.
Staffel 1 von „Quantico läuft derzeit auf Pro7Fun.