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NEW YORK: "In Serie": Siegertypen im Maßanzug

NEW YORK

"In Serie": Siegertypen im Maßanzug

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    Smarte Typen: Macht ein gut sitzender Anzug unbesiegbar (Szene aus „Suits“)?
    Smarte Typen: Macht ein gut sitzender Anzug unbesiegbar (Szene aus „Suits“)? Foto: Foto: Getty Images

    Mit „Suits“ hat die Anwaltsserie endlich von Boston („Ally McBeal“, „Practice – Die Anwälte“, „Boston Legal“) nach New York gefunden. Tatsächlich ist keine andere Stadt denkbar, in der mit diesem Tempo Geschäfte, Vermögen und Karrieren gemacht und sofort wieder vernichtet werden. „Suits“ von Aaron Korsh („Alle lieben Raymond“) ist das Schnellste, Eleganteste und Spannendste, was die Gattung bislang hervorgebracht hat.

    Im deutschen Free-TV lief „Suits“ bei Vox, bis der Sender die Serie wegen aus seiner Sicht schlechter Quoten absetzte. In den USA ist gerade eine atemberaubende vierte Staffel zu Ende gegangen, europäische Fans sind wie in vielen anderen Fällen längst auf DVD und Downloadportale ausgewichen. Suits bedeutet Anzüge, Anzugträger, aber auch Prozesse – Lawsuits. Die Hauptpersonen sind Harvey Specter und Mike Ross – „Spiegel online“ nennt sie mäkelig „Yuppieanwälte“ und wirft sofort das Schlagwort Neoliberalismus auf. Als ob in der Finanzwelt von New York (oder jeder anderen Finanzwelt auf der Welt) jemals etwas anderes geherrscht hätte als blanker Liberalismus, also Krieg ohne Regeln.

    Natürlich sind wir im Kapitalismus. Natürlich geht es um Geld, sehr viel Geld, um Macht und ums Gewinnen um jeden Preis. Es ist ein Blutbad da draußen, eine Apokalypse, wie es mehr als ein Anwalt der Serie formuliert. Hier muss man sich verhalten wie ein Hai: Wer nicht in Bewegung bleibt, der stirbt.

    Und ja, sie tragen unglaublich gut geschnittene Anzüge. Und sie tragen sie richtig. Es kommt nicht darauf an, dass man diesen Anzügen ansieht, dass sie so viel kosten wie ein Kleinwagen. Ihre Träger müssen darin unbesiegbar, ja: unzerstörbar wirken. Denn Recht bekommt immer nur der Sieger, also schadet es nicht, wenn man aussieht wie ein Sieger. Und Sieger bleibt der, der entweder die besseren Karten – sprich: Druckmittel – hat oder besser bluffen kann. Für Harvey Specter gilt meist beides. Er ist der beste Schlichter der Kanzlei Pearson Hardman, von New York und damit der Welt. Er sorgt dafür, dass Konflikte gar nicht erst in den Gerichtssaal gelangen.

    Harvey Specter sieht unverschämt gut aus, hat Witz und Charme. Seine Mentorin Jessica Pearson, Mitinhaberin der Kanzlei, hat ihn einst in der Poststelle entdeckt und nach Harvard geschickt. Harvey ist ein begnadeter Pokerspieler. Mit Karten, mit Firmen, mit den Behörden, mit Menschen. Er ist kaltblütig und stolz darauf, dass ihm seine Mandanten menschlich egal sind. Es geht ums Gewinnen.

    Mike Ross ist gar nichts. Schulabbrecher, Kiffer, Fahrradkurier, Kleinbetrüger. Hochbegabt, scharfsinnig, hilfsbereit und loyal, hat er eben deshalb bisher nur falsche Entscheidungen getroffen (sie werden in vielen Rückblenden nacherzählt). So auch an jenem Vormittag, der alles ändern wird. Mit einem Koffer voller Marihuana taucht er im Luxushotel Chilton auf, doch die Übergabe ist eine Falle. Mike riecht Lunte, türmt und landet in der Suite, in der Harvey Specter gerade Bewerbungsgespräche mit Harvard-Absolventen führt. Denn Pearson Hardman stellt ausschließlich Harvard-Leute ein.

    Verglichen mit all den drögen Strebern aus gutem Hause wirkt Mike auf Harvey wie ein vertrauter Vertreter einer wilderen, bunteren Welt. Mike schafft es in wenigen Minuten, Harvey davon zu überzeugen, dass er einen erstaunlich geeigneten Kopf für juristisches Denken hat. Mike: „Ich lese gern. Und was ich lese, verstehe ich. Und was ich verstehe, vergesse ich nicht mehr.“ Also stellt Harvey Mike als Anwalt ein. Ohne Studium, ohne Zeugnis, ohne alles. Dieses Geheimnis wird eines der stärksten dramaturgischen Mittel der ganzen Serie werden – wenn es herauskommt, kann es die Kanzlei und damit das Leben aller Beteiligten zerstören.

    Und so wird „Suits“ trotz aller Zerwürfnisse, die noch folgen werden, zu einem Buddy-Movie mit zwei gar nicht so unterschiedlichen Protagonisten. „Suits“ ist aber auch ein großer Entwicklungsroman: Gelingt es Harvey, aus Mike einen skrupellosen Zocker zu machen, oder gelingt es Mike, Harvey den Glauben an die Menschheit (und an die Idee von Gerechtigkeit) zurückzugeben? Es ist eine Art Moralsport, der mit scharfsinnigen Argumenten, witzigen Dialogen (mit jeder Menge Filmzitate) und nicht selten unfairen Mitteln ausgefochten wird.

    Das Interessante ist die Frage, was wer bereit ist zu tun, um seine Ziele zu erreichen. Oder, wieder einmal: Welcher Zweck heiligt welche Mittel? Es wird also munter getrickst, erpresst, getäuscht, eingeschüchtert, geködert, gefeilscht. Immer natürlich im Interesse der Mandanten und hin und wieder sogar für eine gute Sache. Und dabei ist gar nicht so sehr das Was spannend, sondern das Wie. Anders gesagt: Der Zuschauer kann es nicht erwarten, welches Karnickel als Nächstes aus welchem Hut gezaubert wird. Die im Grunde einzige Moral: Jede Abkürzung wird irgendwann einen umso größeren Umweg erfordern, jede nicht ganz lupenreine Lösung trägt im Keim schon den nächsten Kampf in sich.

    Geld ist scheinbar doch nicht alles

    Gabriel Macht spielt den selbstsicheren und durchaus nicht unsensiblen Harvey, dessen Panzer natürlich bald Risse bekommt, und Patrick J. Adams den jungenhaften und zutiefst sympathischen Mike, der sehr schnell zu einigem Selbstbewusstsein findet. Der Rest des Ensembles steht dem charismatischen Duo in Nichts nach: Harveys fast übersinnlich fähige Sekretärin Donna (Sarah Rafferty), die vermeintlich unantastbare, sensationell schöne Königin Jessica Pearson (Gina Torres), die herzensgute und gar nicht so harmlose Rachel (Meghan Markle). Und natürlich Louis Litt. Rick Hoffman spielt den intriganten, ewig zu kurz gekommenen, unersättlich nach Anerkennung lechzenden Kollegen mit einer linkischen Grandezza, die diesem eigentlich lächerlichen Kotzbrocken echte Würde gibt.

    Louis macht seinen Mitmenschen das Leben zur Hölle, weil er selbst mit seinem Minderwertigkeitskomplex permanent durch die Hölle geht. Und er demonstriert, dass man auch im teuersten Anzug wie ein Loser aussehen kann, wenn man selbst davon ausgeht, dass alle anderen einen für einen Loser halten. Geld ist scheinbar eben doch nicht alles.

    Lesen Sie in der nächsten Folge: „Parks and Recreation“ oder Große Politik im Kleinformat.

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