Düster sind die Prognosen der Demografen. Immer lauter wird der Ruf nach mehr Kindern. Für reichlich Zündstoff sorgen Lösungsvorschläge wie die Rückkehr zur traditionellen Familie, in der die Frauen sich wieder alleine um Kinder und Küche, die Männer um sich selbst und ihre Karriere kümmern. Mit eingestiegen in diese Diskussion ist Iris Radisch, Literatur-Expertin der Wochenzeitung „Die Zeit“, mit ihrem Buch „Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden“ (Deutsche Verlagsanstalt, München, 14,95 Euro). Die 47-jährige Redakteurin und Mutter von drei Töchtern im Alter von fünf, neun und elf Jahren sucht nach Wegen, die zu mehr Zeit für Familie und Kinder führen. Sie ärgert sich über Gebärkampagnen, sieht für die Vati-arbeitet-Mutti-kocht-Ehe keine Zukunft und wünscht sich eine Emanzipation der Männer. Am 19. März stellt Iris Radisch ihr Buch in der Würzburger Stadtbücherei vor.
Sie haben den Spagat zwischen Kindern und Karriere geschafft. Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Iris Radisch: Früher hatte ich mich nie so ganz für die Familienproblematik zuständig gefühlt. Aber durch das Leben und meine drei Töchter bin ich da hineingewachsen. Ich bin an Grenzen gestoßen, die mich dazu gebracht haben, mehr darüber nachzudenken. Andererseits wollte ich auf die heftigen Debatten über die Bedeutung der Familie und die Rolle der Frauen reagieren. Es gab Stimmen, die sagten, die traditionelle Familie sei besser gewesen und die Emanzipation habe dazu geführt, dass wir jetzt so wenig Kinder haben. Mich hat geärgert, dass dies meist von Männern vorgebracht wurde, die sich kaum um ihre Kinder kümmern, dies aber von ihren Frauen erwarten.
Sie schreiben in Ihrem Buch von einer Liebeskatastrophe, vom Pilati- und Doris-Modell.
Radisch: Unsere Selbstsucht macht uns unfähig zu lieben. Nirgends sieht man gelungene Konzepte von Familie und Ehe, stattdessen biologische und familiengeschichtliche Schieflagen, Politiker wie Joschka Fischer oder Gerhard Schröder, die von einer Ehefrau zur nächsten schlittern und sich amourös verjüngen. Oder Väter wie Rudolf Scharping, die sich in kinderlose Konstellationen flüchten und zu Hobby- oder Gelegenheitsvätern werden. Mich ärgert zusätzlich, wie diese Familienflucht in der Öffentlichkeit als Kavaliersdelikt dargestellt wird. Ich glaube, dass es für junge Frauen sehr desillusionierend ist zu sehen, wie wenig Männer zur Familie stehen und wie schnell sie Verantwortung ablegen, als wären Ehe und Familie eine Probierpackung.
Was ist Familie für Sie?
Radisch: Familie ist etwas, was einen sehr erdet. Kinder sind Leben, Lebendigkeit, Glück. Es gehört zum Leben dazu, sich zu wagen, eine Familie zu gründen, sich zu überlegen, wie das funktionieren kann.
Mit der Rückkehr zur traditionellen Vati-arbeitet-Mutti-kocht-Ehe?
Radisch: Das sind unrealistische, meist männliche Schreibtischideen. Historisch betrachtet kann man Modernisierungsschritte, die einmal gemacht wurden, nicht einfach zurücknehmen. Die alte patriarchale Familie ist nicht zu retten.
Wie wollen Sie die Familie neu erfinden?
Radisch: Wir Frauen zwischen 40 und 50 Jahren sind die Ersten, die Karriere gemacht und versucht haben, Familie und Arbeit zu vereinbaren. Das geht nicht. Deshalb leben wir in einer Zeit des Übergangs. Wir brauchen gleichberechtigte Partnerschaften, Väter, die sich emanzipieren und nicht auf alten Männermodellen sitzen bleiben, sondern sich den Frauenwelten annähern und die Last der Familie mittragen. Und wir brauchen neue, gesamtwirtschaftlich entwickelte Arbeitszeitmodelle, die Familienzeit ermöglichen und die sich nicht starr nach männlichen Arbeitsbiografien orientieren; zum Beispiel Arbeitszeitkonten.
Es gibt Männer, die sich für ihre Kinder verantwortlich fühlen.
Radisch: Natürlich gibt es verantwortungsvolle und liebevolle Väter. Sehr viele sogar. Aber meistens bleibt es bei guten Absichten. Ich habe Kollegen, die jüngere Kinder haben und sehr aufgeschlossen sind, was den Emanzipationsgedanken angeht. Aber sie sitzen bis 19 Uhr in ihren Redaktionen, und die Frauen sind zu Hause – wie es immer schon war. Das kann nicht sein, und das kann nicht so bleiben.
Für Demografen liegt das Problem in der niedrigen Geburtenrate.
Radisch: Mich interessiert die Familienperspektive viel mehr. Bei der Überlegung, wie es wieder mehr Geburten geben könnte, können wir nicht einfach mit der Forderung beginnen, dass es mehr Deutsche geben muss. Die Grundlage der Überlegungen muss eher sein, wie Familien wieder lebendiger werden, wie Familienleben wieder mehr Spaß macht. Das bietet Perspektiven.
Dennoch werden Frauen in Gebärkampagnen zum Kinderkriegen gedrängt.
Radisch: Ich finde den Druck, der damit aufgebaut wird, schrecklich. Ebenso das Schuldbewusstsein, das mit den Gebärkampagnen und mit der angeblichen demografischen Katastrophe geweckt werden soll. Das ist schon wieder ein Druck, der von Männern gegenüber Frauen aufgebaut wird. Viel wichtiger wäre es zu schauen, was Familien brauchen. Denn niemand wird aus demografischen Erwägungen heraus Kinder bekommen.
Sie schreiben, die jungen Frauen tun Ihnen leid. Was würden Sie ihnen mit auf den Weg geben wollen?
Radisch: Das klingt vielleicht ein wenig vermessen: dieses Buch. Ich habe beim Schreiben immer an jüngere Frauen gedacht. Und an meine Töchter. Mein Leitgedanke war: Welche Erfahrungen möchte ich ihnen erzählen, damit sie für bestimmte Dinge nicht so viel Zeit brauchen wie ich sie gebraucht habe. Ich denke, dass jüngere Frauen aus dem, was ich über Geschlechterrollen, Partnerschaft und Liebesmodelle schreibe, ihre Schlüsse ziehen können.
Sollte Ihr Buch nicht auch von Männern gelesen werden?
Radisch: Sicher. Es ist für alle gedacht, die bereits Eltern sind oder Eltern werden wollen. Jeder, der Kinder hat und heute in modernen Lebensverhältnissen lebt und das Modell der traditionellen Familie nicht halten kann oder nicht halten möchte, der bekommt genau die Probleme, mit denen ich mich im Buch beschäftigt habe.
Die Lesung am 19. März beginnt um 20 Uhr in der Würzburger Stadtbücherei. Kartenvorverkauf: Tel. (0931) 34 24 44; E-Mail: stadtbuecherei@stadt.wuerzburg.de; Info im Internet: www.stadtbuecherei-wuerzburg.de