- Was ist das für ein Stück? "Die fetten Jahre sind vorbei" ist die Bühnenfassung des gleichnamigen Films mit Daniel Brühl aus dem Jahr 2004. Drei junge Leute, frustriert von der Erfolglosigkeit ihres politischen Engagements, entführen mehr oder weniger aus Versehen einen Manager – Vertreter des Feindbilds Kapitalismus – und stellen fest, dass sie, alle vier, mehr gemeinsam haben, als vermutet.
- Worum geht es? Es geht um die Machtlosigkeit, die junge Leute angesichts von Kapitalismus und Klimawandel empfinden. Sie erleben täglich, dass sie in einem System gefangen sind, das sich weder für ihre Ansichten, noch ihre Zukunft interessiert. Wie also können und sollen sie sich Gehör verschaffen?
- Wie ist es umgesetzt? Für Regisseurin Julika Kren, Jahrgang 1992, war der Film ein prägendes Erlebnis ihrer Jugend. Ganz in der Tradition Brechts unterbricht sie die – aktualisierte – Handlung immer wieder, die Schauspielenden wenden sich ans Publikum oder rezitieren etwa die Wutrede ("Wie könnt ihr es wagen") von Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel 2019.
Vielleicht kommt dieses Stück genau zur rechten Zeit. Vielleicht ist es auch schon viel zu spät. Aber wahrscheinlich haben Theaterstücke noch nie irgendwas verändert. Die Gedanken nach der Premiere von "Die fetten Jahre sind vorbei" mit dem Theater Schloss Maßbach in der Lauertalhalle dürften ziemlich denen der Figuren auf der Bühne ähneln: Wir alle sind Rädchen einer Maschine, über die wir längst die Kontrolle verloren haben. Der Treibstoff dieser Maschine ist Wachstum um jeden Preis, und wehe, dieser Treibstoff bliebe aus.

Konsumzwang, Kinderarbeit in den Entwicklungsländern, Schere zwischen Arm und Reich, Privatisierung des Trinkwassers: All das sind keine neuen Themen. Aber möglicherweise ist es gerade die Stärke dieses Stücks, dass es diese maximal abgegriffenen Schlagworte immer und immer wieder thematisiert.
Der Fakten-Overkill könnte ermüdend wirken, hätten die Figuren nicht echtes Profil
Denn für Jule, Jan und Peter in ihrer WG stellen sich diese Fragen neu. Sie können sich die Resignation des Managers Hardenberg nicht leisten, der, wie sich herausstellt, einst selbst in Wackersdorf gegen die atomare Wiederaufbereitung demonstrierte. Es geht um ihre Zukunft beziehungsweise darum, ob dieser Planet noch lange genug bewohnbar ist, damit sie und weitere Generationen überhaupt eine Zukunft haben.

Jule, Jan und Peter haben also Hardenberg, der sie beim Einbruch in sein Haus überrascht hat, auf eine Berghütte verschleppt. Die Diskussionen dort, die eingeschobenen Kurzreferate mit Armutsstatistiken, die philosophischen Weisheiten ("Alles, was du hast, hat irgendwann dich") oder die Zitate aus denkwürdigen Reden wie der des Chemie-Nobelpreisträgers von 1925 – kurz: Der Fakten-Overkill könnte ermüdend wirken, gelänge es nicht, den Figuren echtes Profil zu geben.
Die Menschheit sitzt tief in der Patsche, Jule spürt das direkt und unmittelbar
Yannick Rey als Jan ist cholerisch, aber ehrlich und zuverlässig, Benjamin Jorns als Peter flippig und ziemlich egoistisch und Marc Marchand als Hardenberg in seiner unaufgeregten Resignation gar nicht mal unsympathisch. Vor allem aber der charismatischen Anna Schindlbeck als Jule gelingt es, den Ernst der Lage spürbar zu machen. Und zwar nicht ihrer persönlichen Lage – Jobverlust und Schuldenlast kann sie ganz gut verdrängen –, sondern unser aller Lage: Die Menschheit sitzt tief in der Patsche, Jule spürt das direkt und unmittelbar.
Regisseurin Julika Kren hält also viele Bälle gleichzeitig in der Luft, und tatsächlich fällt kaum einer zu Boden. Das Baukasten-Bühnenbild von Robert Pflanz zeigt einen Swimmingpool – das Kapitalismus-Symbol schlichthin –, wird aber mit wenigen Handgriffen und ein bisschen Fantasie zu jedem gewünschten anderen Schauplatz.
"Die fetten Jahre sind vorbei" ist bunt, engagiert, schnell, unterhaltsam und einfallsreich. Wenn Jule und Jan in Renovier-Overalls zu Käptn Pengs Hiphop-Nummer "Sie mögen sich" rappen und tanzen, ist das nicht nur richtig gekonnt, sondern auch tröstlich: Vielleicht finden ja neue Generationen, so wie sie neue künstlerische Ausdrucksformen finden, Lösungen für Probleme, die ihnen die Alten hinterlassen haben.
Wie plausibel das Happyend in einer Welt ist, von der die Hardenbergs nichts mehr mitbekommen, weil ihre Anwälte alles regeln, sei dahingestellt. Aber es macht Hoffnung. Vielleicht ist ja doch noch nicht alles verloren.
Theater Schloss Maßbach: "Die fetten Jahre sind vorbei" - bis 5. März in Maßbach, Lauertalhalle und Gastspielorte. Karten: Tel. (09735) 235, www.theater-massbach.de