Träumer, Künstler Aussteiger, für verrückt gehalten – und auf rätselhafte Weise zu Tode gekommen: Das ist das Garn, aus dem Mythen gewoben werden, der Boden, auf dem Verschwörungstheorien wuchern. Wenn im Mittelpunkt ein Blaublütiger steht, der Ludwig II. hieß und König von Bayern war, dann treibt die Heldenverehrung auch groteske Blüten. Anhänger hat der „Märchenkönig“ noch 126 Jahre nach seinem Tod. Fans, die Bierkrüge oder Kaffeetassen mit aufgedrucktem Ludwig-Konterfei kaufen oder vom Besuch in Neuschwanstein ein „Kini“-T-Shirt nach Hause bringen, sind die Harmlosen. Doch auch wahrhaft treue Gefolgsmänner des Bayernkönigs leben noch immer unter uns, wackere Burschen, die ihre Mission ernst nehmen und sich mit einer mysteriösen Aura umgeben.
Die Guglmänner
Die „Guglmänner S. M. König Ludwig II.“ stellen sich auf ihrer Homepage so vor: „Der Orden der Guglmänner lebt und wirkt im Geheimen; weder die Zahl der Mitglieder, noch die Statuten, noch die Namen, noch die Versammlungsorte werden jemals veröffentlich.“ Laut www.guglmann.de sind die Mitglieder „überall dort als Mahner und Warner zugegen, wo das Andenken unseres geliebten Königs nicht die gebührende Achtung findet“. Sie treten vermummt auf, mit schwarzen Kutten und schwarzen Kapuzen („Gugln“) – die „Süddeutsche Zeitung“ fühlte sich bei einem Auftritt des Ordens an den Ku-Klux-Klan erinnert. Eine der Forderungen des Geheimbundes, dem man nicht einfach so beitreten kann (man muss „erwählt“ werden): Ludwigs Leichnam müsse exhumiert werden, um die wahre Todesursache aufzudecken. Denn die Guglmänner glauben, der König sei erschossen worden. Ludwigs Nachfahren lehnen eine Exhumierung aber ab. So bizarr das alles auch wirken mag: Der Zweifel der Kapuzenträger an der offiziellen Version des Todes von Ludwig II. scheint berechtigt.
Am 13. Juni, dem Pfingstsonntag des Jahres 1886, unternahm der für wahnsinnig erklärte und auf Schloss Berg festgehaltene König einen Spaziergang mit dem Psychiater Bernhard von Gudden. Als die beiden um 20 Uhr nicht zurück waren, machte man sich mit Fackeln auf die Suche. Gegen 22.30 Uhr fand man den König und den Arzt nahe beim Ufer im Wasser – tot. Es hieß, von Gudden habe Ludwig am Suizid hindern wollen und sei dabei selbst ertrunken.
War es Mord?
Dieser Version scheinen einige Indizien zu widersprechen. Ludwigs Uhr war um 18.45 Uhr stehen geblieben, die von Guddens dagegen um 20.06 Uhr (nach anderen Quellen um 20.10 Uhr). Das spricht zunächst gegen die Theorie, der König könnte erst seinen Arzt und dann sich selbst umgebracht haben. Doch von Guddens Uhr könnte einfach auch ein bisschen länger wasserdicht gewesen sein. Am Körper des damals 40-jährigen Königs wurden bei der Obduktion keine Kampfspuren festgestellt – was hätte sein müssen, wenn er mit von Gudden gerungen hätte. Das Wasser des Starnberger Sees ist dort, wo Ludwig gefunden wurde, 1,25 Meter tief – wählt ein Lebensmüder solch eine seichte Stelle?
Und: Würde sich nicht der Körper gegen das Einatmen von Wasser wehren und reflexmäßig auftauchen – was bei nicht einmal brusthohem Wasser kein Problem wäre? War es also Mord?
Die Preußen werden verdächtigt
Einige glauben, der König sei erschossen worden. Einschusslöcher wurden bei der Untersuchung aber nicht gefunden – oder laut Verschwörungstheorie vertuscht. Eine andere Mordhypothese geht davon aus, dass Ludwig mit Chloroform betäubt und ins Wasser geworfen wurde. Den Arzt brachten die Königsmörder später als gefährlichen Mitwisser um.
Warum hätte man Ludwig ermorden sollen? Auch da gibt es mehrere (Verschwörungs-)Theorien. Der Historiker Rudolf Reiser, Autor mehrerer Bücher über den „Kini“ und Anhänger der Chloroform-Hypothese, behauptet, Ludwig sei nicht der Sohn von Kronprinz Maximilian II. gewesen. Vielmehr habe sich Kronprinzessin Marie mit einem Bürgerlichen eingelassen. Ludwig II. wäre demnach kein echter Wittelsbacher gewesen. Wollte sein Onkel Luitpold, der nach Ludwig regierte, einen peinlichen Makel in der Familiengeschichte beseitigen? Vielleicht – auch das eine im Internet diskutierte Möglichkeit – steckt auch der preußische Geheimdienst hinter dem Mord am Bayern-Monarchen.
Der Mythos lebt
Vielleicht war Ludwig nicht nur homosexuell, hypersensibel und exzentrisch, sondern tatsächlich geisteskrank und wurde deshalb entmündigt. Vielleicht geschah dieser Staatsstreich auch wegen seines Bauwahnsinns – Neuschwanstein hätte noch viel größer werden sollen, als es heute ist. Der König finanzierte seine Schlösser über immer neue Kredite, für die der Staat bürgen sollte. Dann war da noch die exorbitante Förderung des damals durchaus umstrittenen Komponisten Richard Wagner, der ohne Ludwig kein Festspielhaus auf den Grünen Hügel von Bayreuth hätte stellen können. Vielleicht wurde er also aus vernünftigen Gründen gestürzt und nach Schloss Berg gebracht. Vielleicht ist nichts dran an all den Verschwörungstheorien. Ludwig könnte Opfer eines Unfalls geworden sein oder wirklich Suizid begangen haben, immerhin hatte er damit gedroht. Vielleicht, vielleicht, vielleicht . . .
„Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen“, soll König Ludwig gesagt haben. Diese Rätselhaftigkeit sorgt dafür, dass sich in Neuschwanstein die Besuchermassen drängen, dass Ludwig II., als Märchenkönig dem Weltgeschehen entrückt, zum Mythos wurde. Mit amüsant-grotesken Begleiterscheinungen wie den Guglmännern . . .
Ausstellung zu Ludwig II. in Bad Kissingen
„Götterdämmerung – König Ludwig II.“ ist der Titel einer Ausstellung in der Bad Kissinger Wandelhalle. Die Schau, im Prinzip eine kräftig abgespeckte Version der Bayerischen Landesausstellung 2011, beschäftigt sich natürlich auch mit den verschiedenen Theorien zum Tod des Märchenkönigs. Die historische Wandelhalle ist für sich schon sehenswert.
Schloss Neuschwanstein ist Thema einer Computeranimation. Gezeigt wird, wie es in die Bergwelt hineingebaut wurde – und wie es, den Plänen zufolge, letztlich hätte aussehen sollen. Das heute vorhandene Schloss ist nur ein Teil dessen, was Ludwig verwirklichen wollte.
Schautafeln, Videos und Computeranimationen spüren unter anderem dem Verhältnis zwischen König Ludwig und Richard Wagner nach, beschäftigen sich mit dem Haus Wittelsbach und versuchen, die bayerische Volksseele zu erkunden. Amüsant: Ein Großbildschirm zeigt einen Kurzfilm mit dem fernsehbekannten Kabarettisten Christoph Süß („quer“) als König Ludwig im Streitgespräch mit Richard Wagner, frei nach dem Motto: „Mir san sowas von dermaßen unvergesslich.“ Passend unterlegt mit Wagner-Musik.
Öffnungszeiten: Täglich 9–18 Uhr. Bis 16. September. Der Eintritt ist frei.