Schneewittchens Stiefmutter legt Wert aufs perfekte Äußere. Ob Modelcasting oder Mordanschlag – die Frisur muss sitzen. Weshalb sich die schöne Stiefmutter bei jedem Anlass das platinblonde Langhaar zurechtzupft. Auf dass ihre Pose in jeder Daseinssekunde fototauglich sei, bewegt sie sich, flankiert von ihren zwei Lovern, grundsätzlich mit gerecktem Hals, hocherhobener Nase und affektiertem Beckenschwung: Ja, die Anspielungen auf Heidi Klums Mager-Model-Business sind gewollt. Und wer Lust auf eine intelligente Klum–Parodie hat, muss sich die fantastische Caroline Matthiessen als böse Stiefmutter in „Schneewittchen - Breaking Out“ unbedingt anschauen. Als Crossover-Ballett feierte das Stück am Samstag im Mainfranken Theater Würzburg Uraufführung.
Zu Recht tanzt Camilla Matteucci die Titelrolle. Als Schneewittchen ist sie lebenslustig, rotzfrech, herzensgut – und leider viel zu schön. Ab dem Moment, wo der Spiegel der Model-Agentur „Shine“ statt des Bilds der Stiefmutter Schneewittchens Antlitz zeigt, ist deshalb ihr Leben in Gefahr. Schneewittchen flieht.
Es folgen temporeiche Actionszenen, die locker jeden Privatsender-Samstagabendkracher toppen. Es ist, als ob das Mainfranken Theater angetreten wäre zu zeigen, dass es nicht nur „Germany's Next Top Models“ an Gemeinheit, sondern auch noch „Harry Potter“-Filme an Dramatik übertreffen kann. Gehetzt von strumpfmaskenbewehrten Lord-Voldemort-Verschnitten findet Schneewittchen nach langer Flucht durch dunkle Wälder endlich Aufnahme bei sieben tumb-freundlichen Typen in einer schmuddeligen Hinterwäldler-WG. Die Jungs essen nicht von Porzellantellern, sondern aus dem Pizzakarton. Sie tanzen nicht Ballett – sondern Breakdance. Und sind eine Sensation.
Ballettdirektorin und Choreografin Anna Vita hat die Breakdancer Kevin Benning, Dominik Blenk, Sebastian Schick, Ditto Winterstein und Louis Buß beim öffentlichen Casting im letzten Jahr gefunden. Monatelang haben die Amateure aus der Region sieben Stunden am Tag geprobt. Haben mit Co-Choreograf Sebastian Schick nicht nur ihre Powermoves perfektioniert, sondern von den Profis auch balletttypische Hebefiguren gelernt und mit ihnen an der Synchronität gefeilt. Zeitgleich haben Tänzer des Ensembles (Davit Bassénz, Aleksey Zagorulko) Breakdance geübt. Das hat sich gelohnt: Zusammen ist die Truppe extrem gut und total lustig.
Der Pizzabote als Prinz
Weil sie nicht fassen können, dass sich ein schönes Mädchen in ihr schludriges Heim verirrt hat, stolpern die Jungs so gekonnt übereinander, dass das Publikum vor Lachen explodiert. Um Schneewittchen zu imponieren, zeigen sie Drehungen, Überschläge, Handstände und Pirouetten, die nicht nur die Angebetete, sondern auch das Publikum staunen lassen. Und dann müssen die armen Jungs alle zeitgleich zu Boden fallen, komplett frustriert: Schneewittchen hat sich trotz aller Balzerei nicht in einen von ihnen verguckt, sondern den Pizzaboten (Timothy Szczepkowski-Collins) zu ihrem Prinzen erkoren. Fürs verliebte Schneewittchen aber, das mittlerweile die Ballettschläppchen gegen Turnschuhe getauscht hat, könnte die Welt nicht schöner sein – wäre da nicht die böse Stiefmutter, die einen Anschlag nach dem anderen auf ihre schöne Stieftocher verübt. Als Mordwaffe taugt auch ein Staubwedel.
Ist das alles Ballett? Oder hat Anna Vita mit „Schneewittchen – Breaking Out“ eine neue Gattung geschaffen, die Komödie, Tanztheater, Breakdance und Ballett neu und genial verbindet? Dem Publikum jedenfalls war klar, dass es ein außergewöhnlich amüsantes, perfekt getanztes und mit leichter Hand inszeniertes Stück erlebt hatte. Die Premierengäste bedankten sich minutenlang mit stehenden Ovationen.
Nächste Vorstellungen: 5., 8., 13. März. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124