Der Schauspieler („Theo gegen den Rest der Welt“) und Sänger („Freiheit“) Marius Müller-Westernhagen (65) ist einer der bekanntesten Künstler Deutschlands. Dieser Tage erschien sein neues Album „Alphatier“. Wir sprachen mit dem fußballverrückten Musiker über seine neue Liebe, Jesus Christus, Elefanten in Südafrika und die WM in Brasilien.
Frage: Herr Müller-Westernhagen, wie viel von einem „Alphatier“ steckt in ihnen selbst?
Marius Müller-Westernhagen: Die physischen Voraussetzungen eines Alphatiers fehlen mir komplett. Wer mich sieht, der weiß, dass der Titel also eher ironisch gemeint ist.
Und sonst?
Müller-Westernhagen: Vielleicht bin ich in dem Punkt Alphatier, dass ich bei meiner Arbeit klare Vorstellungen habe und die Leute dazu bringe, das so zu machen, wie ich das haben will. Ich glaube, ich habe die Kraft, Leute für mich einzunehmen und im Idealfall zu begeistern.
Wann und wo ist Ihnen der Titel eingefallen?
Müller-Westernhagen: Auf Safari in Südafrika. Wir wurden fast von einem Elefanten angegriffen, das war ein richtiges Alphatier. Die Herde ging über die Straße, plötzlich drehte sich dieses junge Männchen zu unserem Jeep um und flatterte drohend mit den Ohren. „Alphatier“ ist zudem einfach ein wunderschönes Wort und noch sehr wenig benutzt worden in der Kunst.
Kann man „Alphatier“ als „Zurück-zu-den-Wurzeln-Werk“ bezeichnen?
Müller-Westernhagen: Das klingt immer so platt.
Also lieber: eine klassische Marius-Platte?
Müller-Westernhagen: Ja und nein. Wir finden, dass es sehr modern, jung und frisch klingt. Überhaupt nicht rückwärtsgewandt. Dass du immer zu dem zurückkehrst, was du musikalisch am Tiefsten empfindest, ist eh klar. Guck dir Eric Clapton an. Der war mal fast im Popbereich und hat so eine Art Dance-Album gemacht, aber am besten ist er, wenn er Blues spielt. Ich selbst finde, „Alphatier“ ist mein bisher emotionalstes und reifstes Album.
Was hat Ihre Kreativität denn so angestachelt?
Müller-Westernhagen: Weiß ich auch nicht, das war wie ein Ausbruch. Manchmal geht im Leben einfach eine Tür auf, und du trittst ein in den nächsten Level, in die nächste Dimension. Das hängt sicher auch mit dem zusammen, was in meinem Privatleben passiert ist.
Sie meinen die Trennung von ihrer langjährigen Ehefrau Romney (60) nach 25 Jahren Ehe und die neue Beziehung zu der Südafrikanerin Lindiwe Suttle (34), die auf ihrem Album mitsingt und Sie jetzt auch auf Tournee begleitet hat.
Müller-Westernhagen: Genau. Übers Privatleben spreche ich allerdings nicht.
„Halt mich noch einmal“ könnte ein Romney-Abschieds-Liebeslied sein. Sie singen „Es tut manchmal schrecklich weh, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen“ und sprechen eine „längst verklärte Zeit“ an.
Müller-Westernhagen (lachend): Das ist ihre Interpretation.
Als unbeteiligter Beobachter konnte man den Eindruck bekommen, Sie hätten die neue Partnerin geschickt in die Gesellschaft eingeführt. Erst plauderte ein sogenannter guter Freund in einer Illustrierten über Trennung und Neuverliebung, und jetzt singt Lindiwe Suttle auch noch in Ihrer Liveband und auf der Platte mit. Sie wollten die neue Beziehung unbedingt vor der Apriltour öffentlich machen, oder?
Müller-Westernhagen: Nee, nee, das sollte eigentlich geheim bleiben. Mein Freundeskreis hat zehn Monate lange die Klappe gehalten. Ich war vollkommen schockiert, als ich die Geschichte dann in einer Zeitschrift nachlesen musste. Wir sind beide so gestrickt, dass wir mit unserem Privatleben absolut nicht an die Öffentlichkeit drängen.
Nicht alle Berichte über ihre Trennung waren schmeichelhaft.
Müller-Westernhagen: Was gewesen ist und wie es gewesen ist, das kann niemand beurteilen, der nicht mit mir zusammenlebt, und deshalb sagen wir auch nichts dazu. Am liebsten wäre mir gewesen, das wäre alles gar nicht rausgekommen.
Finden Sie es eher amüsant oder eher nervig, wenn die Leute, Journalisten inklusive, ihre Texte nun nach privaten Aussagen abklopfen?
Müller-Westernhagen: Ach, das macht euch natürlich Spaß, künstlerische Aussagen zu interpretieren. Doch ich als Künstler beteilige mich natürlich nicht daran. Ich will einfach nicht alles erklären. Ich finde sowieso, die Kunst geht vor die Hunde, weil alles so lange und so ausgiebig erklärt wird, bis es noch der letzte Einzeller kapiert. In Filmen ist das ganz schlimm. Kunst sollte ein Anstoß sein. Die Leute sind es einfach nicht mehr gewohnt, sich intellektuell oder emotional fordern zu lassen. So klingt das meiste in der Popmusik dann auch, und daher interessiert mich das alles auch nicht mehr. Der Mainstream ist zu Tode langweilig.
Niemand da, der Sie begeistert?
Müller-Westernhagen: Klar, es gibt immer geile Rockmusik. Aber Rock ist inzwischen ja fast eine Nische, weil die Medien das nicht mehr spielen. Als ich groß wurde, waren Jimi Hendrix oder Bob Dylan Popstars. Solche Leute würden heute in überhaupt kein Format passen und keine Chance haben.
Karrieren wie die des jungen Marius Müller-Westernhagen…?
Müller-Westernhagen: …wären heute kaum möglich. Ich vergleiche ja immer große Karrieren weltweit, etwa auch die von Bruce Springsteen, mit Jesus.
Jetzt bin ich gespannt.
Müller-Westernhagen: Du reitest auf deinem Eselchen, ein paar Leute finden dich gut und jubeln. Dann werden das immer mehr, und manche von denen, die zuerst da waren, werden irgendwann sauer. Schließlich steigt das Potenzial an Neid und Hass so sehr, dass es zur Kreuzigung kommt – und genau in dem Moment musst du bei dir bleiben und dein Ding weiter durchziehen. Wenn du dann Kraft genug hast, dann stehst du irgendwann wieder auf.
Die Überschrift für das Interview hätten wir dann jetzt.
Müller-Westernhagen: (lacht): Um Gottes Willen! Unterstell' mir bloß keine Vergleiche mit Jesus.
Wo wir schon bei der Religion sind. In „Oh Herr“, übrigens ein Duett mit ihrer Freundin Lindiwe, sagen Sie „Alter Mann, mir graut vor dir“, und „Bitte gib' mir noch Zeit“. Denken Sie an den Tod?
Müller-Westernhagen: An die Endlichkeit des Lebens denke ich schon seit dem Tod meines Vaters. Ich war 14, als er starb, und damals wurde für mich ein Tabu zerstört. Du denkst ja, Sterben, das passiert immer nur den anderen. Der Tod gehört aber zum Leben dazu, und das weiß ich schon seit mehr als 50 Jahren. Ich denke, es ist eine kluge und philosophische Einstellung, einfach mit dem Leben zufrieden zu sein und alles zu akzeptieren, was dir im Leben passiert.
Sie wirken nach wie vor wie ein junger Mann. Wie kriegt man das hin?
Müller-Westernhagen: Ich sage immer: Jagger ist noch älter als ich. Das Allerwichtigste ist das Glück mit meinen Genen. Das zweite ist, dass ich sehr hart trainiere. Ich bin drei Mal die Woche auf dem Laufband und mache außerdem zweieinhalb Stunden Gewichtstraining. Das dritte ist die Ernährung. Du musst einfach diszipliniert sein, gesund essen. Ich bin zum Glück nie drogensüchtig gewesen. Ich habe gesehen, was das anrichtet, denn mein Vater und meine Schwester haben stark getrunken. Mir fehlt dazu glücklicherweise die Tendenz. Auch geraucht habe ich nie – ganz einfach, weil es mir nicht schmeckt.
„Liebe (um der Freiheit willen)“ ist nach langer Zeit mal wieder ein politisches Lied. Welche der zahlreichen Rebellionen der letzten Zeit hat den Anti-Diktaturen-Song inspiriert?
Müller-Westernhagen: Die ganzen Revolutionen im Nahen Osten. Aber es geht mir auch um Grundsätzliches. Die Macht des Volkes, die Demokratie, ist eine wunderbare Form. Ich sehe es als große Gefahr in unserer Gesellschaft an, dass wir, zumindest in Deutschland, extrem entpolitisiert sind. Kaum noch jemand ist interessiert am gesellschaftlichen Zusammenleben, wir leben in einer riesigen Ego-Gesellschaft. So etwas ist auch Folge von 16 Jahren Helmut Kohl. Wie sollen Jugendliche überhaupt Demokratie lernen, wenn sie gar nichts anderes kennen? Jetzt haben wir wieder die gleiche Scheiße, diesmal mit Angela Merkel. Der Deutsche will halt seine Ruhe.
Welche Politiker beeindrucken Sie?
Müller-Westernhagen: Die sind alle schon tot. Gandhi natürlich. Willy Brandt. Brandt hat mich politisiert. Auch Nelson Mandela war eine unglaubliche Figur, selbst wenn er als Politiker eine Chance vertan hat. Südafrika ist kein geeintes Land. Benzin oder Lebensmittel sind in den vergangenen Jahren wahnsinnig teuer geworden, obwohl die armen Menschen immer noch genauso wenig verdienen wie vorher. Und natürlich wächst dann die Kluft zwischen Arm und Reich. Das wird alles noch schön unter dem Mäntelchen gehalten. Wenn die Touristen in die Townships kommen, dann spielen die Menschen für ein bisschen Geld die glücklichen Einwohner. Das ist alles Folklore. Meine Partnerin hat ein Video gedreht, und einer der Schauspieler lebt in einem Township. Ich war dort einen Tag, habe mit den Leuten geredet und sehr viel Zorn gespürt.
Können Sie sich vorstellen, ganz nach Südafrika auszuwandern?
Müller-Westernhagen: Nein, ich bleibe definitiv in Berlin. Ich liebe Berlin über alles.
Stichwort Zorn: In „Hereinspaziert, hereinspaziert“ sagen Sie „Ich könnte kotzen, was hier abgeht“, in „Clown“ heißt es „Jeder braucht ein Opferlamm, auf das er seine Scheiße projizieren kann“. Was macht Sie so wütend?
Müller-Westernhagen: Das, was wir eben schon angesprochen hatten. Künstler sind dazu da, Illusionen zu erzeugen, und nicht, sie zu zerstören. Du kannst dich im Kino gar nicht mehr darauf konzentrieren, was der Schauspieler da spielt, weil du immer an sein Privatleben denken musst. Brad Pitt zum Beispiel. Das ist einer der besten und unterschätztesten Schauspieler, die wir haben, und dann siehst du den und denkst automatisch an Angelina Jolie. Ich finde auch diese ganzen TV-Formate abartig, in denen Reichtum zur Schau gestellt wird. Was soll das denn? Ganz furchtbar. Heutzutage wird alles nur noch über den Erfolg definiert, das finde ich schrecklich. Dieses Denken macht die Kids kaputt und es wird jede Art von Kultur zerstören. Musiker, meine Güte, das waren früher Leitbilder. Die konnten artikulieren, was die Menschen dachten. Ein Dylan zum Beispiel, der Wahnsinn. Heute zählt nur noch, wie viel Geld einer hat.
Was sollen die Popstars tun?
Müller-Westernhagen: Ach, die Popstars. Die Popstars sind heute doch sowieso die Sportler. Wer beim FC Bayern oder bei Borussia Dortmund spielt, der verdient zig Mal so viel wie ich.
Werden Sie nicht noch einmal zu einer letzten Westernhagen-Stadiontour aufbrechen?
Müller-Westernhagen: Die Sache ist abgeschlossen. Ich bin heute glücklicher. Weil es wieder viel mehr auf die Musik ankommt als auf die Verpackung. Im Stadion kannst du dich nicht entwickeln, da kannst du nur noch das Volk bedienen. Auch U2 stecken in dieser Falle. Deren letzte Liveshow sah doch aus wie die Präsentation eines neuen Toyota-Modells. Die überlebensgroße Person zu sein, das kann und will ich nicht mehr erfüllen.
Und im Sommer dürften Sie als Fußballfan ja sowieso andere Prioritäten haben.
Müller-Westernhagen: Mein Ziel ist es wirklich, jedes Spiel der WM zu sehen. Damit falle ich jetzt schon allen furchtbar auf die Nerven. Eine WM ist das Tollste überhaupt. Da kannst du neue Taktiken erkennen, und überhaupt, es wird irrsinnig interessant.
Wer ist ihr Favorit?
Müller-Westernhagen: Natürlich ist Brasilien favorisiert. Mein Geheimtipp ist Belgien. Die Deutschen werden gut sein, aber nicht gewinnen. Mit wem komischerweise immer zu rechnen ist, das sind die Italiener. Das sind die Meister der Effizienz und einfach verdammt abgebrühte, coole Jungs.
„Die Kunst geht vor die Hunde, weil alles erklärt wird, bis es noch der letzte Einzeller kapiert.“
Marius Müller-Westernhagen, der einfach nicht alles erklären will