Hat man schon mal einen perfekteren, komischeren Abgang in die Pause gesehen? Donnerstagabend im Würzburger Bockshorn, Gastspiel von Mathias Tretter, Premiere und Uraufführung für sein neues Programm „Selfie“. Und dann bringt der 42-jährige Kabarettist nach einer Stunde eine urkomische Kurzfassung von Goethes „Faust“ im präpositionslosen und syntaxfreien Neuzeit-Dialekt. Zwei Minuten lang grandiose Mephisto-Faust-Gretchen-Dialogsprachbrocken. Und am Ende: „Lösch die alte, gib noch 'ne zweite Staffel.“ Scheinwerfer aus, großes Dunkel, Abgang Tretter.
Die Faust-Nummer – sie ist ein kleiner Höhepunkt in einem durchweg starken Programm. Tretter, der gebürtige Würzburger und Wahlleipziger will endlich berühmt werden. Deshalb beschäftigt er sich in den zwei Bühnenstunden mit sich selbst und führt den Zwang zur Selbstinszenierung und Überhöhung des eigenen Ichs im postdemokratischen Zeitalter, in dem Exekutive, Legislative und Judikative abgelöst wurden von Effektive, Hyperaktive und Konsumtive, ad absurdum. „Selfie“ eben. Früher gab's Dorfwirtschaften und Passbildautomaten. Heute gibt's Twitter und Facebook. „Und endlich können wir von uns wieder Fotos mit ausgestrecktem rechten Arm machen.“
Das ist große Kleinkunst, wie beiläufig, treffend und sicher Mathias Tretter bei dieser Premiere seine Pointen setzt. „Wie geil ist das denn?“, würde man gerne ausrufen und fragen, würde der Alltagsanalytiker und Sprachmeister nicht jenen Satz – neben dem „Das geht ja gar nicht“ – als völlig bescheuert entlarven.
Mit Bockshorn-Prinzipal Mathias Repiscus hat Tretter an „Selfie“ gefeilt. Oder, wie der jetzt „gebrochene Mann“ selbst sagt, er hat sich vom Regisseur fertigmachen lassen. Aber was dabei herausgekommen ist: formidabel! Ein abwechslungsreicher, dicht gewebter, sehr humorvoller Kabarettabend, wie man ihn selten erlebt. Am Ende gibt es noch die Begründung einer Patchwork-Religion, bei der Tretter in Dalai-Lama-Dialekt veganes Essen aus Abrahams Wurschtkesseln predigt und für Yoga am Sabbat Richtung Mekka wirbt.
Nächster Auftritt in der Region: 25. Oktober, 20 Uhr, Giebelstadter Kartoffelkeller. Dringende Empfehlung!