Gedämpft schimmert die Sonne durch hohe Schleierwolken. Milchiges Licht fällt durch altertümliche Fenster, legt einen Weichzeichner über das historische Mobiliar des Zimmers und scheint die Welt ein Stück weit aus ihrer gewöhnlichen Rationalität zu rücken. Die Klänge eines Divertimentos aus dem 18. Jahrhundert schweben zur Decke – freundliche, anmutige Töne, produziert von den leicht gegen die Saiten schlagenden Hämmern eines Klaviers von 1775. Als würden sie dazu tanzen, drehen sich die Flügel einer Lichtmühle auf dem Fensterbrett. In solchen Momenten wird auf Schloss Homburg das Gefühl, in einer längst vergangenen Zeit gelandet zu sein, verwirrend real.
Dies ist die Welt von Michael Günther. Der Pianist mit ausgeprägtem Faible für Alte Musik „bis einschließlich Schubert“ sitzt an dem historischen Instrument und spielt. Es wirkt, als sei er ganz bei sich, als sei er dort, wo er hingehört. Der 57-Jährige hat auf Schloss Homburg über die Jahrzehnte hinweg eine der größten Privatsammlungen historischer Tasteninstrumente in Deutschland zusammengetragen. Das erste Klavier hatte er schon als Student an Land gezogen. Nun stehen an die 30 Instrumente, gebaut zwischen 1660 und 1815, in den Räumen – Cembalos, Hammerklaviere, zum Teil wertvolle und seltene Stücke. 13 Instrumente sind spielbar. Günther führt sie regelmäßig in Konzerten auf dem Schloss vor, transportiert sie zu Gastauftritten, zeigt sie bei Ausstellungen.
Michael Günther wechselt Raum, Zeit und Instrument: Der Hammerflügel, gefertigt 1815, hält Überraschungen bereit. Dank ausgeklügelter Mechanik kann der Spieler einen Wildlederstreifen zwischen Hämmer und Saiten schieben. Dann klingt's, als komme der Ton von weit her oder gar „aus dem Himmel“, wie Michael Günther schwärmt. Nicht nur den sonst eher zurückhaltenden Musiker rühren derartige Klänge an: Das Schlösschen aus dem 16. Jahrhundert, die alten Instrumente und die zu ihnen passende Musik weben einen Zauber, dem sich kaum einer entziehen kann. Immer wieder spiele er für Gäste, die von einem der mainabwärts in Wertheim ankernden Flusskreuzfahrtschiffe nach Homburg kommen, erzählt Günther: „Die Leute haben oft Tränen in den Augen.“
Die wilde Phase
„Jede Zeit schafft sich ihren eigenen Ton“, sinniert der an Musikhochschulen in Würzburg und Zürich ausgebildete Künstler. „Der Ton wiederum erlaubt Rückschlüsse auf den Charakter der Zeit.“ Günther gibt ein Beispiel: Das spitz und akzentuiert klingende Cembalo, bei dem die Saiten nicht geschlagen, sondern angerissen werden, tauge, die Linien barocker Fugen nachzuzeichnen. Doch im Zeitalter der Empfindsamkeit wollte man mehr als intellektuelles Fugen-Vergnügen. Man wollte Gefühl. Die Kompositionstechnik änderte sich. Neue Instrumente wurden entwickelt, die Emotionen transportieren können: Beim Hammerklavier werden die Saiten angeschlagen. Je nachdem, wie hart die Taste gedrückt wird, ändern sich Lautstärke und Qualität des Tones.
So standen dem Pianisten ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung. Die wurden durch Gimmicks wie verschiedene Register noch erweitert. Die Vielfalt der Mechaniken und Bauarten tat ein Übriges: „Das 18. Jahrhundert war die wilde Phase des Hammerklaviers“, sagt Jan Großbach. Dagegen erscheinen moderne Klaviere beinahe langweilig. Und den Schönheitswettbewerb gewinnen die alten Stücke, oft mit Einlegearbeiten und kostbaren Verzierungen versehen, gegen die chronisch schwarzen Kästen der Neuzeit ohnehin . . .
Großbach, Klavier-Experte und Fachbuchautor („Besaitetete Instrumente in Frankfurt am Main und ihre Erbauer im 18. und frühen 19. Jahrhundert“) hat soeben Michael Günthers neueste Erwerbung in Schloss Homburg aufgestellt: ein Tafelklavier von 1814. „Es stammt von einem Kollegen“, erklärt Klavierbauer Großbach. Der habe es vor Jahrzehnten angeschafft, wollte es herrichten, sei aber dann doch nicht dazugekommen. „Die alte Geschichte“, weiß Jan Großbach. „So etwas passiert häufig.“ Das Instrument sei in gutem Zustand, urteilen Günther und Großbach. Vor allem freut sie der original erhaltene Saitensatz. Der liegt verknäuelt und angerostet auf einem Tischchen und sieht für den Laien so gar nicht wie ein Grund zur Freude aus. „Aufziehen kann man den natürlich nicht mehr“, erklärt Jan Großbach. „Aber wir können feststellen, aus welchem Material die Saiten ursprünglich waren.“ Das ist wichtig, wenn dem Tafelklavier – dann mit nachgefertigten Saiten – wieder originale Klänge entlockt werden sollen.
Und nur das Originale zählt für Michael Günther. Das ist auch ein Grund dafür, warum er nicht jedes seiner Instrumente in spielbereiten Zustand versetzen lässt. „Der Eingriff muss sich in einem vertretbaren Rahmen halten“, erklärt er. Soll heißen: Wenn zu viel von der ursprünglichen Substanz ersetzt werden muss, ist es nicht sinnvoll, das Klavier spielbar zu machen. Ein Instrument, das nur äußerlich aussieht wie aus der Zeit Mozarts oder Bachs, könnte wohl auch gar nicht diesen verblüffenden Zeitmaschinen-Zauber entwickeln.