In seinen Kompositionen wird kein Flügel zersägt. Obwohl Klaus Hinrich Stahmer das macht, was man „Neue Musik“ nennt. Stattdessen gibt es Instrumente aus aller Welt. Die bringt der Komponist zum Sprechen. Musik ist für ihn nicht Extravaganz, sondern Sprache. Sprache, in der Fragen gestellt und Anklänge von Antworten gegeben werden, die alle Menschen betreffen. Seine Klangbilder zu hören, seine Botschaften zu spüren – dazu lädt der drahtige Mann, der schon mal mit dem Fahrrad von seinem Zuhause in Höchberg Richtung Stadt fährt, alle ein, die „offen dafür sind, ein aufgeschlossenes Ohr haben“.
Der am 25. Juni 1941 in Stettin geborene und in Lüneburg aufgewachsene Musikwissenschaftler, Komponist und pensionierte Hochschullehrer erlebte Musik von Kindheit an im Elternhaus, lernte Klavier- und Cellospielen. Als Schüler interessierte sich Stahmer für japanische Hofmusik, war fasziniert von dem ganz anderen Hörerlebnis. „Vielleicht eine Nische. Im Unterbewusstsein hat das wohl mein Tonverständnis geprägt“, sinniert der Künstler, der sich selbst einen gesunden kritischen Abstand zu Klassik und Barock bescheinigt. Das Studium mit Promotion absolvierte er am Dartington College of Arts (England), an den Universitäten Hamburg und Kiel und an der Musikhochschule Hamburg. Als Lehrkraft am Bayerischen Staatskonservatorium, der späteren Musikhochschule Würzburg, siedelte er um nach Unterfranken. Hier fand er 1969 Türen, die er nur aufstoßen musste. „Ich habe ein Vakuum vorgefunden, das meine Vorstellungen von Neuer Musik möglich machte“, erinnert er sich lächelnd. „Ich habe mir die Konzerte organisiert, die ich gern hören wollte, weil sie nicht da waren.“ Jahrelang leitete Stahmer des „Studio für Neue Musik“ und gründete die Würzburger „Tage der Neuen Musik“. Gern erinnern sich seine damaligen Studenten an ihn. „Er war immer bescheiden, hat nie so viel Federlesens um seine Person gemacht, verkörperte statt dessen glaubhaft das, was er sagte“, heißt es über den Professor.
„Ja, ich kann nur das in Musik umsetzen, worin ich mich wiederfinde.“ Für ihn, den Tonkünstler, der sich als analytischen Menschen bezeichnet, der gern fotografiert, bedeutet das heute mehr denn je, Texte zu lesen, in manchmal mühsamer Internet-Suche mit Autoren Kontakt aufzunehmen, in Museen Kunst auf sich wirken lassen. Erlebte Befindlichkeiten einzufangen in Tonfolgen, Rhythmen, Sprechgesang. So hat er den libanesischen Lyriker Fuad Rifka kennengelernt und den zeitweise inhaftierten südafrikanischen Dichter Sandile Dikeni. Als Stahmer ihre Lyrik in Originalsprache hörte, wusste er, dass er dazu Musik schreiben würde. Keine Vertonungen, sondern Interpretationen auf einer textlosen Ebene – in der Sprache unserer Zeit, mit Instrumenten ihrer Kultur und in seiner Sprache: „Lieder vertone ich nicht. Das ist die Musik des 19. Jahrhunderts.“
Recherchen in Asien, Afrika, USA, Kanada, in der damaligen UdSSR und Israel haben einen Kosmopoliten aus dem Humanisten gemacht, der Werte, Würde, Gewissensfreiheit und Toleranz leben möchte. Er, der sich für Benachteiligte und Verfolgte einsetzt, hat erfahren, welcher Reichtum, den die zivile Welt verloren hat, in alten Kulturen steckt. Diese Dichte, den Tonfall eines anderen Kulturraums möchte Stahmer durch seine Musik bewusst machen, sucht dramaturgische Geschlossenheit, einen roten Faden und den Dialog zwischen Abend- und Morgenland.
Ein politischer Mensch
„Ich sehe mich als politischer Mensch, aber bin kein Agitator“ betont der Komponist, „Ich komponiere keine Parteiparolen. Mein Ziel sind nicht die Massen.“ Sondern die, die Fremdem in Augenhöhe begegnen, sich von außen neue Dimensionen erschließen möchten. Deshalb steht der Komponist auch nicht auf „junge Rennpferde“ in der Musikbranche. Nicht auf Kommerz um jeden Preis. „Ich will Zuhörer, die Qualität zu schätzen wissen.“ In seiner Arbeit heißt das spannende, energiegeladene Mixturen aus Texten und Tönen, die im Konzert am 29. Juni im Toscanasaal der Würzburger Residenz zu hören sein wird in einer Uraufführung aus seiner Feder.